Karthala Trekking – Teil 4

Von Madagaskarhaus

Karthala - Mystische Stimmung in der kargen Heidelandschaft

Gegen zehn Uhr wandern wir inmitten einer kargen Heidelandschaft, die im Nieselregen verschwimmt. Dunkle Wolken - einer Brandung gleich - hängen über uns. Bäume, nur noch drei Meter gross, säumen den Weg wie antike Olivenbäume.

Zuweilen tönt der Untergrund hohl: das durchlässige Gestein birgt viele Höhlen. Kellergrosse Trichter zeigen eingefallene Grotten an. Im saftiggünen Gras erheben sich manchmal moosbewachsene Steininseln wie einsame Oasen. Diese Minilandschaften geben den Eindruck, als ob ein sehr kreativer Landschaftsgärtner sein Lebenswerk vollbracht hätte. Zeitweise erscheint die Landschaft wie ein japanischer Meditationsgarten. Doch das Klima ist rau. Die Bäume sind nur noch Miniaturen.

Heranwehende Fahnen aus Nebelfetzen bewirken eine mysteriöse Stimmung, die in den Parzellen mit verbranntem Wald gespenstisch wird. Der jüngste Ausbruch des Karthala ereignete sich am 5. April 1977, damals wälzte sich die rotglühende Lava bis ans Meer und zerstörte auch das Dorf Singani. 293 zerstörte Häuser hinterliessen 2000 Leute ohne Dach. Einzig ein alter Mann blieb verschont. Der flüssige Gesteinsstrom teilte sich in zwei Arme und umfloss sein Haus.

Wir sind wieder genau über Moroni. Die weisse neue Moschee ist noch deutlich zu erkennen, die Holzfrachter in der grünen Hafenbucht nur noch andeutungsweise. Von Süden segeln erneut Wolkenknäuel heran und schieben einen Vorhang vor das Panorama. In dieser Höhenlage weidet kein Vieh mehr. Ab und zu schwirrt ein Vogel durch die Luft. Wie Konfetti ins Gebirgsgras gestreut sind stecknadelgrosse Blümchen. Aus unscheinbaren Ritzen der Felsen gucken fingerlange Pflanzen und richten sich wie eifrige Kerzen nach oben. Hellgrünes Moos hängt wie verwehter Schnee an den Stauden. Als ob die Feen von Avalon Wollenknäuel als geheime Zeichen hingehängt hätten.

Der glitschige Pfad taucht in ein mystisches Wäldchen ein, in dem man Kobolde vermuten könnte. Die knorpeligen Bäumchen haben Flechten sowie Moose wie Miniaturfischnetze in den Astgabeln hängen. Wie Ohrgehänge der Natur. Im Märchenwald entrollt sich ein gelbgrüner Moosboden wie ein flauschiger Gebetsteppich, daraus spriessen armdicke Gerten, umklammert von grauen Flechten sowie lindgrünen Bartmoosen. Die wie Gnome wirkenden Bäumchen streben in alle Richtungen. Ihre wie Gichtfinger verwachsenen Äste falten sich oben zusammen und ergeben ein Gründach, durch das Sonnenlicht filtert. Zerzauste Farne schwimmen als grüne Tupfer in dieser violettgrauen Miniwelt. Dieser Wald muss alt sein. Die Zwergbäumchen scheinen abgestorben zu sein. Und doch geben Zweige sowie deren sanftgrüne Miniblättchen Hoffnung auf ein Weiterleben.