Kein Frieden, nur Ruhe

Erstellt am 14. September 2010 von Fredygareis

Mit lässigen Fingerbewegungen lenkt Mahmout* sein Taxi durch Betlehem. Gar nicht so einfach, bei seiner Statur: Der Mann könnte Schwarzenegger Konkurrenz machen. Arme dick wie Autoreifen, bei jeder Bewegung spannt das Hemd des 30-jährigen, der früher einmal zur Leibgarde Yassir Arafats zählte.

Unterwegs in Betlehem in seinem Mercedes Taxi hat er zu jeder Ecke eine Geschichte zu erzählen. Er fährt mich hinauf nach Beit Jala, eine kleine Stadt in der Nähe, und bleibt vor einem zerschossenen Haus stehen. 2003 haben Schützen der Al-Aqsa Brigaden von diesem Teil Beit Jalas auf die jüdische Siedlung Gilo geschossen, die etwa zwei Kilometer Luftlinie entfernt ist. Fünf Minuten später lief der Gegenangriff der israelischen Armee.

Alle anderen Häuser, die es damals erwischt hat, sind heute wieder aufgebaut, mit internationaler Hilfe. Sogar die Mauer, die damals in Gilo zur künftigen Sicherheit vor solchen Angriffen gebaut wurde, wird nun wieder abgerissen. Nur dieses Haus wurde so stehen gelassen, als Mahnmal.

Mahmout steht vor dem Haus und blickt über die Hügel Betlehems. Das Haus hinter ihm ist so löchrig wie ein Sieb. “Weißt du, Menschen sind wirklich unterschiedlich. Du denkst, sie wären gleich, aber das stimmt nicht. Was geht in deren Kopf vor? Ich habe keine Ahnung. Warum können wir nicht in Frieden leben? Warum wollen die Menschen so sein? Wollen sie nicht, dass man nach ihrem Tod gut über sie redet?”

Mahmout fuchtelt mit seinen schweren Armen, verleiht seiner Stimme Nachruck. Ein Ausbruch, der mich überrascht, aber den ich gut nachvollziehen kann: “Warum können wir nicht in Frieden leben? Warum können wir nicht mehr lachen? Warum können wir nicht glücklicher sein? Warum? Warum??”

Er schüttelt den Kopf und steigt wieder in den Wagen. Fast hätte ich angefangen zu heulen bei dieser Instensität und Ernsthaftigkeit. Jeder Berg kann erschüttert werden, denke ich.

Wir fahren wieder zurück nach Betlehem. Kaufen “Tamr” bei einem fliegenden Verkäufer, Dattelsaft. Süß wie ein Bonbon. Reden über Opel, weil er früher mal einen gefahren ist. Reden über Fußball, über den Horror des Krieges, über Frauen, und dann wieder über Leben in den israelisch besetzten Gebieten. Das Gespräch verläuft so unstrukturiert wie die Straßen Betlehems und ist eines der merkwürdigsten – und unterhaltsamsten, die ich je hatte.

Entlang an der unvermeidbaren Mauer. Der britische Graffiti-Künstler Banksy hat sich hier mehrfach verewigt; später wird Mahmout mir dazu eine unglaubliche Geschichte erzählen. Aber jetzt redet er von den Palästinensern, die ihn bitten, zu ihrem alten Land gefahren zu werden: ”Sie wollen sehen, wie es heute aussieht, also fahre ich sie. Aber jedesmal kann ich 1000 Dollar wetten, dass sie ihr Land nicht wieder erkennen werden.”

Wir fahren durch die Gassen, denen die Mauer das Tageslicht raubt und er erklärt, warum er glaubt, dass es keinen Frieden geben wird: “Weißt du, die palästinensischen Flüchtlinge von ’48 und ’67 denken, dass sie eines Tages auf ihr Land zurück können. Aber sie sind verrückt. Die können soviel hoffen, wie sie wollen, doch die Israelis werden die Siedlungen nicht aufgeben, niemals.”

Durch die kleinen Straßen in Betlehem. Mahmout fährt Schrittempo, wieder gelassen wie ein Wal. Jeder kennt ihn hier, und Schrittempo eignet sich hervorragend, um zu grüßen und ein Schwätzchen zu halten. Dann redet er wieder über Opel und im nächsten Atemzug von Frauen, die von Panzern erschossen wurden, deren Kinder in ihrem Blut kriechen mussten, dem ganzen Horror. Was davon Übertreibung, was wahr ist – keine Ahnung. Aber ich glaube an seine Offenheit, und Mahmout hält auch nicht mit Kritik an seinen eigenen Leuten zurück. Er kommt auf Selbstmorattentäter zu sprechen und sagt: “Das ist einfach falsch. Es ist einfach nicht fair Zivilisten umzubringen. Wenn du kämpfen willst, dann von Soldat zu Soldat.”

Er bringt den Wagen vor der Geburtskirche im Zentrum zu stehen, grüßt ein paar Polizisten. Dann setzen wir uns in ein Café und trinken arabischen Kaffee. Auf dem Platz spielen Kinder, die Sonne geht unter, der Muezzin ruft zum Gebet. Wir schauen auf das Betlehem Peace Center. Mahmout nippt an seinem Kaffee und sagt: Wir haben hier so viele schöne Dinge. Aber irgendwas wird immer sein: Syrien, Iran, irgendwas. Es wird keinen Frieden geben in dieser verdammten Region. Nur Ruhe. So war es bei meinem Großvater, bei meinem Vater, und so wird es immer sein.”