Kann mich “Vor uns das Leben” begeistern?

Von Buecherchaos @FranziskaHuhnke

Vor uns das Leben

Amy Harmon

Ink, 2014

978-3863960735

14,99 €

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Ambrose, der Star der Highschool, der Held einer ganzen Stadt. Er scheint alles zu haben – und doch kämpft er mit Problemen, die der Außenwelt verborgen bleiben. Bailey, der Junge im Rollstuhl. Er ist krank, weiß, das er sterben wird. Und er lebt jeden Tag seines Lebens, als wäre es sein letzter. Fern, die schlau ist, aber nicht hübsch, und trotzdem in allem um sich herum das Schöne erkennt. Fern, Bailey und Ambrose. Drei Jugendliche in einer Kleinstadt in den USA, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Drei Jugendliche, die dachten, sie wüssten, was das Leben für sie bereithält. Und denen das Schicksal in die Quere kommt …

Unterschiedlicher können die Protagonisten nicht sein. Es ist natürlich so angelegt, dass sich der Leser wahrscheinlich einen Liebling heraussucht und sich mit diesem auf seine intensive Lebensreise begibt.

Im eigentlichen Fokus, so kam es mir vor, steht Fern. Sie ist das Bindeglied zwischen Bailey und Ambrose, was im Laufe der Geschichte sehr deutlich wird. Sie denkt selbst von sich, dass sie nicht schön ist und es nie sein wird, denn ihre Mutter sagt einmal so etwas zu ihr. Fern ist sehr schüchtern und nimmt manchmal alles auf sich, um für Bailey da zu sein. Ob das ein Leben ist, muss der Leser selbst entscheiden, denn sogar ihre Eltern meinen, sie ist geboren um Bailey auszugleichen.

Bailey hat mir sehr gut gefallen. Er ist ein schlauer Bursche, der einfach arm dran ist und wenigstens nicht immer nach Gott fragt. Das hat mir in diesem sehr amerikanischen Buch noch gefehlt. Seine Einstellung zum Leben kommt sehr gut zur Geltung, auch wenn ich nicht immer einverstanden bin, wie er in Szene gesetzt wird.

Ambrose ist das Gegenteil der beiden, aber ob er das sein will? Auch er streitet sich mit sich selbst und um seinen Platz im Leben. Alle Protagonisten haben das Alter, in dem ihnen alle Wege offen stehen und dieser Umstand überfordert manchmal sehr. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, sie sind alle viel jünger als sie tatsächlich sind.

Amerikanische Kleinstadt mit all ihren Mythen und Legenden, die wir auch aus Hollywoodfilmen kennen. Es gibt den Sportfreak, der Zweifel hat, das nicht so hübsche Mädchen und den im Rollstuhl, der immer in der ersten Reihe sitzen darf. Es erinnert mich wirklich an einen dieser Highschool Filme und das ist nicht wirklich böse gemeint, denn das Buch versucht wirklich etwas zu vermitteln. 

Meine Rezension beginnt heute mit dieser Frage oben, denn ehrlich gesagt, weiß ich bis heute nicht, was ich von dem Buch halten soll. Es ist nicht das Handwerk, was mir zu schaffen macht, sondern der dargebrachte Inhalt, die versteckten Gedanken und und und. Einige werden meine Gedankengänge nicht verstehen und ich werde sie so vorsichtig wie möglich formulieren, möchte aber schon einmal sagen: Ich will niemanden angreifen, verstehe jede Trauer und allen Ernst in bestimmten Lagen. Nur die Konsequenzen stoßen mir manchmal auf.

Drei Jugendliche, deren Leben sich verbindet. Erst langsam und zaghaft erinnern sie sich an Bande, die mal zwischen ihnen herrschten oder die komisch entstanden waren. Sie sind auf den ersten Blick kein Freundetrio, am Anfang erst ein Paar und am Ende könnte ich von Trio sprechen.

Es ist die Entwicklung der Drei, die der Leser beobachtet und dabei stehen Ferns Selbstvertrauen, Baileys Krankheit nebst Todesangst und Ambrose Leistungsdruck  im Vordergrund. Ambrose ist auch derjenige, der mein Problemthema aufwirft.

Ich sage es Euch einfach und wenn ihr meint dies ist ein Spoiler, dann tut es mir wirklich leid. Es geht auch um die Geschehnisse am 11. September. Dieser Inhalt des Buches kam für mich sehr überraschend. Thematisiert wird er vor allem durch den Gedanken, der seit damals oft vorherrscht: “Ich will etwas für mein Vaterland tun.” Dieser Gedanke ist nicht falsch, hätte aber in dem Buch nicht sein müssen. Unterschwellig fühle ich mich nicht angegriffen, dass wäre zu viel gesagt, aber es wird immer in die große Wunde der USA hinein gestossen und wir alle wissen, dass das wirklich schlimm war. Wir erinnern uns alle daran. Aber mir kam auch der Gedanken, wenn es immer wieder Bücher darüber gibt, kommt dann alles mal zur Ruhe? Nein, kommt es nicht. Und ich rede hier nicht davon, dass irgendwer aufhören soll daran zu denken, es sogar zu vergessen und nicht mehr für sein Vaterland einzustehen, sondern einfach nur an die Idee weniger pathetisch darüber zu reden und immer wieder den Leser mit der Nase auf das damalige Schreckliche zu stoßen und zu sagen: “Das ist uns passiert – nicht Euch!” Dieses Gefühl hatte ich leider.

Noch dazu kommt, dass es am Ende eine Szene gibt, die man wirklich Heldentod nennen kann. Auch das empfand ich als sehr übertrieben. Ich hätte mir einen ruhigeren Tod gewünscht, der viel authentischer gewesen wäre, als dieser.

Durch den Pathos und dieses Gefühl immer mit Schuld zu sein und es nicht erlebt zu haben, konnte ich mich nicht richtig auf Fern und Co. einlassen. Das tut mir sehr leid.

Das Cover verspricht Hoffnung, Leben und ein bisschen Freude. Der Roman an sich soll diese Dinge wohl auch versprühen. Den Originaltitel “Making Faces” finde ich fast bedeutungstragender als den deutschen Titel.

Es war die Art und Weise, wie die Autorin immer wieder auf das Schicksal und die grausame Welt hingewiesen hat, die mir das Gefühl gab, in der Geschichte nicht Zuhause zu sein. Ich, als einzelner Mensch kann dem Schicksal begegnen und die Drei erst recht, aber es war mir zu viel Pathos und zu viel Patriotismus, der unterschwellig wirkte.