Kanzler der Einheit

Von Eulengezwitscher @Edda_Eule

Helmut Kohl wird heute 85 Jahre alt. Seine instinktive und beherzte Deutschlandpolitik hat vor 25 Jahren die Deutsche Einheit ermöglicht.

Ausschnitt aus einem Wahlplakat von 1994 (Quelle: ACDP)

Er ist der Kanzler der Einheit: Helmut Kohl. Kohl hat die historische Gelegenheit erkannt und beim Schopf gepackt, die sich mit der Berliner Mauer am 9. November 1989 (er)öffnete. Mit einem Zehn-Punkte-Programm, das schrittweise auf die Deutsche Einheit hinführt, überrumpelt der Kanzler alle: seine CDU/CSU-Parteifreunde, seine Koalitionspartner von der FDP und sogar die vier Siegermächte der Zweiten Weltkriegs, die einer Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands zustimmen müssen. Damit wagt Kohl viel, denn seine Partei, seine Regierungspartner und vor allem die westlichen Verbündeten sind wichtige Stützen seiner Macht - und Macht ist ein Lebensexelier für Helmut Kohl.

Der Parteiführer (Foto: Slomifoto/KAS-ACDP)

Geboren 1930 kommt Kohl nicht mehr in die Verlegenheit, sich politisch für oder wider die Nationalsozialisten entscheiden zu müssen. Die "Gnade der späten Geburt" nennt er das selbst. Mit der Gründung der Bundesrepublik wird Kohl politisch aktiv. Er ist einer der ersten, die eine klassische Parteikarriere durchlaufen: Früh tritt er der CDU und ihrer Jugendorganisation, der Jungen Union (JU) bei. In der Partei fühlt er sich zuhause und zu höhreren Aufgaben berufen. Bald gehört er in CDU und JU zum rheinland-pfälzischen Landesvorstand. Auch in Wissenschaft und Beruf bleibt der gebürtige Ludwigshafener Kohl seiner Heimat treu: Er promoviert über "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945" - und kennt sich danach bestens in der politischen Landschaft. Zehn Jahre arbeitet er für den Ludwigshafener Industrieverband Chemie und vernetzt sich in der Wirtschaft. Dann wechselt er ganz in die Politik. Schon als Landstagsabgeordneter schnuppert er im Bundesvorstand der CDU Bonner Luft. Als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident sammelt er Regierungserfahrung. Zwar scheitert seine erste Kanzlerkandidatur 1976, aber er bleibt als Oppositionsführer in Bonn. 1982 ist es dann soweit. Die FDP wechselt die Seiten und wählt Kohl zum Kanzler. Dass er von allen Amtsinhabern am längsten regieren würde (16 Jahre), glaubt damals kaum einer. Öffentlichkeit und Presse spotten über Kohl und seine Pfälzer Provinzialität. Seine Kopfform vergleicht man gerne mit einer Birne, der Körperbau bringt ihm den Spitznamen "Der Dicke" ein. Kohl hat es faustdick hinter den Ohren. Seine Regierungszeit festigt sich. Grundlage seiner Macht ist die Partei, die er fest im Griff hat. Kohl regiert mit dem Telefon. Nicht selten klingelt es bei Lokalpolitikern, wenn ein Geburtstag oder ein Verbandsausflug ansteht. Der Kanzler ist am Apparat, um zu gratulieren oder gutes Gelingen zu wünschen. Das kommt bei der Basis an und baut Kohl dadurch seine Hausmacht aus. Selbst als es 1989 beim Bremer Parteitag kritisch wird für Kohl, hält die Partei zu ihm und schasst Generalsekretär Heiner Geißler, der an Kohls Sturz gearbeitet hatte.

Emissär der Einheit (Foto: Bundesregierung/Pfeil)

Dann fällt die Mauer und Kohl handelt mit dem Sowjetführer Michael Gorbatschow im Kaukasus die Modalitäten der Einheit aus. Die Amerikaner hat er ohnehin auf seiner Seite und gemeinsam mit George Bush (Vater) überzeugt er auch die skeptischen Briten und Franzosen. Den Deutschen verspricht er "blühende Landschaften" in den neuen Bundesländern. Dass Kohl - wie er heute selbst sagt - das Ausmaß der vierzigjährigen Teilung unterschätzt hat, wird ihm von Anfang an vorgehalten, beispielsweise in der Wendezeitsatire "Hurra Deutschland" (siehe Clip): 

Sicher: Kohl hat in seinem langen politischen Leben manches falsch beurteilt - beispielsweise die Wirkung eines Bitburger Friedhofsbesuchs, auf dem auch SS-Soldaten begraben liegen. Kohl hat auch schwere Fehler gemacht - allen voran die Annahme illegaler Spenden. Auch die unflätigen Lästereien über fast alle Weggefährten, die er seinem langjährigen Ghostwriter Heribert Schwan aufs Band diktiert hat, waren persönlich und politisch unvorsichtig und naiv. Die Wiederveinigung allerdings zählt nicht zu seinen Fehlern, obwohl sich Arbeitsmarkt und Gehälter bislang nicht so entwickelt haben wie erhofft. Allerdings wird von den Skeptikern der Einheit gerne übersehen, dass mit dem DDR-Unrechtsregime auch dessen Terrorinstrumente beseitigt worden - allen voran die Stasigefängnisse und Selbstschussanlagen an der Mauer. Heute kann man wieder in ganz Deutschland sagen, was man denkt und wählen, wen man will. Das ist ein hohes Gut, für das andernorts viel Blut vergossen wurde und wird. Das ist und bleibt das historische Verdienst von Helmut Kohl.

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