Kampfplatz Deutschland (Welt Online, 14. März 2010)

Kampfplatz Deutschland (Welt Online, 14. März 2010)Neue Forschungen belegen: Nicht nur Hitler plante einen Kampf gegen die Sowjetunion, Stalin und seine Genossen rüsteten bereits viele Jahre davor zum Angriffskrieg gegen den Westen. Bei den Plänen der Sowjetunion für einen ideologisch bedingten Vernichtungskrieg soll Deutschland eine Schlüsselrolle gespielt haben. …

Die sowjetische Propaganda …  blendete …das fast zwei Jahre währende deutsch-sowjetische Kriegsbündnis und vor allem die eigenen, lange bestehenden intensiven Kriegsvorbereitungen und Angriffsabsichten aus.

Die neuesten Aktenfunde in den Moskauer Archiven belegen, daß die Sowjetunion ab Ende der 1920er Jahre, besonders intensiv nach dem sogenannten Schwarzen Freitag (Beginn der Weltwirtschaftskrise, 25. Oktober 1929), zum ideologisch bedingten Vernichtungskrieg gegen den Westen massiv aufrüstete. Stalin und seine Genossen gingen davon aus, daß die Krise bald in einen „imperialistischen Krieg“ münden würde, der wiederum die Voraussetzungen für den revolutionären Angriffskrieg schaffen würde.

Im Januar 1930 entwarf der spätere Marschall Michail Tuchatschewski die Konzeption des „Vernichtungskriegs“ gegen den Westen, die einen massenhaften Einsatz von Panzern (50 000), Flugzeugen (40 000) sowie den „massiven Einsatz von chemischen Kampfmitteln“ vorsah. Das Ziel des Angriffskrieges war, die kommunistische Herrschaft in Europa und der Welt mit Waffengewalt zu verbreiten.

Deutschland war durch Industriepotential und geopolitischer Lage wichtig

Und Deutschland kam in den Plänen der Bolschewiken für die Weltrevolution die Schlüsselrolle zu, und zwar aufgrund seines Industriepotentials, der Stärke seiner Arbeiterschaft, der künftigen disziplinierten Soldaten der Revolution sowie der geopolitischen Lage im Zentrum Europas. Die Bolschewiken betrachteten Deutschland als den Schlüssel zur Beherrschung Europas. Auf dem Weg dahin war allerdings das antikommunistische Polen zu überwinden.

Im Laufe des Jahres 1930 gelang es Tuchatschewski, Stalin für seine Idee des Vernichtungskrieges zu gewinnen. Ab Herbst 1930 wurden die sowjetischen Streitkräfte nach dieser Konzeption tiefgreifend umstrukturiert und umgerüstet sowie massiv ausgebaut. Die Rote Armee wuchs von 631.000 Soldaten im Jahre 1930 auf 1.033.570 im Jahr 1934 an; die Zahl der Flugzeuge stieg von 1149 auf 4.354, die der Panzer von 92 im Jahr 1928 auf 7.574 im Jahr 1934. Nach 1934 setzte die UdSSR die massive Aufrüstung fort. 1939 bestand die Rote Armee aus 1.931.962 Soldaten, sie verfügte über 10.362 Flugzeuge und 21.110 Panzer.

Zeitgleich erfolgte der rasante Aufbau der sowjetischen Kriegswirtschaft. Moderne Technologien, Anlagen und Waffenprototypen wurden im Westen eingekauft, finanziert mit Rohstoffexport (u.a. Getreide, Holz) und sogar mit gesteigertem Wodkaverkauf innerhalb des eigenen Landes.

Die ideologisch bedingte Expansion war nicht nur eines der Hauptmerkmale, sondern vielmehr das Hauptwesen des ersten kommunistischen Staates, den die Bolschewiken auf den Trümmern des russischen Zarenreiches errichtet hatten, und zugleich identitätsstiftende Grundlage des internationalen Kommunismus. Den Sieg der kommunistischen Revolution in Rußland betrachteten die bolschewistischen Anführer als den ersten Schritt zur Weltrevolution, und sie meinten das sehr ernst. Die heute zugänglichen Quellen aus den russischen Archiven, die teilweise veröffentlicht sind, lassen keinen Zweifel darüber, allerdings sind diese im Westen wenig bekannt, geschweige denn rezipiert.

