Kanada-Seifenoper Teil 1: Die Vorgeschichte

“Du glaubst nicht, wer mich im Facebook gefunden hat,” berichtet meine Freundin Caroline eines Abends im Mai. “Mein Schwarm aus der achten Klasse. Wir haben hinter der Kirche Händchen gehalten. Er war 15, ich 12. Das war voll skandalös.” Ich drücke mein aufrichtiges Entzücken aus, nehme an, dass sich das Thema erledigt hat und beginne, über etwas anderes zu reden. Caroline lässt nicht locker – “Er hat mir seit gestern 700 Nachrichten geschickt” (grobe Schätzung meinerseits, da ich mich an die genaue Anzahl nicht erinnern kann). Anscheinend hat sich das Thema nicht erledigt. “Und… gefällt er dir?” Ich will ja keine Spielverderberin sein. Grins. Sie habe ihn ja seit fast 20 Jahren nicht gesehen. Aber er schreibe Gedichte und sei von Beruf Koch. Ich stimme zu, dass Ersteres super-romantisch und Letzteres ultra-sexy ist. Ein kochender Poet.

Jackpot.

Wo der Haken sei, frage ich, und erfahre, dass der Kerl – nennen wir ihn Moritz – nicht nur einen Haken hat, sondern zwei. Erstens, er lebt seit einigen Monaten in Kanada. Auf so einer Insel, Prince Edward Island. Da kocht er im Restaurant seiner Eltern, was ich spontan uncool finde, aber das gebe ich natürlich nicht zu. Zweitens, nunja, es sei kompliziert. Seine Mutter und Carolines Mutter waren mal beste Freundinnen. Dann kam es zu einem Streit und Moritz Mutter hat versucht, zu erreichen, dass Carolines Mutter von ihrer Führungsposition bei den Pfadfindern entlassen wird. Die beiden haben seitdem kein Wort gesprochen und Caroline weiß nicht, warum. Es könnte daran liegen, dass Carolines Schwester einmal gepetzt hat, dass Caroline und Moritz miteinander geschlafen haben – in einem Zimmer miteinander, nicht miteinander miteinander – und die Nachricht gradios fehlinterpretiert wurde. An ein anderes Konfliktthema kann sich Caroline nicht erinnern.

Moritz in Kanada entwickelt sich über den Verlauf einiger Wochen zum Hauptgesprächsthema. Moritz schreibt Gedichte, Moritz ist echt süß, die beiden führen tiefe, innige Gespräche, skypen und schicken sich täglich mehrere hundert SMS (das ist keine grobe Schätzung und auch keine Übertreibung). Wir sollten Kanada fahren, um Moritz zu besuchen, schlägt Caroline vor. Das war nur ein Scherz. Aber eigentlich war es ernst gemeint.



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