✰ Kathrin Weßling – Drüberleben

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Depressionen sind kein Grund, traurig zu sein? Schon der Untertitel ist reine Provokation, denn wenn nicht Depressionen traurig machen, was dann? Macht Kathrin Weßling sich da etwa über etwas sehr Ernstes lustig?

Nein, macht sie nicht. Sie erzählt vielmehr schonungslos die Geschichte einer jungen Frau mit einer langen Krankheitsgeschichte. Ida ist 24 und nicht zum ersten Mal in der Psychiatrie. Doch dieses Mal soll alles anders werden. Besser. Endlich will sie die Monster loswerden, die sie schon so lange terrorisieren. Sie will gegen die Depression kämpfen.

Zehn Wochen darf ich sie dabei begleiten, darf hautnah dabei sein in Therapiegruppen, durchwachten Nächten und den scheinbar sich immer im Kreis drehenden und sinnlosen Therapiegesprächen. Bei Idas Suche nach einem Platz in dem ganzen Chaos, das um sie herum und in ihr drin herrscht.

Kathrin Weßlings Roman ist eigentlich gar nicht komisch. Traurig ist er aber auch nicht. Er erzählt die Wahrheit, und die ist weder noch oder auch beides zusammen. Vor allem aber raubt er einem jegliche Illusionen darüber, was Depressionen bedeuten, oder was ein Klinikaufenthalt bedeutet. Es geht nicht immer nur aufwärts, es ist ein ständiger Kampf mit sich selbst und dadurch auch mit den Therapeuten.

Ida ist keine einfache Persönlichkeit, aber sie kämpft. Immer wieder gerät sie mit den Ärzten aneinander und eckt an. Ihr größter Kampf ist aber der um Anerkennung und Akzeptanz, denn in ihrem Umfeld stößt sie immer nur auf Unverständnis. Dort ist sie nur die kranke Ida, die irre Ida, die schon wieder in der Klapse ist. Ihre Krankheit bringt ihre Freunde und Familie an den Rand ihrer Geduld und darüber hinaus. Aber hat Ida nicht ein wenig mehr Unterstützung verdient, auch wenn es schwer fällt?

Drüberleben ist ein besonderer Roman über Depressionen, er plädiert für mehr Toleranz und Geduld im Umgang mit Kranken, und was ihn so authentisch macht, ist dass er ehrlich ist. In ihrem Blog drueberleben.de erzählt Kathrin Weßling ihre ganz eigene Krankheitsgeschichte, ihre Gedanken zu dem Thema. Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen und Ratgebern ist Drüberleben auch deshalb so besonders, weil er offen und schonungslos ist; Ida wird nicht in eine rosa Klinikwattewelt gepackt, in der alles nur besser werden kann und sie nur mit Samthandschuhen angepackt wird.

Vielleicht raubt Kathrin Weßling mit ihrem Roman die Illusion, Depressionen seien wie ein Schnupfen im Kopf, ein paar Medikamente, ein paar Gespräche, und alles ist wieder gut. Aber so ist es eben nicht.

Vielen Dank für diesen Roman!


Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Erschienen bei Goldmann
September 2012
ISBN: 978-3-442-31284-9

5sterne



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