Diese Verweigerung gegenüber den historischen Fakten und Quellen ist zum einen durch ideologische und politische Verblendung zu erklären, zum anderen wohl durch die Angst, dies würde den angenommenen deutschen „Vernichtungskrieg“ gegen die UdSSR relativieren. Ob jedoch dies die Verfälschung der historischen Fakten rechtfertigt, ist stark zu bezweifeln. Mit wissenschaftlichen Grundsätzen ist das auf jeden Fall nicht vereinbar.

Es verwundert daher nicht, daß die heutige westliche Forschung die sowjetische Propaganda von der angeblich defensiven, ja „friedliebenden“ Außenpolitik der Sowjetunion weitgehend widerspiegelt. Die damalige sowjetische militärische Kriegstaktik wird nach wie vor als „offensive“ beziehungsweise „Vorwärtsverteidigung“ beschrieben, ein Kunstgriff der sowjetischen Propaganda, auf den zahlreiche westliche Forscher und Autoren hereinfielen, ich selbst nicht ausgenommen. Erst die umfassende und äußerst spannende Lektüre einschlägiger Dokumente in den Moskauer Archiven hat mich veranlaßt, meine durch die westliche Forschung und kommunistische Propaganda geformte Meinung zu revidieren und weiterzuforschen.

Kampfplatz Deutschland (Welt Online, 14. März 2010)Erstaunlicherweise sind russische Historiker in dieser Hinsicht viel aufgeschlossener. Für nicht wenige von ihnen ist nicht die Frage interessant, ob Stalin Deutschland angreifen wollte, denn davon gehen sie aus, sondern wann er das beabsichtigte. Dies gilt natürlich nicht für die Geschichtspolitik des heutigen russischen Staates, die weiterhin auf die Propagandaparole von der „friedliebenden“ Sowjetunion setzt.

Fakt ist aber, daß ab 1930 die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft der Sowjetunion dem einen Ziel, den massiven Vorbereitungen zum revolutionären Eroberungskrieg, untergeordnet wurde. Um das durchzusetzen, überzogen die sowjetischen Kommunisten das ganze Land mit beispiellosem Massenterror gegen diejenigen, die diese Vorbereitungen „sabotieren“ und im künftigen Krieg das eigene Hinterland gefährden könnten.

Stalin hatte den Großen Hunger künstlich hervorgerufen

Anfang 1930 ließ Stalin auch die Zwangskollektivierung entscheidend beschleunigen und zugleich einen Vernichtungsfeldzug gegen die Bauern beginnen, um den breiten Widerstand gegen die Kollektivierung zu brechen. Es ging darum, sich uneingeschränkten Zugriff auf die bäuerlichen Erträge zu sichern, um damit die gigantische Aufrüstung zu finanzieren. In die kommunistischen Konzentrationslager wurden Hunderttausende Bauern und andere konterrevolutionäre Elemente eingewiesen oder gleich erschossen. Etwa 1,5 Millionen Menschen (meistens Kinder und Frauen) verschleppten die sowjetischen Kommunisten in den Jahren 1930/31 in die unwirtlichen Tiefen des Riesenreiches. Hunderttausende von ihnen starben in der Verbannung an Hunger, Kälte, Krankheiten und Entkräftung. Die meisten Opfer waren Kinder. In manchen Verbannungsorten betrug die Kindersterblichkeit im Frühjahr 1930 und 1931 um 10 % im Monat.

