…. aka wohin nur mit meinem deutschen Schamgefühl in Europa?
Wir sind in den Flitterwochen, in einem Romantik-Hotel in den Bergen. Auch wenn der Schriftsteller Frank McCourt über alles, was mit Romantik und Sex zu tun hatte, als „Aufregung“ schrieb, bedeutet Romantik hier Wellness aka Entspannung. Der Ire McCourt lebte ja auch in prä-workaholicschen Zeiten.
Und weil ich Stress und Aufregung so gewohnt bin, fällt mir das Abschalten nicht leicht. Möglicherweise liegt das am schlechtem Handyempfang in den Bergen, der schon Urmensch Ötzi dazu brachte sich zwischen den Felsen zu verlaufen und dort tiefgefühlt zu werden.
Wir sind ganz nahe beim ältesten Promi der Welt, in Italien. Das heißt hier allerdings nicht Italien, sondern Tirol und statt Pizza und Pasta gibt es Speck und Würstchen. Dieses ganze Fett schwitzen mein Mann (ich gewöhne mich noch an den Begriff) und ich zusammen mit Italienern (echten Italienern, keinen Tirolern) und Franzosen in der Wellness-Oase des Hotels wieder aus.
Auch nach 23 Jahren in der EU bin ich nicht sicher, wie europäisch ich wirklich bin. Denn Folgendes versetzte mich in Aufregung und Sorge:
Ich lies die Badeschlappen von meinen Füssen gleiten und hing meinen Bademantel mit eingesticktem Hotellogo neben die anderen Bademäntel mit eingesticktem Hotellogi. Das Handtuch an meinen Bauch gepresst, drückte ich die Glastür zur Alpensauna auf und erkannte, den ersten Fuß schon durch die Tür, im Dunkeln der Saunabänke, neonfarbene Badeshorts und einen pinken Bikini. Ordentlich in Badebekleidung eingepackt, musterten mich die Franzosen kurz, während ich das Handtuch, meine letzte Hülle, auf der Bank ausbreitete und mich nackig drauflegte.
Viel schlimmer als nackt zu sein, ist es sich nackt zu fühlen. Das weiß jeder, der schon mal träumte ohne Hose aus dem Haus zu gehen oder dies (schlaf-)trunken wirklich erlebte. Ich fühlte mich nackt und noch dazu unkultiviert und irgendwie deutsch; wie jemand, der Käse nicht als Nachspeise schätzt und Wörter mit hörbarem H ausspricht.
Kaum hatte ich mich mit meinem Unwohlsein abgefunden, betrat ein Italienisches Paar die Sauna. Sie ganz in das Handtuch gewickelt, er mit Handtuch um die Hüften. „Keine Bikini-Träger und kein Hosenbund! Ha!“, dachte ich, „damit sind wir Nackten in der Mehrheit und wer in der Mehrheit ist, ist vielleicht immer noch kulturlos und nackt, aber dafür in der Mehrheit!“ Doch statt die Wickelungen der Handtücher zu lösen, legten sich die beiden so verpackt und damit nur halbnackt auf die Holzbänke, wie die Models in den Hotelkatalogen.
Sein Oberkörper und seine Waden und ihre Beine und Schulten, sowie beide Köpfe lagen nun Haut und Haar auf Holz. „Das geht doch nicht! Dann diffundiert der ausgekochte Speck doch direkt in die Bank und nicht erst ins Handtuch!“, empörte sich die deutsche Stimme in meinem Unterbewusstsein.
Wieder fühlte ich mich in der Minderheit, aber dafür im Recht. Das war immerhin etwas und so versuchte ich mich doch noch am Entspannen, schloss meine Augen und ließ meinen Kopf zur Seite fallen. Ein Rascheln brachte mich zum Blinzeln und da ereignete sich die Obszönität. Mein Blick ging direkt zwischen die angewinkelten Beine der eingewickelten Italienerin. Die war zwar oberflächlich ordentlich in ihr Bandeau-Handtuch-Kleid gepresst, aber darunter dann eben doch ohne Höschen.
Der Anblick eines Genitals über das man selbst verfügt, sollte eigentlich nicht für besonders viel Aufsehen sorgen und in einer Sauna sowieso nicht, würden sich denn alle an die selben Regeln halten und einfach nackt sein. So war ich nackt, die Franzosen angezogen und die Italienerin spielte Sharon Stone in Basic Instinct, was wiederum dazu führte, dass ich meinen Kopf beschämt wegdrehte. Und das ist vermutlich noch viel, viel deutscher als nackt in die Sauna zu gehen.
Hergestellt wurde mein Wellnesswohlsein erst, als ich später von einer Liege aus beobachtete, wie die Italinerin in ihrem Frottekleid ins Dampfbad stieg und ich meinen Nacken durch sanftes Kopfschütteln entspannte.