Unser Host Yogi hat uns während unseres Volunteering-Aufenthaltes in der Wüste von Rajasthan entführt. Auf die nette Art. Zu den schönsten Flecken der Wüstenstadt. Mit Stolz wurden wir ausgeführt, rumgeführt und hergezeigt. Ich denke jeder ist ein wenig stolz wenn er sein eigenes Land Fremden präsentieren kann, aber in Indien steht das nochmal eine Stufe höher. Die Menschen sind hier nicht nur hoch erfreut ihr Land zu präsentieren, sie sind noch viel erfreuter sich selbst mit den Fremdlingen vorzuführen. Wir spielen da gerne auch ein wenig Bollywood und gönnen unserem indischen Freund seine stolzen Momente. Für uns gibt es ja auch so einiges zu erleben.
Die größte Kamelzucht Asiens und Kameleis für alle
Ein kleiner Ford Fiesta holpert bepackt mit indischem Fahrer und 2 wuckees durch die Wüste von Rajastahn. Die Stimmung ist gut, denn unser (fast glücklich verheirateter) Host darf wieder mal von zu Hause raus, und wir sehen mehr von der Welt. Unser Ziel: eine Herde von Kamelen. Und zwar eine riesige Herde. Etwa 500 Tiere leben derzeit auf dem Areal der NRCCamel Farm am Rande von Bikaner. Und die Zahl steigt rasant, denn die Kamele erfreuen sich bis heute in Rajasthan einer langen Tradition und höchstem Ansehen.
Kamele kamen sogar während des ersten und zweiten Weltkrieges für die Berittenen Corps der Indian Army zum Einsatz und durften große Schlachten schlagen. Hauptsächlich wurden sie aber als Nutztiere eingesetzt. Das geschieht auch heute noch. Die Straßen der Wüstenstädte sind noch immer voll von Kameltransportern, die täglich Fracht von A nach B bringen. So ein Kamel ist eben mit rund $500 immer noch günstiger in der Anschaffung als ein kleiner Lastwagen und wenn die ersten Motoren im Sommer bei 50°C+ zu streiken beginnen, trabt das Kamel noch immer glücklich wiederkauend vor sich hin und verrichtet seine Arbeit.
Um 15h beginnt dann das Highlight auf der Farm. Hunderte Kamele werden vom freien Gelände in der Wüste Richtung Stallungen gelockt. Fütterungszeit!
Wer jetzt glaubt dass hier gleich Chaos ausbricht und sich die Tiere gegenseitig über den Haufen rennen, der irrt. So wie auch wir uns geirrt haben. Gemächlich schaukeln die Wüstenriesen herbei. In Massen wohlgemerkt. Oh Mann können die doof gucken! Ein bisschen mit der Lippe wackeln, ein bisschen grüne Zähne zeigen und natürlich vergnügt grunzen. Es ist ein drolliger Anblick. Ganz klar, wir lassen es uns nicht nehmen die Kamele gleich ein wenig mit zu füttern. Und so reichen wir „tonnenweise“ Grünzeug. Beim Melken steigen wir dann aber aus. Das überlassen wir doch eher den Profis. Ja ganz genau, Kamele werden gemolken und Kamelmilch ist eine wahre Delikatesse in Rajasthan. Wir sind uns zwar nicht ganz sicher wie viele Zitzen hier zur Verfügung stehen, aber normalerweise trinkt an einer das Junge und an der anderen wird gemolken. Wer schneller ist kriegt mehr lautet die Devise.
Übrigens kann man die Kamelmilch auch verkosten. Angeboten wird „camelchai“, „camelcoffee“, und „camel-Eis“. Neugierig wie wir sind gehen wir gleich in die Vollen und bestellen frei von der Karte. So gabs für mich Tee mit Kamelmilch und Martina genoss ein Kamelmilcheis. Resultat: „Nicht schlecht“. Der Chai schmeckte etwas „fülliger“ als mit Kuhmilch. Das Eis war einfach fruchtig. Der Fruchtgeschmack hat den Geschmack der Kamelmilch eben übertrumpft. Trotzdem lecker. Kamelmilch soll übrigens sehr gut bei Diabetes sein. Bei dem Zuckerkonsum hier in Indien haben das die Menschen auch bitter nötig.
Wir verabschieden uns von unseren 500 neuen Bekannten und machen uns auf den Weg zu unserem nächsten Ziel:
Der Karni Mater Tempel – Ein Heiligtum voller Ratten, Ratten, Ratten, Ratten, …
Der Rattentempel von Deshnok ist der so ziemlich eigenartigste Tempel den wir bisher auf unserer Reise kennenlernen durften. Der Hinduismus ist ja dafür bekannt, dass jegliche Art von Tieren respektiert und manche auch als Gottheiten verehrt werden. Aber ein Tempel voll freilaufender Ratten ist für den westlichen Verstand dann doch noch einmal ein ganzes Stück mehr zum Verarbeiten.