Im Jahre 1932 und 1933 folgte der Große Hunger, den Stalin und seine kommunistischen Genossen nachweisbar künstlich hervorgerufen hatten. Etwa zehn Millionen Menschen starben damals, davon etwa fünf bis sechs Millionen Ukrainer. Der Große Hunger war die größte demografische Tragödie in Europa in Friedenszeiten seit dem Mittelalter, (übertroffen erst durch die Maßnahmen der militärischen Sieger 1945 gegen Deutschland. Bekanntlich sind mehr deutsche Zivilisten NACH 1945 von den Alliierten rechtswidrig zu Tode gebracht worden, Rheinwiesenlager, Vertreibungstote, Hungerkatastrophe in den deutschen Städten, Verschleppung, Zwangsarbeit, als die Deutsche Wehrmacht an Gefallenen im Kriege zu beklagen hatte. Die Schätzungen der Opferzahlen gehen bis 13,5 Millionen Toter, die Red.) Und die westliche Öffentlichkeit ignorierte weitgehend diese ungeheuerliche menschliche Katastrophe, schlimmer noch, es gab im Westen genug „fortschrittliche“ Intellektuelle, die diese Massenverbrechen rechtfertigten und verharmlosten.

Stalin, seine Genossen und der gesamte kommunistische Bürokratieapparat verwandelten in den 1930er Jahren die Sowjetunion in ein gigantisches Zwangsarbeitslager, und alles nur zu dem einen Zweck, das Land auf einen langjährigen revolutionären Eroberungskrieg vorzubereiten.

Die rasant steigende Masse an Kriegsmaterial und -ausrüstung ging allerdings nicht mit einer entsprechenden Qualität einher. Flugzeuge und Panzer wurden mit groben Produktionsmängeln ausgeliefert und waren vor allem ausgesprochen pannenanfällig. So verlor die sowjetische Luftwaffe in den dreißiger Jahren bei den unzähligen Unfällen über 2.000 Flugzeuge, etwa 1.000 Flieger kamen dabei ums Leben. Und von den etwa 7.000 Panzer im Jahre 1933 waren kaum welche kampffähig. Die Soldaten waren hingegen schlecht ernährt, bekleidet, ausgebildet, geführt und zudem unmotiviert. Sie waren keineswegs willige Soldaten der kommunistischen Revolution. Ähnlich kritisch stand es um die Kriegswirtschaft. Unzählige Ausfälle, Pannen und Unfälle waren die Folge, die grundsätzlich als Sabotage gedeutet und geahndet wurden.

Stalin und deutsche Kommunisten trugen zum Erfolg Hitlers bei

Der große Terror der dreißiger Jahre hat seine Wurzeln in den nicht wie geplant verlaufenden Kriegsvorbereitungen und den dabei erlittenen Rückschlägen. Er entwickelte Eigendynamik und erfaßte nach und nach alle Sparten von Staat und Gesellschaft. Tiefgreifende Säuberungen innerhalb der Roten Armee, des Partei-, Staats-, Wirtschafts- und Sicherheitsapparats folgten in den Jahren 1937 und 1938. Am meisten betroffen war jedoch nach wie vor die bäuerliche Bevölkerung, die zu Sklaven des kommunistischen Bürokratieapparates degradiert wurde.

Die Weltwirtschaftskrise mündete nicht im „imperialistischen Krieg“, wie Stalin gehofft hatte. In Deutschland kam Adolf Hitler durch Wahlen an die Macht, wozu Stalin und die deutschen Kommunisten nachweislich und nicht unwesentlich beitrugen. Hitler baute seine Macht zur Diktatur aus und rüstete Deutschland ab 1935 wieder auf. Stalin hielt jedoch die antisowjetische Rhetorik Hitlers für ein Täuschungsmanöver, um Frankreich „einzulullen“, wie er es im Jahre 1935 formulierte. Stalin ging davon aus, daß das vorrangige Ziel Hitlers die Wiedereroberung der nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete sei, was ja in einem „imperialistischen“ Krieg münden mußte. Die Ereignisse der Jahre 1938 und 1939 schienen Stalin Recht zu geben.

