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Nach dem Schwangerschaftsabbruch kühlte mein Verhältnis zu Italo merklich ab.Nach wie vor besuchten die Kinder und ich ihn in Italien, wenn ich frei hatte. Die Kinder sollten den Bezug zu ihrem Vater nicht verlieren.
Er kam uns in Deutschland so gut wie nie besuchen.
Auch hielt ich den Kontakt zu Italo's Familie für die Kinder aufrecht. Italo kam ja aus einer kinderreichen Familie. Entsprechend viele Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen hatten Bianca und Marco da.
Es fiel mir nicht leicht dies zu tun, ich wusste ja, dass die Familie mir die Schuld an Italo's Alkoholismus und am Scheitern unserer Ehe gab.
Trotzdem. Das hatte nichts mit den Kindern zu tun und ich fand, ich hatte einfach nicht das Recht, den Kindern diesen Teil ihrer Familie zu nehmen, nur weil ihr Vater und ich nun getrennte Wege gingen. Im Gegenteil, ich sah es als meine Pflicht dafür zu sorgen, dass sie den Kontakt zu diesem Teil ihrer Wurzeln nicht verloren.
Den unbefristeten Arbeitsvertrag bekam ich auch und endlich konnte ich ein bisschen entspannter in die Zukunft schauen. Zwar verdiente ich nach wie vor nicht viel und es reichte gerade mal so zum Leben. Doch ich war froh und dankbar für die Arbeit, die uns ernährte. Italo zahlte jahrelang keinen Unterhalt. Er begründete es damit,dass er in Italien noch den Kredit für die Möbel abzahlen musste. Außerdem war er nach bekannt werden seiner Krankheit degradiert worden und verdiente nun weniger. Er sagte, es reiche ihm gerade so zum Leben.
Mir war das damals nicht wichtig. Ich verdiente genug für uns drei. Und ich hatte meine Ruhe. Keine Streitigkeiten mehr, keine Nötigung wegen ehelichen Pflichten, keine Schläge mehr. Ich genoss das sehr.
Ich kam zur Ruhe und war mit meinem Leben zufrieden, auch wenn es sehr anstrengend war.
Die Kinder hatten sich wunderbar eingelebt. Bianca und Marco waren vollständig integriert in ihr neues Umfeld. Bianca verlernte mit der Zeit die italienische Sprache komplett. Sie wollte ja seit langem nur noch deutsch sprechen, aber sie verstand noch italienisch. Doch auch das Verstehen verschwand bald gänzlich. Es war. als hätte sie nie die knapp 2 Jahre in Italien verbracht.
Marco fing nun an zu sprechen. Lange hatte er damit gewartet, doch jetzt holte er alles nach und sprach wie ein Buch, manchmal auch ohne Punkt und Komma.
Durch die Versicherungsgesellschaft, bei der ich angestellt war,bekam ich nach ein paar Monaten eine Mitarbeiterwohnung, die deutlich günstiger war als die Wohnung, in der wir bis jetzt gewohnt hatten. Dadurch hatte ich es finanziell etwas leichter und endlich konnten wir uns einen Telefonanschluss leisten. Von unserem alten Auto hatten wir uns vor einiger Zeit trennen müssen, der Schrottplatz trennte uns. Ich bekam ein Mitarbeiterdarlehen und konnte mir so wieder ein neues Auto kaufen. Das war wieder eine größere finanzielle Belastung, aber durch die geringere Miete machbar. Nach wie vor war Sparen, Sparen, Sparen angesagt, doch wir waren auch mit wenig Geld zufrieden.
Wir bekamen eine 3-Zimmer-Dachgeschoss-Wohnung. Sie hatte zwar keinen Balkon, aber zum Haus gehörte eine große Wiese, auf der die Kinder spielen konnten. Endlich bekam jedes Kind sein eigenes Zimmer. Ich schlief nach wie vor weiter im Wohnzimmer auf der Couch. Bianca und Marco waren mittlerweile knapp 3 und 6 Jahre alt. Für Bianca stand die Einschulung bevor und Marco sollte von der Kinderkrippe in die KiTa wechseln, in der Bianca auch war.
Die KiTa hatte auch einen Schulhort. Allerdings hatte der nur eine begrenzte Anzahl an freienPlätzen zu vergeben. Die Anzahl der freien Plätze war für die Anzahl der Kinder, die in den Hort wechseln mussten, viel zu gering. Es war klar, dass ein Großteil der Kinder keinen Platz bekommen würde. Bereits Monate vor dem Schulbeginn sprach ich mit der Heimleitung darüber, wie wichtig dieser Hortplatz für uns war. Ohne Hortplatz hätte ich nicht weiter arbeiten können und wir wären evtl. zum Sozialfall geworden. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Doch die Leiterin vertröstete mich immer. Eine Entscheidung würde erst kurz vor Schulbeginn fallen, sagte sie bei jedem Gespräch. Trotzdem ließ ich nicht locker und erklärte ihr immer wieder die Brisanz unserer Situation, denn wenn ich den Job bei der Versicherung verlieren würde, dann würde ich auch die Wohnung verlieren.
Bei einem unserer Gespräche sagte die Heimleiterin zu mir:
"Wissen Sie Frau Hahn, ich verstehe, dass Sie auf diesen Platz für ihre Tochter angewiesen sind. Aber es gibt noch mehr Eltern, für die auch ganz viel daran hängt. Selbst wenn die Eltern der Kinder Doppelverdiener sind und sich beispielsweise eine Eigentumswohnung gekauft haben, dann würden die auch ihre Wohnung verlieren, wenn die Mutter auf Grund des fehlenden Hortplatzes nicht mehr mitarbeiten könnte. Dann könnten sie die monatlichen Raten nicht mehr aufbringen und stünden vor dem gleichen Problem wie Sie!"
