Demokratischer Aufbruch;
demokratischer Verfall
Schon komisch, über diese Unausgewogenheiten regt sich der Mainstream nicht auf. Aber über eine kleine thüringische Landesregierung, die ungefähr so viel Einfluss auf die Bundespolitik hat, wie ein verletzter Regionalligaspieler auf den Leistungseinbruch der Nationalmannschaft, regt man sich gar tierisch auf. Sie soll der Abgesang des demokratischen Gedankens sein. Das behaupten dieselben Schreiberlinge, die den Maidan-Putsch und die daraus folgenden »demokratischen Umstrukturierungen« als einen weiteren Meilenstein der demokratischen Erfolgsgeschichte feierten. Diejenigen, die Tymoschenko und Chodorkovskij als Vertreter eines neuen freien Ostens hochleben ließen und faschistische Tendenzen im ukrainischen Erwachen als demokratischen Frühling wahrnahmen.
Ausgerechnet diese Experten in Sachen Demokratie sind nun besorgt, weil Die Linke zu einem Fitzelchen Geltung kommt. Zu einigen Brösel vom ganzen Kuchen. Da bricht denen schon die Welt zusammen. Als ob Mielke bald selbst Ministerpräsident würde. Wo sehen diese Leute denn bitteschön Wiedergänger Honeckers? Sie sind ja nicht mal deren Kinder. Sie haben sich zur Distanzierung von der DDR drängen lassen. Taktisch nicht unklug. Aber unter Linken ist man sich doch ohnehin einig, dass die DDR niemand mehr haben will. Verdammt, warum reden wir denn jetzt schon wieder von der DDR? Was hat die denn mit Ramelow zu tun? Der Mann hat ja nicht mal »drüben« gelebt.
Aber es ist doch so, dass jeder von irgendwo herkommt. Ein Teil von Die Linke hat ihre Wurzeln in dem Fragment einer Partei, die mal die DDR leitete. Die Union und die Liberalen waren Sammelbecken für Leute, die mal ein Reich führten. Aber was haben diese ollen Kamellen zum Beispiel mit Kauder oder Lindner zu tun?
Ich glaube nicht mal, dass die Leute vor 25 Jahren auf die Straße gingen, weil sie auch ein Stückchen politische Landschaft der Bundesrepublik wollten. Es war doch alles eher viel banaler, viel unpolitischer. Man hatte die Mangelwirtschaft satt, wollte konsumieren. Ich schrieb vor vielen Jahren darüber. Wer »Auf die faule Haut« kennt, der erinnert sich vielleicht an das kurze Essay. Erst später erzählte man sich, der Kapitalismus sei so begehrt gewesen, dass er gewinnen musste. Aber anderes war damals möglich. Nur darum geht es gerade nicht. Deshalb zurück zum roten Faden: Tun wir mal für einen Augenblick so, als seien die Leute damals wirklich politisch motiviert auf die Straße. Tun wir mal so, als sei es ihnen um die Demokratie gegangen. Was hätten sie gewollt? Nicht auch Landesregierungen, die wechseln können? Alternativen?
Sie sind sicher nicht auf die Straße gegangen, um Jahrzehnte danach einigen Journalisten zuhören zu müssen, wie sie aus einer sozialen Alternative eine SED-Kaderschmiede stilisieren oder wie sie uralte Episoden aufwärmen, mit denen die heutigen Protagonisten so gut wie gar nichts mehr zu tun haben. Ob sie wohl auf die Straße gingen, damit sie ihren alten Karl-Eduard von Schnitzler gegen neue, modernere von derselben hetzerischen Sorte eintauschen konnten? Nein, nicht Die Linke als Teil einer Regierung stößt den Menschen, die damals protestierten, vor den Kopf. Es ist dieser Mainstream, diese kleinkarierten Meinungs- und Scharfmacher, die demokratische Normalitäten skandalisieren, die ins Gesicht dieser Menschen schlagen.
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