Kann ich das überhaupt?

Von Beautifulvenditti

Nicht, dass ich nicht wollte, im Gegenteil. Ich liebe es, mein Leben mit anderen zu teilen, lerne auch gerne neue Menschen kennen, baue mit Begeisterung an Freundschaften mit. Am liebsten hätte ich jeden Tag jemanden zu Besuch. Zuweilen aber frage ich mich, ob in unserem Leben überhaupt noch Raum ist für neue Freundschaften, wo es doch schon schwierig genug ist, für die Beziehungen Zeit zu finden, die seit Jahren bestehen. 

Liebend gerne lasse ich alles stehen und liegen, wenn jemand bei uns Kaffee trinken oder einfach ein wenig quatschen möchte. Bloss, kann sich ein Gast bei uns überhaupt noch wohl fühlen, wo er doch nur äusserst selten die ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt? Mal verwickeln mich die Kinder in peinliche Diskussionen über meine schlimmsten Erziehungsfehler, mal muss ich die gemütliche Runde unterbrechen, weil eines der Kinder chauffiert werden muss, mal habe ich nichts ausser Getränken anzubieten, weil weder Zeit zum Backen noch zum Einkaufen blieb, mal fällt mir mitten im gemütlichen Beisammensein eine Verpflichtung ein, die sich nicht verschieben lässt. Neulich musste ich gar eine liebe Person abwimmeln, weil in der Küche gerade das nackte Chaos ausgebrochen war und jeder, der den Raum betreten hätte, für immer auf dem Fussboden kleben geblieben wäre. 

Nach solchen Erlebnissen überkommen mich jeweils grosse Zweifel, ob das mit mir und den lieben Mitmenschen überhaupt funktionieren kann, ob ich überhaupt alles bieten kann, was man von einer Freundschaft erwarten dürfte. Doch spätestens dann, wenn wieder jemand ganz spontan bei uns hereinschneit oder wenn Freunde, auf die wir uns wochenlang gefreut haben, mit uns am Tisch sitzen, wird mir klar, dass ich solche Zeiten um nichts in der Welt missen möchte. Darum bleibe ich so gut als möglich dran und hoffe darauf, dass unsere Freunde – ob neue oder uralte – trotz all meiner misslungenen Bestrebungen erkennen können, wie viel sie mir bedeuten.