Jedes Jahr – meistens im Herbst – kommt der Fotograf in unseren Kindergarten. Dann werden alle Kinder einzeln in zwei verschiedenen Posen fotografiert und es gibt von jeder Gruppe ein Gruppenbild. Heute ist es wieder soweit. Doch HerrSjardinski hat schon vor Tagen gesagt, dass er sich nicht fotografieren lassen mag.
Gestern abend teaserte ich den Fotografen nochmal an und fragte den feinen Herrn, ob er doch bereit wäre, ein Foto machen zu lassen.
“Nein, Mama, ich mag nicht.”
“Und warum?”
“Ich will mich einfach nicht von fremden Menschen fotografieren lassen.”
HerrSjardinski auf Holz
Das kam ziemlich überzeugend. Und ich überlegte. Auf der einen Seite hatte er ja Recht. Wir bringen ihm bei, nicht mit fremden Leuten zu sprechen. Und auch im Karate wird jedes mal im Rollenspiel geübt, wie man sich verhält, wenn ein Fremder im Auto angefahren kommt und einen anspricht. Nämlich mit weggehen und am besten nix sagen. Warum sollte er sich also von einer fremden – und vielleicht ihm unsympathischen – Person fotografieren lassen?
Auch Kinder haben Persönlichkeitsrechte. Und da zähle ich mal das “Recht am eigenen Bild” mit dazu. Wer sich nicht fotografieren lassen will, das kennen wir alle, sagt dies oder verdeckt sein Gesicht. Wer nicht fröhlich posiert, sondern sich wegdreht, gibt ganz deutlich das Signal “Ich mag mich nicht fotografieren lassen”.
Dass nun HerrSjardinksi kein Foto machen lassen will, hat auch ganz viel mit der eigenen Bestimmung über seinen Körper zu tun. Im Moment fährt er da eine klare Linie mit dem eigenen Willen, was sich in vielen Entscheidungen äußert.
- Er mag bestimmen, was er anzieht. Und dazu gehört, dass ihm 50% seiner Sachen nicht mehr gefallen.
- Er mag bestimmen, was er isst, wann er isst und wieviel er isst. Seit Monaten mag er morgens einen süßen Aufstrich. Seit einigen Tagen hat er beschlossen, nur noch Salami auf´s Brot zu mögen. Und auch sonst haben die Vorlieben stark gewechselt (gestern “HUI” morgen “PFUI”).
- Er will entscheiden, wann er sich duscht oder badet und ob er sich dann auch die Haare wäscht. Ok, manchmal ist das schon nötig, da müssen dann alle Überredungskünste angeworfen werden.
- Er möchte selbst entscheiden, wann er müde ist und schlafen will. Manchmal hört er dann noch Musik im Bett oder schaut sich ein Buch alleine an.
Ich bin kein Pädagoge oder Psychologe, aber ich würde sagen, die Entscheidung, sich nicht fotografieren lassen zu wollen, hängt mit der Bestimmung über den eigenen Körper stark zusammen. Er ist fast 5 Jahre alt und ich finde, dass hat nun nichts mehr mit Trotz zu tun, sondern mit seinem Gefühl, die Situation als unangenehm zu empfinden.
Auf der anderen Seite wäre so ein Foto schon ganz schön. Jedes Jahr wechseln wir das Portrait an der Fotowand aus. Im ersten Kitajahr sah der feine Herr noch etwas schüchtern aus, auf dem zweiten Bild lachte er frech und auf dem dritten Foto etwas gestellt. Vielleicht hatte er da schon keine große Lust auf Fotoshooting? Schade ist auch, dass ohne Foto ein Weihnachtsgeschenk für die Omas wegbricht. Hiiiiilfe! Und auch das Gruppenbild finde ich eine tolle Erinnerung.
“Also HerrSjardinski, wenn du dich nicht fotografieren lassen magst, dann musst du nicht. Aber denk nochmal drüber nach, ob du nicht wenigstens mit auf das Gruppenfoto magst. Sonst sind vielleicht deine Freunde traurig, wenn du nicht mit drauf bist.”
“Nein, ich mag nicht.”
“Ok, wir sagen morgen früh deiner Erzieherin Bescheid, dann musst du nicht nochmal diskutieren.”
Vielleicht überlegt er es sich doch nochmal anders, wenn sich seine Freunde fotografieren lassen. Oder er kommt später heim und sagt “leider hab ich heute kein Foto für dich.” Und das ist dann auch ok.
Lässt sich euer Kind auch nicht gern fotografieren? Und wie hättet ihr reagiert? Hätte ich ihn überreden sollen?