Ich war sprachlos! Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Hatte ich das gerade richtig verstanden? Ich würde unter Umständen keinen Hortplatz für Bianca bekommen, weil das Kind eines Ehepaares, das sich eine Eigentumswohnung gekauft hatte, den Platz bekommen würde, damit die Eltern weiterhin die Raten für die Wohnung bezahlen konnten?
Wir würden eventuell zum Sozialfall werden, damit andere sich eine Eigentumswohnung leisten konnten?
Ich verstand die Welt nicht mehr! Natürlich wäre es hart für diese Familie, wenn sie ihre Eigentumswohnung verlieren würden. Die Heimleiterin hatte aber eines vergessen. Selbst wenn die Mutter zuhause bei den Kindern bleiben müsste und nicht mehr mitverdienen könnte, dann hätte diese Familie immer noch den Vater als Ernährer. Wenn ich jedoch nicht mehr arbeiten gehen könnte, dann würde uns der Staat ernähren müssen!
Je länger ich darüber nachdachte, desto aufgebrachter wurde ich über diese Äußerung der Heimleiterin.
Am nächsten Tag bestand ich nochmals auf ein Gespräch mit ihr und sagte:
"Ich habe mir lange Gedanken gemacht über das, was Sie mir gestern gesagt haben. Ich bin absolut nicht Ihrer Meinung. Mich als alleinerziehende Mutter trifft es wesentlich härter als eine Familie mit Doppelverdienern, denn wenn ich nicht mehr arbeiten gehen kann, ist der Verdienstausfall 100%, bei Doppelverdienern liegt er bei 50%. Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass meine Kinder und ich zum Sozialamt würden gehen müssen, weil sie einen Hortplatz an eine Familie mit Doppelverdienern vergeben würden, damit die ihreEigentumswohnung pünktlich abbezahlen können. Und sollte das wirklich Ihr Ernst sein, dann bin ich der Meinung, dass dies die Presse erfahren sollte. Ich bin mir sicher, dass der Großteil der Öffentlichkeit auf meiner Seite stehen würde und nicht auf Ihrer. Bitte überdenken Sie nochmals Ihren Standpunkt und vergeben sie die Plätze nach sozialer Dringlichkeit."
Die Heimleiterin lief rot an. Ich hatte ihr ganz offen mit der Presse gedroht. Sie lief zur Höchstform auf und antwortete:
"Wenn Sie das so sehen, dann frage ich mich, wie es um das Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und uns steht. Wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und uns als KiTa, die ihre Tochter mit erzieht, zerrüttet ist, dann leidet Ihre Tochter darunter, denn dann ziehen wir nicht mehr am gleichen Strang. In diesem Falle wäre zu überlegen, ob wir uns nicht gleich zum Wohle Ihrer Tochter trennen sollten!"
Zuerst war ich sprachlos. Ich stand da, schnappte nach Luft und suchte verzweifelt nachWorten. Mit dieser Reaktion hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
Ich brachte nur noch stammelnd heraus: "Gut. Ich sehe, Sie wollen es nicht anders. Dann werden Sie über dieses Gespräch wohl wieder in der Zeitung lesen!"
Dann drehte ich mich um und ging Richtung Ausgang.
Ich war noch nicht an der Glastüre angekommen, da hörte ich eilige Schritte hinter mir und mein Name wurde gerufen.
"Frau Hahn, bitte warten Sie!" rief die Heimleiterin.
"Ich werde das alles nochmals mit meinem Vorgesetzten bei der Kirchenpflege besprechen und Ihnen schnellstmöglich Bescheid geben. Ich bitte Sie, bis dahin nichts weiter zu unternehmen!"
Aha! Jetzt hatte sie wohl doch noch begriffen, dass es mir ernst war. Ich hatte doch keine Wahl, ich musste um diesen Hortplatz kämpfen, auch mit diesen Mitteln,. wenn man mir weis machen wollte, dass ich als alleinerziehende Mutter nicht mehr auf einen Hortplatz angewiesen war wie eine Familie, bei der Vater und Mutter arbeiteten.
Ich ließ mich auf ihren Vorschlag ein und wir vereinbarten, dass ich innerhalb der nächsten 2 Wochen endgültig Bescheid bekommen würde. So lange musste ich gar nicht warten, bereits eine Woche später kam die Heimleiterin superfreundlich auf mich zu und bestätigte mir, dass ich einen Hortplatz für Bianca bekommen würde. Ich wollte diese Zusage schriftlich haben und am nächsten Tag hatte ich die schriftliche Bestätigung in der Hand. Auch die anderen betroffenen Eltern bekamen an diesem Tag mitgeteilt, ob ihr Kind in der Einrichtung bleiben konnte oder nicht. Diese Informationen wurden zeitlich wegen mir vorgezogen, denn man wollte nicht mir die schriftliche Bestätigung geben und die anderen Eltern noch warten lassen. Das wäre ungerecht gewesen.
Ich war sehr, sehr erleichtert, dass dieses Problem nun gelöst war und ich weiter arbeiten konnte. Auch Bianca freute sich sehr, dass sie die Einrichtung nicht verlassen musste und nun bald zu den Schulkindern gehörte.
Der Kampf hatte sich gelohnt. Unser gewohntes Leben ging weiter.