Ich versuche es seit einiger Zeit immer wieder. Wünsche mir nichts mehr, als das meine Mitmenschen mich etwas verstehen. Vorbereitet sind auf das, was passieren könnte. Und doch schauen sie mich mit großen Augen an, wenn ich beginne zu erzählen, wie es wirklich in meinem Inneren aussieht, welche Kämpfe ich in jeder Sekunde ausführe.
Was, Du hast Depressionen? Aber…
Das ist so eine typische Reaktion. Wer mich nur aus dem Alltag kennt, sieht nur das, was ich bereit bin zu zeigen. So machen das aber sicher viele Menschen, auch ohne dabei irgendeine Krankheit verstecken zu wollen.
Kann ich mittlerweile recht gut: diese andere Kerstin auftreten lassen. Obwohl ganz tief in mir ich das ja eigentlich auch bin. Aber sie wurde halt weggesperrt. Ganz weit. Und meistens ist sie nur eine Illusion aus vergangener Zeit, die die Anderen zu sehen bekommen. Ein „falsches“ Wort und die Fassade bricht zusammen. Dann reagiere ich entweder wütend oder suche mir einen einsamen Platz um mich und mein Leben zu bedauern.
Wie hat ein Kollege neulich erstaunt gesagt: „Wie, Du bist down? Aber Du hüpfst doch den ganzen Tag wie ein aufgezogenes Duracell-Häschen durch die Gegend.“ Das war kurz bevor ich in einen Weinkrampf verfallen bin. Natürlich heimlich auf dem Klo. Um so schlechter es mir geht, um so mehr zeige ich genau das Gegenteil.
Warum bedauerst Du Dein Leben?
Tja…
Rein materiell ging es mir lange nicht so gut. Ich habe zwei wundervolle Menschen, die sich immer wieder bemühen mich aufzufangen. Und gerade ihnen versuche ich am meisten weh zu tun. Warum? Keine Ahnung. Bin kein Psychologe. Vielleicht, weil sie die Einzigen sind, denen ich zutraue, damit umzugehen. Die wirklich erahnen, was mit mir los ist.
Ich bedauer mein Leben nicht wirklich. Ab und an ist da die Trauer. Metergroß. Aber den größten Teil des Tages ist es eher eine Art Neutralität, die von mir Besitz ergriffen hat. Ich halte mir in besonders schweren Momenten vor Augen, was alles besonders gut derzeit läuft und… es bedeutet mir nix… ich bin leer… kann es nicht fassen… nicht in mir aufnehmen und damit die traurigen und wütenden Gedanken verscheuchen… Und wenn ich das bemerke macht es Alles nur noch schlimmer: die Erkenntnis, in diesen Momenten nichts positives zu fühlen bringt mich zu dem einziegen – für mich dann – logischen Gedanken: „Dann kann ich genauso gut ganz weg sein.“…
Es gab vor langer Zeit schon einmal für mich den Punkt, an dem ich meinem Leben freiwillig ein Ende setzen wollte. Als ich dieses Tief überwunden hatte schwor ich mir, dass ich da nie wieder hin will. Nie wieder so fühlen, dass ich mir selbst nix mehr wert bin. Und was ist jetzt? Jetzt bin ich genau an dem selben Punkt wieder und muß mich immer wieder von diesen Gedanken wegziehen. Solange Jemand in der Nähe ist, der mich einfach nur festhält ist alles gut. Aber wehe, mich erwischt es, wenn ich allein bin. Zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit. Denn diese „Phasen“ kommen total unangekündigt. Aber dann mit voller Wucht. Und alleine dagegen anzukämpfen schafft man sicher eine Zeit lang. Aber für immer?
Apropos für immer
Wird die Depression für immer bleiben? Ein ewiger Begleiter sein? Ich wünshe mir nichts sehnlicher, als diese Frage mit „Nein.“ zu beantworten. Doch woher soll ich die Antwort nehmen, woher wissen?
Ein Hoffnungsschimmer ist, dass meine Depri durch Trauer ausgelöst wurde. Meine Doktorin hat mir erklärt, alles was sich innerhalb des ersten Halbjahres „abspielt“ „normal“ ist. Sie vergaß nur zu erwähnen, dass man diese Zeit erst mal überleben muss…
Gibt es keine Hilfe?
Nun ja… ich habe den Eindruck, dass Johanniskraut geholfen hat. Zumindest in den Wochen, in denen ich es eingenommen habe. Als ich mit Michelle in Paris war, war die Euphorie so groß, dass wir es beide abgesetzt haben. Großer Fehler. Nach einer Woche folgte die Erkenntnis: das Kraut hilft und wir nehmen es wieder.
Das letzte Wochenende war toll, durchaus positiv und voller schöner Momente. Und doch hat mich auch diese Fülle an Emotionen so geflasht, dass ich Sonntag Abend zusammengebrochen bin. Schon krass. Aber anscheinend muss ich lernen, auch positives wieder verarbeiten zu können. Hoffentlich bald. Denn wenn ich das nicht schaffe, wie soll es dann weitergehen?