WEIMAR. (fgw). Beim Durchblättern eines Stapels der wöchentlichen katholischen Bistumszeitung “Tag des Herrn” stach mir ein Beitrag vom 6. Mai 2012 besonders ins Auge. Geschrieben wurde dieser mit Blick auf damals noch anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Und der Kirchenjournalist schrie nicht nur unter Überschrift “Kirche im Visier der Piraten” lauthals SOS (auf Deutsch: rettet unsere Seelen), sondern bemühte in der Bildunterschrift wörtlich auch noch dieses Sinnbild: “…ist auch die Kirche vor ihren Kanonen nicht sicher.”
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Nun, zunächst eine erste Richtigstellung: Es geht den Piraten nicht um “DIE Kirche”, sondern um die staatliche Verfaßtheit. Zweite Richtigstellung: Es gibt in Deutschland nicht “DIE Kirche”, sondern mehr als 100 Religionsgemeinschaften, darunter rund 70 christliche. Und SOS schreien nicht die Religionsgemeinschaften in ihrer Gesamtheit, sondern nur deren zwei! Allerdings die beiden, die bis zum Ende der Monarchie in Deutschland Staatskirchen waren, und heute zumeist als Amtskirchen bezeichnet werden. Nur diesen beiden Religionsgemeinschaften, der katholischen Kirche und den evangelischen Landeskirchen, sind die Forderungen nach endlicher Realisierung der Verfassungsbestimmungen zur Trennung von Staat und Kirche ein Dorn im Auge.
Doch schauen wir uns den Zeitungsartikel mal genauer an. “Geht es nach den Piraten soll sich die Religion vollständig ins Private zurückziehen. Jede Form gemeinschaftlich gelebter Religiosität soll verdrängt werden.” - heult da Prälat Martin Hülskamp des katholischen Büros (= politische Lobby-Organisation der katholischen Bischöfe) in Nordrhein-Westfalen auf.
Zum journalistischen Handwerkszeug gehört es eigentlich, auch die Gegenseite zu hören. Was hier ganz einfach gewesen wäre, allein durch einen Blick ins Parteiprogramm der Piraten. (siehe unten) Deren Inhalt natürlich den Lesern des bischöflichen Blattes vorenthalten wird, denn bekanntlich ist doch Glauben wichtiger als Wissen…
Im Programm ist kein einziges Wort zu finden, das die Behauptung des SOS-Prälaten rechtfertigen könnte. Ja, für die Piratenpartei ist Religion Privatsache. Und das heißt seit August Bebels Zeiten: die eigene religiöse Überzeugung geht weder den Staat, noch die Partei etwas an. Auch nicht den Arbeitgeber oder andere Institutionen. Kein einziger Laizist, egal welcher politischen Richtung, fordert den Abriß oder die Schließung von Kirchen (und anderer religiöser Stätten), das Verbot des Glockengeläuts oder gar das Verbot von Gottesdiensten, also gemeinschaftlichen religiösen Praktiken…
Aber genau das suggerieren die Kirchenfürsten und ihre Sprachrohre immer wieder, wenn es um die verfassungsgemäß gebotene Trennung von Staat und Kirche, also um eine freie Kirche (bzw. um freie Religions- und Weltanschauungshemeinschaften) in einem religiös und weltanschaulich neutralem Staat geht… Und… leider plappern das auch klerushörige Politiker ohne rot zu werden nach. Obwohl doch gute Christenmenschen lt. den zehn Geboten nicht lügen sollen…
In dem Artikel heißt es weiter: “Neben der Abschaffung der Kirchensteuer macht sich die aufstrebende Partei in ihrem Grundsatzprogramm auch gegen die “Privilegien einzelner Glaubensgemeinschaften” stark…” und weiter: “Auch, dass für die Abschaffung der Kirchensteuer eine Grundgesetzänderung notwendig ist, ficht viele Piraten nicht an.”
Hier sei gleich aus dem inkriminierten Piratenprogramm zitiert: “…ein staatlicher Einzug von Kirchenbeiträgen kann nicht gerechtfertigt werden.” Also, es wird keine Abschaffung der Kirchensteuer genannten Mitgliedsbeiträge der beiden sogenannten Amtskirchen gefordert, sondern lediglich der erst seit der Hitlerregierung übliche Einzug derselben durch den Arbeitgeber und die Weiterleitung an die berechtigten Kirchen. Na, wenn der Zwangseinzug der Mitgliedsbeiträge durch Dritte kein Privileg gegenüber anderen religiösen Gemeinschaften ist, was dann?
Und warum ist dafür eine Grundgesetzänderung erforderlich??? Denn der Staat, konkret der Bund, erhebt diese “Steuer” genannten Beiträge ja gar nicht. Denn im Grundgesetz-Art. 140, der u.a. den Art.137 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 inkorporiert hat, heißt es:
“…Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben…”
Die Kirchensteuer ist also eine Steuer, die Religionsgemeinschaften von ihren Mitgliedern, und nur von ihren Mitgliedern, zur Finanzierung der Ausgaben der Gemeinschaft erheben können. Die Höhe der Kirchensteuer wird daher allein von den jeweiligen Kirchenleitungen festgesetzt. Rechtskraft erhalten diese kirchlichen Festsetzungen durch die Zustimmung der jeweiligen Landesparlamente zu ihren Kirchensteuergesetzen.
