Achtet man weniger auf das Timbre von Worten und konzentriert sich anstelle auf deren Inhalt und Aussagegehalt, so wird man dessen gewahr, dass die öffentliche Sprache, so wie sie in Redaktionen und Nachrichtenstudios vollzogen und auf der Straße imitiert wird, eine Sprache der Schönfärberei ist. Eine Sprache, die den Tod zwar beim Namen nennt, ihn aber sprachlich verschanzt. Eine Sprache letztlich, die todweiht, die jedes Mitgefühl, jede Anteilnahme, jedes Einfühlungsvermögen der Präfinalität überschreibt, sprachlich, alltagssprachlich ausrottet.
Soldaten fallen im Felde - hier wird der Tod, wie bereits an anderer Stelle behandelt, aus dem Satz geklaubt. Soldaten sterben nicht, sie erliegen im Dienst; sind dann zwar tot, folgen aber zuletzt der verschwiegenen Gewissheit, bei einem todbringenden Arbeitgeber angeheuert zu haben. Nein, Soldaten sterben nicht, jedenfalls nicht so, wie Ununiformierte - sie sterben keinen menschlichen Tod, zumindest nicht in erster Instanz: sie sind ein Verlust an den nationalen Humanressourcen eines Landes, werden wie Schachfigur vom Brett geklaubt. Somit ist eine emotionalisierte Wortwahl für den öffentlichen Raum relativ unnötig - sie wird für inszenierte Trauerfeierlichkeiten aufgespart, für zivilgesellschaftliche Totenmessen, bei denen den zivilen Korpussen unter den Uniformen gedacht wird. Es ist eine besonders beredte, zungenfertige Kunst, das unliebsame Substantiv auszugliedern, zu vergraben - eine wortgewandte Kunst, die Worte gewandet, so sehr verkleidet, dass sie gar nicht mehr zu erkennen sind. Zivilisten jedoch fallen nicht, sie sind ja auch nicht im Dienst. Mit ihrem möglichen Tod ist zwar im Kriege zu rechnen, allerdings nicht zu selbstverständlich. Dummerweise getötete Zivilisten verbirgt man entweder ganz, berichtet von ihnen erst gar nicht - oder aber man kann es nicht mehr vertuschen, muß über deren Tod öffentlich Rechenschaft ablegen und hat den hässlichen Umstand so zu heißen, dass er nicht mehr gar so grausig wirkt.
Zivilisten fallen nicht, bleiben nicht im Felde. Will man dem nach Neuigkeiten dürstenden, lechzenden Publikum beibringen, dass zivile Leiber im Kugelhagel zerrupft, deren Gliedmaßen durch Bombardierung in alle Winde zerstreut wurden, so heißt es: Zivilisten fanden den Tod. Ganz lapidar - sie fanden ihn! Hatten sie ihn vormals verloren? Haben mutige Soldaten ihnen beim Suchen geholfen? Erfolgreich geholfen? Sicher, das sagt man eben so, da ist doch nichts dabei, kein Hintergedanke - alles ganz harmlos. Man plappert es so dahin, wie Pfarrer das tun, wenn sie von der Kanzel herab vom Einschlafen oder Verscheiden eines lieben Bruders, einer lieben Schwester aus der Gemeinde berichten. Auch dann, wenn dieses Einschlafen ein elendes Verrecken, ein Sichsuhlen im unendlichen Schmerz, ein Bad in metastasierten Qualen ist. Da findet eine Sprache Anwendung, die die Wirklichkeit nicht abbildet; eine Sprache, die sich verweigert, das mit dem menschlichen Wahrnehmungapparat Registrierte, auch in den Kehlkopf, auf die Stimmlippen zu legen.
