Karl-Hermann Flach über liberale Versäumnisse

Von Frontmotor
(Verfasst im August 2004 für das FDP Forum liberalis):
Sehr erhellend und inspirierend für die gegenwärtige Rückbesinnung der Liberalen auf Werte jenseits von Steuersenkungen finde ich eine Streitschrift von Karl-Herrmann Flach namens "Noch eine Chance für die Liberalen" aus dem Jahre 1971. Diese kann man aus meiner Sicht getrost als Ausgangspunkt für die eigene Positionsbestimmung und Überzeugungsarbeiten im sozialliberalen oder grünen Lager heranziehen.
Flach schreibt u.a. ...
Über Quellen des Mißtrauens gegenüber Liberalen:
"Er (der Liberalismus) hat nach seinem großen und erfolgeichen Kampf um geistige Freiheit, bürgerliche Rechte und verbriefte Verfassungen teilweise versagt, ließ sich als Interessenvertreter privilegierter Schichten mißbrauchen, erstarrte bürgerlich-konservativ und trägt Mitverantwortung an den Sünden des Frühkapitalismus.."
Über die stille Übereinkunft einer Zweidrittelgesellschaft:
"Liberalismus bedeutet demgemäß nicht Freiheit und Würde einer Schicht, sondern persönliche Freiheit und Menschenwürde der größmöglichen Zahl."
Über gesellschaftlichen Realismus und Selbstbetrug:
"Die vollkommene Gesellschaft als Ziel war und bleibt Utopie. Die ideale Gesellschaft als vorgegebene Wirklichkeit war und bleibt Ideologie... Der Liberalismus lässt sich von keiner Uopie verzaubern und von keiner Ideologie verführen... "
Über Kapitalismus als "vermeintlichen Freund":
"Der Liberalismus ist im 19. Jahrhundert erstarrt. Nachdem es ihm gelang, eine der größten historischen Leistungen der Neuzeit zu vollbringen, nämlich den Übergang vom Absolutismus zum verfassungsmäßigen Rechtsstaat zu erzwingen, hat er sich auf seinen Lorbeeren ausgeruht und nicht erkannt, daß damit nur der erste Schritt zu einer liberalen Entwicklung der Gesellschaft geleistet worden ist... Die individuellen Interessen eines sich konsolidierenden Bürgertums erhielten Vorrang vor dem liberalen Grundanliegen, nämlich Freiheit und Würde für möglichst viele Menschen zu sichern.
Der Kulturliberalismus glaubte, die Gleichheit der Startchancen sei gegeben, wenn die Gleichheit der Bildungschancen vorhanden sei, und begnügte sich damit, diese auf dem Papier anstatt in der Realität zu sichern.
Das große Wort von der Gleichheit der Chancen blieb lange eine Phrase, hinter der sich extreme Ungleichheit tarnte.
Und schließlich über den permanent schwindenden gesellschaftlichen Rückhalt in der Gesellschaft:
"Die Liberalen duldeten eine Verfestigung der sozialen Verhältnisse, die den theoretischen und juristischen Freiheitsbegriff zur Waffe in der Händen einer begrenzten Schicht in der Abwehr der Ansprüche breiterer Schichten pervertierte."