Kein Nordkoreaner hat je meine e-Mails gelesen!

oder Die Welt darf kein Hinterhof werden.
Nach dem Skandal um NSA und BND häuften sich antiamerikanische Stimmen, liest man in den Kommentarspalten wieder häufiger. Ich kann dazu nur sagen: Ich bin nicht antiamerikanisch. Denn gegen Amerikaner habe ich nichts. Aber ich gehöre durchaus zu denen, die einen gesunden Antiamerikanismus für notwendig erachten.
Eine Ideologie
Der Amerikanismus ist kein Lebensgefühl, wie das die Kritiker antiamerikanistischer Töne oft darlegen. Er hat mit dem american way of life oder der unverbrüchligen Freunschaft mit diesem Urland der Demokratie und Freiheit kaum zu tun. Wer so gegenargumentiert, der verschleiert.

Kein Nordkoreaner hat je meine e-Mails gelesen! Linke Intellektuelle haben schon vor Jahrzehnten den Kulturimperialismus der Vereinigten Staaten kritisiert. Sie sahen sich zwischen McDonalds und kommerzialisierter Rockmusik intellektuell aufgerieben. Dazu griffen sie den handfesten, den geopolitischen Imperalismus an. Zu Zeiten des Vietnam-Krieges hatte diese Position Hochkonjunktur. Später flaute die Bereitschaft, die USA für ihre Interventionen anzugreifen, fast völlig ab. Es galt mehr denn je als chic, die Verbündung und die Freundschaft mit diesem Land aggressiver Außen- und Kriegspolitik zu beteuern.
Amerikanismus ist nicht die Befürwortung von blue jeans und Coca-Cola. Es ist die Parteinahme für eine globale Expansion der Monroe-Doktrin. Der Hinterhof der Vereinigten Staaten ist nicht mehr nur der amerikanische Kontinent, sondern alle Kontinente sind zu Hinterhöfen degradiert. Amerikanismus ist eine knallharte militärisch-expansionistische Ideologie, moderner Imperialismus, der nicht im spießigen Stehkragen daherkommt, sondern in legerer und sich pragmatisch gebender Gönnerhaftigkeit. Amerikanismus ist nicht das Pendant zum französischen savoire-vivre oder zur deutschen Gemütlichkeitskultur, sondern gleichbedeutend mit dem Empire colonial oder Großdeutschland. Er reicht über den ursprünglichen Interamerikanismus hinaus, handelt global und setzt seine eigenen Maßstäbe bei anderen Kulturkreisen an.
Wer da mit Romantizismen kommt, von Burger und Hollywood schwärmt, der macht sich zum Teil dieses Problems. Guantanamo ist nicht romantisch. Und Kollateralschäden einer angeblich präzisen Kriegsführung, wie sie die US-Administration in ihrem globalen Sendungsbewusstsein in vielen Teilen der Welt anwendet, sind es auch nicht.
Teheran, Khartum, Pjöngjang? - Washington!
Als Bürger der Bundesrepublik lohnt es sich festzustellen, dass man bislang mit keinen Eingriffen seitens des Iran, des Sudans oder Nordkoreas zu tun hatte. Diese Länder aus der axis of evil, diese Schurkenstaaten, terrorisierten die deutsche Öffentlichkeit bislang nicht. Washington hingegen schon, verletzte Persönlichkeitsrechte und terrorisiert dieselbe Öffentlichkeit gleich nochmal, indem es Botschafter der atlantischen Freundschaft aussendet, die die Frechheit kaschieren und herunterspielen sollen.
Michael Moore schreibt in Stupid White Men, dass er sein Leben lang von Schwarzen gewarnt worden sei. Oft ganz unterschwellig, manchmal auch ganz direkt. Der Schwarze ist das Synonym für Betrug, Gewalt und Kriminalität in den USA. Moore aber stellt fest: "Schaue ich aber auf mein Leben zurück, zeigt sich da ein seltsames, aber unverkennbares Muster. Definitiv jede Person, die mir in meinem Leben jemals weh getan hat - der Boss, der mich gefeuert hat, der Lehrer, der mich durchfallen ließ, der Direktor, der mich bestrafte, der Kerl, der mir einen großen Stein auf den Schädel schlug [...] - das waren ausschließlich Weiße!" Und das führt ihn zur Frage: "Also, warum sollte ich ausgerechnet vor Schwarzen Angst haben?"
Warum fürchten wir uns ausgerechnet vor dem Iran, der uns nichts getan hat? Noch nie hat uns Pjöngjang abgehört und ausgehorcht. Noch nie hat Pjöngjang seine Soldaten in fremde Länder geschickt, dort Menschen foltern und entführen lassen, um sie dann Jahre von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Was sind wir doch für Stupid German and European Men!
Das Böse ist Ansichtssache