Kampfplatz Deutschland (Welt Online, 14. März 2010)Es verwundert daher nicht, daß Stalin die Vorbereitungen zum Angriffskrieg gegen den Westen noch intensivierte. Daran änderte auch die Erschießung Tuchatschewskis und seiner engsten Mitarbeiter im Juni 1937 nichts. Der Pakt mit Hitler vom 24. August 1939 bedeutete für Stalin nur ein vorübergehendes Zweckbündnis, genauso wie für Hitler. Stalins Ziel war es, Europa in einen Krieg zu stürzen und die westlichen Länder ausbluten zu lassen, um im geeigneten Moment anzugreifen, wie aus seinen eigenen Aussagen und denen seiner Vertrauten hervorgeht. Stalins Rechnung ging im September 1939 auf, der ersehnte Krieg in Mittel- und Westeeuropa brach aus.

Der Pakt mit Hitler ermöglichte es Stalin zugleich, die kommunistische Herrschaft über die Grenzen der UdSSR hinaus zu verbreiten. Im September 1939, mit dem Überfall auf Polen, schlug die Sowjetunion den Weg der „offensiven Politik“, das heißt des revolutionären Eroberungskrieges ein, den die Sowjetunion immer verfolgt hatte, wie Andrej Schdanow, einer der engsten Mitarbeiter Stalins, am 4. Juni 1941 in einer Sitzung im Kreml unmißverständlich formulierte. Pazifistisch sei lediglich die sowjetische Propaganda gewesen, erklärte Schdanow.

An der Grenze entstand die größte Invasionsarmee aller Zeiten

Spätestens ab Ende 1940 bereitete sich Stalin nun sehr intensiv auf den Angriff auf Deutschland vor, wobei er trotz zahlreicher Warnungen nicht an die unmittelbaren deutschen Kriegsabsichten glaubte. Er ließ die Armee noch einmal grundlegend umstrukturieren, ausbauen und umrüsten. Im Frühjahr 1941 war Stalin unbestreitbar dabei, entlang der deutsch-sowjetischen Grenze die größte Invasionsarmee aller Zeiten aufzubauen, um im geeigneten Moment seinen deutschen Verbündeten zu überfallen.

Neue Flugplätze entlang der deutsch-sowjetischen Grenzen wurden gebaut und alte ausgebaut, die serienmäßige Produktion von neuen Kampfflugzeugen und Panzern aufgenommen, um die Streitkräfte im Laufe des Jahres 1941 umzurüsten. Die Eisenbahnlinien und Straßen bis zur deutschen Grenze hin wurden massiv ausgebaut, Vorräte an Lebensmitteln, Treib- und Rohstoffen für den künftigen Krieg angelegt. Auch eine polnische Division ließ Stalin am 4. Juni 1941 errichten, die im Krieg gegen Deutschland eingesetzt werden sollte. Der Hauptstoß sollte ja durch das deutsch besetzte Polen gehen.

Inmitten dieser Vorbereitungen, am 22. Juni 1941, „überfiel“ NS-Deutschland die Sowjetunion, ohne daß Hitler und seine Generäle von den auf Hochtouren laufenden sowjetischen Kriegsvorbereitungen in ihrer Gesamtheit etwas geahnt hatten. Sie waren vor dem 22. Juni 1941 über den Stand der Kriegsvorbereitungen nicht „im Bilde“, wie es Goebbels am 19. August 1941 in seinem Tagebuch formulierte. (Allerdings erklären andere Quellen, daß Hitler recht genau über die Angriffsarmee Stalins orientiert war, bloß wurde ihre Stärke unterschätzt)

… Stalin betrachtete Deutschland als Schlüssel zur Beherrschung Europas und der Welt. Der Kampf gegen die UdSSR endete für Hitlers Deutschland mit totaler Niederlage, die Sowjetunion konnte aber ihre Herrschaft bis an die Elbe ausbreiten – dazu noch mit dem Nimbus des Befreiers von der „faschistischen“ Terrorherrschaft, der bis heute gepflegt wird. (Es sollte auch nicht vergessen werden, daß ein hoher, vermutlich kriegsentscheidender Anteil an Kriegsmaterial von den USA in die SU geliefert wurde, bereits 1939/1940: Cui bono? Red.)

Der Autor ist Historiker.  Sein Buch „Kampfplatz Deutschland – Stalins Kriegspläne gegen Deutschland“, verlegt der Propyläen Verlag.


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