Schon wieder zwei Unwahrheiten im Aufschrei der bedrohten Seelsorger. Bedroht in dem Sinne, daß sie sich wie alle anderen Religionsgemeinschaften, Parteien und Vereine selbst um das Eintreiben ihrer Mitgliedsbeiträge kümmern sollen.
Doch nun kommt’s ganz besonders dick, ganz im jahrhundertelang bewährtem pastorale Stil (= den Menschen Angst machend, ihnen Schuldgefühle einredend) : “Eine Idee aber, wer die Mammutaufgaben der beiden christlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie (…) – etwa in der Kinder- und Behindertenbetreuung sowie Kranken- und Altenpflege – übernehmen soll, hat er(gemeint ist ein Piratenfunktionär; SRK) nicht.” Und der Prälat beruft sich an dieser Stelle auf das Subsidiaritätsprinzip zur Verteidigung amtskirchlicher Besitzstände, gibt aber unbewußt zugleich eine praktikable Antwort: “Tatsächlich ist das Subsidiaritätsprinzip, wonach der der Staat bewusst nicht alle sozialen Aufgaben nicht wahrnimmt, sondern delegiert, sogar führenden Freibeutern unbekannt.”
Nun, zunächst, all diese ach so christlichen Wohlfahrtseinrichtungen werden zu null bis meist nur zehn Prozent von den Amtskirchen aus deren Beitragseinnahmen, Spenden oder Vermögenserträgen finanziert. Den Löwenanteil, wenn nicht gar alles, finanzieren Sozialversicherungen, der Staat und die Kommunen und die Nutzer. Aber, obwohl diese das Geld geben, haben sie inhaltlich nichts in den von ihnen finanzierten Einrichtungen zu sagen, sondern allein der Klerus… Von den dort Beschäftigten, denen von ihren achso christlichen, nächstenliebenden Arbeitgebern, grundlegende Rechte verwehrt werden, soll an dieser Stelle gar nicht geredet werden.
Und… die meisten dieser diakonischen und caritativen Einrichtungen wurden auch nicht auf Kosten der Amtskirchen errichtet, sondern ihnen von Staat und Kommunen übertragen.
Der Herr Prälat braucht gar nicht zu drohen, denn gemäß Subsidiaritätsprinzip kann der Staat eben alle sozialen Aufgaben auch an andere Träger, deren es in Deutschland durchaus genug gibt, delegieren. Und da sich an der Finanzierung aus öffentlichen Kassen nichts ändern würde, wäre bei einem Trägerwechsel keine einzige Einrichtung in Gefahr.
Aber auch in diesem Falle plappern klerushörige Politiker einfach nur nach…
Ein wahrer Satz kommt allerdings in diesem Kirchenzeitungsartikel auch vor, wenn ein Pirat zitiert wird: “Wer welcher Religion angehört, geht den Staat gar nichts an.”
Ist das etwa kirchenfeindlich???
Aus dem Grundsatzprogramm der Piratenpartei:
14.2. Für die Trennung von Staat und Religion
Freiheit und Vielfalt der kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen kennzeichnen die modernen Gesellschaften. Diese Freiheiten zu garantieren, ist Verpflichtung für das Staatswesen. Dabei verstehen wir Piraten unter Religionsfreiheit nicht nur die Freiheit zur Ausübung einer Religion, sondern auch die Freiheit von religiöser Bevormundung. Wir erkennen und achten die Bedeutung, die individuell gelebte Religiosität für den einzelnen Menschen erlangen kann.
Trotz der von Verfassungs wegen garantierten Religionsfreiheit ist das Staatswesen der Bundesrepublik nicht frei von religiöser (und weltlicher) Privilegierung der traditionellen christlichen Kirchen. Hier gibt es einen Widerspruch, der durch Immigration und religiöse Differenzierung in der Gesellschaft zu größeren Verwerfungen führen kann.
Die weltanschauliche Neutralität des Staates herzustellen, ist daher eine für die gedeihliche Entwicklung des Gemeinwesens notwendige Voraussetzung. Ein säkularer Staat erfordert die strikte Trennung von religiösen und staatlichen Belangen; finanzielle und strukturelle Privilegien einzelner Glaubensgemeinschaften, etwa im Rahmen finanzieller Alimentierung, bei der Übertragung von Aufgaben in staatlichen Institutionen und beim Betrieb von sozialen Einrichtungen, sind höchst fragwürdig und daher abzubauen. Im Sinne der Datensparsamkeit ist die Erfassung der Religionszugehörigkeit durch staatliche Stellen aufzuheben, ein staatlicher Einzug von Kirchenbeiträgen kann nicht gerechtfertigt werden.
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]