Ich will nicht in einer Welt leben, in der Angriffskriege aus ökonomischen Interessen, der Überwachungsstaat und immer mehr Laissez faire-Auslegung des Gemeinwesens als gut bezeichnet werden, während man andere Gesellschaftsentwürfe ohne genau Kenntnis darüber diabolisiert. Es ist nicht zwangsläufig so, dass man als Linker oder Linksliberaler antiamerikanistisch werden muss. Auch in den USA hat die Linke viele Impulse gesetzt und hat eine leider mittlerweile fast vergessene Tradition. Aber diese Vereinigten Staaten, die ihren Status als Weltpolizei so ausgebaut haben, dass sie sich mittlerweile als Weltdespot aufführen, kann keinem Linken schmecken. Washington ist der Leader in der anderen Achse des Bösen - und Berlin und London reihen sich da ein.
Das Böse ist zuweilen eine Sache der Ansicht. Bei Despoten wie Hitler und Stalin sicher nicht. Bei Leuten wie Eichmann und Tibbets wird es schon schwieriger. Aber die Welt ist eben nicht voller Hitlertypen. Was also böse ist und was nicht, kann nicht immer einheitlich beschlossen werden. Der Bundespräsident lobt regelmäßig den Einsatz der Bundeswehr für die gute Sache. Diese gute Sache fiel mancher afghanischen Familie in Form von Bomben ins Schlafzimmer, kostete Menschenleben und Blut. Aus Sicht eines Afghanen ist dieser Bundespräsident ein Prediger des Bösen. Für das bürgerliche Deutschland ist es der Wunschpräsident. Ob Afghanen wohl glauben, dass die Deutschen alle blutrünstig sind? Verallgemeinern sie so, wie die Deutschen es gerne tun, wenn sie mutmaßen, dass in jedem Moslem die Aggression schlummert?
Der Bereich aller amerikanischen Bereiche ist nicht angeklagt
Mir bleibt nichts anderes übrig, als antiamerikanistisch zu sein. Gegen Amerikaner generell habe ich nichts. Nur werde ich nun auch nicht den Fehler machen und wie so viele behaupten, dass die Amerikaner ein tolles Volk seien. Das sind sie so wenig wie andere Völker auch. Unter den Amerikanern finden sich leider viel zu viele Amerikanisten. Man muss nicht alles schmähen, was aus Amerika kommt. Denn es gibt Amerika so wenig, wie es die Welt gibt. Amerika ist Barbecue und New School of Social Research, ist Todesstrafe und Mark Twain, ist Notaufnahme im Krankheitsfall und Noam Chomsky, ist Prism und Hannah Arendt, McCarthy und Larry Flint, Bukowski und günstige Immobilienkredite, Genozid und Big Deal, Agent Orange und Martin Luther King. Amerika ist für alle diese und viele andere Dinge nur ein Bereich der Bereiche, um es mit Markus Gabriel zu sagen.
Aber um all das geht es mir nicht. Man muss seinen Antiamerikanismus schon konkret halten, an der Ideologie messen und nicht einfach alles verdammen, was von dort kommt. Es geht nicht um den Bereich aller Bereiche, die es in dem Gebilde, das sich Vereinigte Staaten nennt, gibt. Das kulturelle Erbe ist nicht automatisch beschmutzt, nur weil es sich plötzlich in einer Ideologie wiederfindet. Es gibt insofern den Antiamerikanismus nicht, weil die Vereinigten Staaten nur ein Bereich sind, in dem es viele Sinnfelder gibt. Aber nicht jedes Sinnfeld ist von der Ideologie des Amerikanismus befleckt. Der Begriff des Antiamerikanismus klingt fast so, als generalisieren man die Wut auf alles, was von drüben kommt.
Warum ich antiamerikanistisch sein muss!
Wir sind in ein Stadium der Geschichte eingetreten, in der man nicht einfach so tun kann, als sei dieser Amerikanismus, den wir schon aus dem 20. Jahrhundert kennen, eine seltsame Marotte, die man sich über dem großen Teich einfach mal leistet. Wir haben es bei diesem Phänomen nicht mit der selbstlosen Politik der Eindämmung irgendwelcher Regimes zu tun - Washington macht seine nationale Politik immer häufiger und brutaler auf internationaler Bühne. Völkerrecht und die nationale Selbstbestimmung wischt man hierzu einfach weg. Es geht doch um so viel mehr: Um Erze, um Erdöl, um Gold und wer weiß was noch. Der Zugriff auf die Ressourcen bestimmt das Handeln der Vereinigten Staaten unter anderem. Es geht dieser als Demokratie bezeichneten aristokratischen Theokratie nicht um eine bessere Welt, sondern um Weltherrschaft, um die Schaffung vieler kleiner Quislinge, die im Sinne Washingtons zappeln.
Die technologischen Möglichkeiten haben die Option der totalen Kontrolle möglich gemacht. Der Kontrollwahn dieses Amerikanismus, der sich auf allerlei nationale Regierungen stützt, ist auch keine Marotte mehr, sondern eine handfeste Gefahr für die Zukunft. Die Ausrichtung der Politik an die Vereinigten Staaten ist nicht visionär oder gar sinnstiftend, sie ist strikt mit der Gefährdung der europäischen Vorstellung von Demokratie verknüpft.


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