Paul McCartney glaubt: Wenn ein Schlachthof gläserne Wände hätte, würde niemand mehr Fleisch essen wollen. Nach der Lektüre von Anständig essen glaube ich: Er hat recht. Denn wenn ein Schlachthof gläserne Wände hätte, könnte niemand mehr sagen, er hätte nicht gewusst, was da drin passiert. Niemand könnte mehr abstreiten, dass ein Schwein oder ein Rind die gleiche Todesangst und die gleiche Qual empfindet, wie ein Mensch sie an diesem Ort empfinden würde. Niemand könnte sich mehr mit dem diffusen Gedanken einlullen, das Tier sei im Grunde eine instinktgesteuerte Maschine ohne komplexere Empfindungen.
Nun ist es ja so, dass wir all diese hässlichen Wahrheiten eigentlich schon wissen. Informationen waren nie so zugänglich wie heute. Und schon vor zwanzig Jahren zeigten die Öffentlich-Rechtlichen Fernsehreportagen über die Grausamkeiten der Massentierhaltung. Wird wieder ein Skandal aufgedeckt, der im Grunde keiner ist, weil höllische Zustände in der industriellen Tierhaltung eher Standard sind, dann sind natürlich alle ganz betroffen: Schlimm, schlimm, diese geschundenen Hühner mit den verkrüppelten Füßen und abgeschnittenen Schnäbeln. Schlimm, diese vor Angst und Schmerz halb wahnsinnigen Schweine, die sich auf besudelten Spaltenböden gegenseitig die Ringelschwänze abbeißen – wenn man sie ihnen nicht schon vorher abgeschnitten hat. Ja, alles ganz schlimm. Für einen Moment.
Die ehemalige Grillhähnchenpfanne-für-2,99-Euro-Käuferin Karen Duve wollte mit Anständig essen im Selbstversuch herausfinden, wie es denn möglich ist, sich ethisch korrekt zu ernähren. Aus diesem Grund wurde sie jeweils einige Monate lang zur Bio-Käuferin, Vegetarierin, Veganerin und schließlich zur Frutarierin – um am Ende eine Entscheidung zu treffen. Die ich natürlich nicht hier und jetzt verrate. Wir begleiten Frau Duve bei ihren Experimenten, die in einer Art Tagebuchform aufbereitet und spannend zu lesen sind. Unterfüttert wird das ganze Projekt mit umfangreichen Recherchen zu den Hintergründen der jeweiligen Ernährungsform und zum Thema Tierethik, Ernährung und (Massen-)Tierhaltung allgemein.
Karen Duve schreibt wie immer plakativ, bildgewaltig, drastisch, mit trockenem Humor. Anständig essen ist dabei ein sehr persönliches Buch – die Autorin hält die eigenen Emotionen, Erfahrungen und Reaktionen nicht heraus. Das tut der Sache gut, denn so werden aus der Informationsflut, mit der wir uns hier auseinandersetzen, zugängliche Szenarien, die mich sehr berührt haben. Ich kann mir auch irgendwie nicht vorstellen, dass dieses Buch jemanden nicht sehr berührt. Derjenige müsste wohl über ein Ausmaß an Ignoranz verfügen, das ich mir nicht ausmalen mag.
Sensibleren Gemütern kann ich sagen, dass es seitenweise fast unerträglich war, der nüchternen Realität der profitorientierten Tierverwertung ins Auge zu sehen. Da gehen Bilder an im Kopf, die für mich manchmal kaum auszuhalten waren. Als ich die Beschreibung des Shuttle-Box Experiments mit Hunden gelesen hatte, musste ich das Buch für einen Abend weglegen. Da war es mir einfach zuviel. Kurz zweifelte ich, ob ich das kann – mir die volle Packung Wirklichkeit geben.
Ja, ich kann. Oder besser gesagt: Ich muss. Auch wenn ich’s lieber nicht möchte. Auch wenn ich so eine schreckliche Mimose bin. Auch wenn ich deswegen Rotz und Wasser heule. Ich musste dieses Buch fertig lesen, und ich werde auch noch weitere Bücher zu diesem Thema lesen, denn ich habe das dringliche Gefühl, dass ich es all diesen namenlosen Geschöpfen schuldig bin, die Wahrheit zu kennen. Wir alle sind ihnen das schuldig. Es ist schlichtweg das Mindeste, was wir tun können.
Links zum Thema
www.vebu.de
www.stiftung-fuer-tierschutz.dewww.aerzte-gegen-tierversuche.de
www.neuland-fleisch.de
www.peta.de
www.vierpfoten.de