Karikierter Freiheitsbegriff

Karikierter Freiheitsbegriff

Kurt Westergaard ist eine Meisterleistung gelungen. Nicht seine Mohammed-Karikaturen, die sind ziemlich plump, nicht ergiebig witzig, verbreiten das abgestandene Flair einer Zeitung aus dem kolonialen Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Seine Meisterleistung ist, dass er es mit gepinseltem Stumpfsinn und gekleckstem Mittelmaß zu Ehren gebracht hat. Aus der Hand Merkels, jene flankiert von Gauck - der Mann, der im Namen von Sozialdemokratie und Grünen Bundes- und Volkspräsident werden sollte! -, erhielt er einen Preis, der die Pressefreiheit hervorheben soll - und er soll einen mutigen Mann ehren, der sich traute, aus der Ferne gegen religiöse Befindlichkeiten anzugehen; oder, sollte man es im Duktus des Strafgesetzbuches (§ 166 StGB) ausdrücken wollen, der es fertigbrachte, der muslimischen Welt "öffentlichen Frieden zu stören" - und das aus einer Entfernung von mehreren tausend Kilometern.

Karikierter Freiheitsbegriff

Am eifrigsten feiern dabei jene Figuren den Helden, die sich gar schändlich in ihrem religiösen Empfinden verletzt fühlen, wenn mal wieder irgendeine weniger göttliche Gestalt als Jesus ans Kruzifix genagelt wird. Zuweilen rufen sie nach groben Geldstrafen, Zensur, Einschränkung der künstlerischen Freiheit und sogar nach Gefängnisstrafen. Man könne schließlich nicht dulden, dass der öffentliche Frieden gestört wird, nur weil ein fleißiger Fotomonteur im Namen der Presse- und Meinungsfreiheit glaubt, er müsse seine Kreativität walten lassen. Und all die braven Christenmenschen, die sich verunglimpft fühlen: die haben Satisfaktion verdient; es muß ihnen Gerechtigkeit widerfahren! Dann bemüht man Gerichte, fragt Ethiker nach dem moralischen Aspekt solcher Geschmacklosigkeiten, entrüstet sich beflissen in Leitartikeln und Feuilletons, nur um am Ende unisono darüber zu wimmern, dass das Abendland vor dem Abgrund stehe.

Karikierter Freiheitsbegriff

Es ist kleinlich kalkulierte Eindimensionalität, gewollte Selbstgerechtigkeit, die hier öffentlich zur Schau gestellt wird. Eine bigotte Haltung, die der einen Religion ein verletztes Seelchen quittiert, während dem anderen Glaubensbekenntnis nur eine berechtigte Kränkung, Beleidigung bescheinigt wird. Und diese wegweisende Zeremonie, sie findet ausgerechnet und bezeichnenderweise im Fahrwasser der letzten Wochen statt, in denen man unzählige Menschen muslimischen Glaubens herabgesetzt und erniedrigt hat - soviel zum Feingefühl Merkels und zur Sensibilität ihrer Entourage. All dies, das sei noch erwähnt, am letzten Tag des Ramadans - auf dass dem gläubigen Moslem beim Abendmahl der ersehnte Bissen im Hals stecken bleibt. Ist das Zufall oder Kalkül?
Man will Meinungs- und Pressefreiheit, die auch vor dem religiösen Empfinden nicht haltmacht - bittesehr: Dann lobe man auch jene, die in Komödien vom Kruzifix herabpfeifen und -witzeln, dann rühme man Fotomontagen als Ausbund freiheitlichen Schaffens, dann würdige man Menschen, die sich zur Sichtbarmachung eines Anliegens - wie Mathieu Carrière vor Jahren - ans Kreuz tapen lassen! Merkel betonte ja, man müsse den religiösen Fanatikern das Wasser abgraben: Also grabe man gerechterweise auch dort, wo christliche Bigotterie kläfft, wenn das Kreuz geschändet wird! Das ist die traurige Gleichheit unseres Säkulums: Jedem dieselbe Intoleranz zu garantieren!
Oder aber, was vernünftiger, was menschlicher, was friedfertiger wäre: Man halte sich mit solchen Provokationen etwas zurück, respektiere die religiöse Konstitution der anderen Seite und gieße nicht noch mehr Öl ins Feuer. Einseitige Freiheit trägt einen tyrannischen Stimulus in sich - denn Freiheit sollte immer die Freiheit zu allen Richtungen hin sein. Die Wahl zwischen Respekt und Gleiches mit Gleichem steht offen - doch Merkel und ihre Clique scheint sich bereits entschieden zu haben. Die Auszeichnung der forschen Karikaturen verdeutlicht nachdrücklich, zu welcher selbstgefälligen Karikatur die westliche Definition des Freiheitsbegriffes geworden ist.


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