Die schönfärbende Formulierung erhält eine Konzession, wenn sie Schmerzen, die die Realität zeitweilig bereithält, zu betäuben trachtet. Man kann es einem solchen Geistlichen schwer verübeln, wenn er einen furchtbaren körperlichen Verfallsprozess, die Bewegungseinschränkung, die aufgedunsenen Glieder, die markerschütternden Schreie, das Liegen in den eigenen Exkrementen, dass er all diese Alpträume nicht beim Namen nennt, stattdessen auf das Entschlafen zurückgreift und nicht vom Verrecken, vom Krepieren spricht. Hier verkleidet Sprache pietätvoll, hier nimmt sie Rücksicht auf den Gemütszustand von Hinterbliebenen. Eine angebrachte Behutsamkeit, denn ein solches Sterben gestaltet sich im privaten Raum. Wo aber das Verrecken zur öffentlichen Sache wurde, zum Belang der res publica, da darf nicht pietätvolle Nachsicht walten - hier hat die Öffentlichkeit ein Anrecht auf Abbildung der Wirklichkeit. Zivilisten fanden den Tod!, ist inakzeptabel, weil es geübte Nachsicht an der Befindlichkeit der Öffentlichkeit ist. Falsche Rücksicht! Die Öffentlichkeit ist keine Trauergemeinde, die man nicht zu sehr brüskieren sollte: sie muß sogar kompromittiert werden, um der Realität auf die Schliche kommen zu können.
Falsche Behutsamkeit erzeugt falsche Konnotationen, falsche Nebensinne, falsche Schlüsse. Mit Menschen, die den Tod fanden, kann man leichter leben - man kann es ertragen. Mit zerfetzten, zertrümmerten, zerschossenen Leibern verständigt man sich weniger spielend. Schönfärbende Sprache, die von der privaten Trauerfeierlichkeit in den öffentlichen Raum gehoben wird, verpuppt das Mitempfinden und das Erbarmen. Sie hält auf Distanz, hält vom Leib, erlaubt Reserviertheit. Zwar findet das Wörtchen Tod Einzug in den Satzbau, doch in so zugeknöpfter, unnahbarer Variation, dass es beinahe schon wie eine Nebensächlichkeit klingt. Sie fanden den Tod, etwa so, als haben sie ihn gesucht - nichts von "aus dem Leben reißen", nichts von der Plötzlichkeit, davon, dass der Tod wie der Blitz einschlug und Menschen mit sich riss, die ihn - den Tod - nicht gesucht haben. Nicht gesucht, aber gefunden! Dieses Sie fanden den Tod! befreit davon, in Getöteten Opfer zu erahnen; der Status als Opfer ist aufgehoben, der ereilte "gefundene Tod" wird terminologisch zum unabwendbaren Schicksalsschlag, zum fatalistisch Hinnehmbaren.
Das ist erkaltete Sprache, die dem Tode näher steht als dem Leben. Eine Sprache, die nicht mehr lebensbejahend ist, weil sie die Realität nicht mehr abbilden möchte - der Drang nach Pietät, nach dem blut- und schmutzfreien Wort, erzeugt eine künstliche Weltanschauung; eine, die die Welt als bereinigten Ort in Worte fasst; eine Welt, die sprachlich gereinigt ist. In einem solchen Umfeld verendet das Mitleiden, geht die Gabe verloren, sich in Not und Elend hineinzudenken. Es ist die Sprache von Automaten, nicht die Sprache fühlender, emotionaler Menschen. Ermordeten diese letzte Würde zu rauben, über den Hergang ihres Todes nicht genau Rechenschaft abzulegen, sie nicht als zerfetzte, zerrissene, durchsiebte Leiber sprachlich zu erfassen, sie stattdessen den Tod finden zu lassen: das ist, eben weil sie der Gesellschaft pietätvoll dergleichen Grausamkeiten ersparen will, eine grausame, kalte Sprachkultur - eine Gesellschaft, die Soldaten in die Welt schickt, die Zivilisten als Nebenprodukt kollateral mittötet, hat kein Anrecht darauf, dass man ihr den Tod behutsam beibringt. Sie muß ihrem Werk offen ins Auge sehen - und sei es noch so grausam...