Das Eingangstor des Tempels erstrahlt in wunderbarer Pracht. Da wir schon vorgewarnt wurden, was uns in etwa erwarten würde, zogen wir unsere Schuhe unter dicken Sorgenfalten aus. Schuhe verboten, Socken dann gottseidank doch erlaubt. Zögerlich betreten wir den Tempel. Die ersten Ratten kreuzen unseren Weg. Wir schreiten durch das prunkvolle Tor und halten einen Moment inne. Langsam lassen wir unsere Blicke über den Innenhof schweifen. Wenn man darauf nicht vorbereitet ist, stehen die Chancen gut, dass man vom Stand weg umdreht und das Weite sucht. Tausende Ratten wuseln, hüpfen, fallen, laufen und springen in der Gegend herum. Der Boden ist überseht mit Rattenkot und diversem anderem Unrat. Dazwischen sitzen Menschen und beten, trinken Chai und musizieren. Wir versuchen dem Größten Unrat auszuweichen und dringen weiter in den Tempel vor. Rechts von uns wurde soeben eine riesen Schale mit Milch abgestellt. Im Bruchteil einer Sekunde macht sich ein ganzer Schwarm von pelzigen Nagern über die weiße Nahrung her. Wie aufgefädelt sitzen sie am Rand und schlabbern die Milch aus dem Gefäß.
Alles ist in Bewegung, nichts steht still. Hin und wieder kann man eine weiße Ratte erblicken, doch so schnell diese aufgetaucht ist, ist sie auch wieder weg. Angeblich bringt es Glück eine weiße Ratte zu Gesicht zu bekommen, und je mehr man sieht desto mehr Glück wird einem wiederfahren. Wir halten angestrengt Ausschau nach weißen Pelzflecken in einem Meer von dunklen Ratten. Bevor wir uns aber aufmachen um den übrigen Tempel zu erkunden, beobachten wir einen Mann der sich mit einer Thermoskanne über die Milchschüssel voll Ratten beugt und mit den schlürfenden Nagetieren um das weiße Gold kämpft. Wir sehen uns etwas ratlos an und suchen mit unseren Blicken Input bei Yogi dem indischen Host. „Der wird doch nicht etwa…“ frage ich unseren indischen Begleiter etwas fassungslos und blicke dem Mann mit der vollen Rattenmilch-Thermoskanne unglaubwürdig nach. „Poor people sleep sometimes in the temple. They cook their chai from that milk at night when it is cold“ erklärte uns Yogi mit einer Selbsverständlichkeit die unser Entsetzen noch verstärkte. Martina und ich blickten uns ungläubig an. Milchtee war für uns gestorben. Das war einfach zuviel Information! Das Ekelbarometer hatte bei uns voll ausgeschlagen und wir hielten für den Rest des Besuches einen ordentlichen Respektabstand. Zu den Ratten, und zu den Menschen.
Wenn einer eine Hochzeit feiert, dann bitte eine indische!
Wie kommt man auf eine indische Hochzeit? Das Fest der Feste. Lebensfreude, Essen, Trinken und Feiern im Übermaß mit unzähligen ausgelassenen Gästen. Was muss man tun um hier dabei zu sein? Wir haben die Antwort auf diese Frage gefunden: Es passiert einfach! Ja wirklich. Eine indische Hochzeit holt sich ihre Gäste zu sich. Mit ein wenig Glück und der Hilfe des Zufalls. So wie bei uns, als wir als letzte Station an unserem Ausflugstag den Stadtpalast von Bikaner, der zugleich ein tolles 5* Hotel beherbergt, besichtigten.
Dabei war der Stadtpalast für uns schon nichts Besonderes mehr. Nach wochenlangen Tempel und Palast-Besichtigungen in Rajasthan stumpft man schon mal ein wenig ab und wird wählerisch ;). Viel mehr faszinierte uns das Abendkleid in den der Palast gehüllt war. Es wirkte elegant und pompös zugleich. Ein Meer von Blumen, weißen Tüchern, rote Teppiche und prunkvolle Accesiores schmückten den Innenhof. Ein Kleid für einen besonderen Anlass. Ein Kleid für eine traumhafte indische Hochzeit.
Hochzeitsfeste sind in Indien ganz groß. Jeder Inder strebt danach eines Tages im Mittelpunkt so eines Festes zu sein – besser früher als später. Der Mythos der arrangierten Hochzeiten ist aber bittere Realität. Die Eltern der jungen Menschen suchen den Partner aus, passend nach Kaste, Ansehen und Vermögen der Familie. Auf unserer Reise durch Indien haben wir viele junge Menschen, junge Paare getroffen die das gleiche Schicksal teilen. Die große Liebe gefunden, eine Beziehung aufgebaut die toll funktioniert und eine Chance verdient hätte sich weiter zu entwickeln. Gemeinsame Träume und Zukunftspläne sind bereits vorhanden. Doch dann kommt plötzlich die indische Alltagsrealität dazwischen: Eltern welche das Band zwischen diesen Menschen niemals gut heißen würden. Warum? Kaste passt nicht, Glaube passt nicht, Ansehen und Vermögen der Familie passt nicht. In Indien betrifft eine Hochzeit nicht nur 2 Menschen. Es betrifft und involviert 2 komplette Familien, welche über Sein und Tun des Brautpaares bestimmen. Und diese Bevormundung der Familien stellt diese Paare oft vor unlösbare Probleme und tragische Schicksale. Denn eines ist ebenfalls klar: Eine Ehescheidung kommt nicht in Frage. Zu groß wäre die Schande für die Familien. Und so wird der Liebespakt Ehe oft zum lebenslangem Gefängnis zweier Menschen, aus dem es lebend kein entkommen gibt. Soviel zum Thema reality life India. Aber die Menschen arrangieren sich und finden einen Weg. So wie immer in Indien. Und dieser Weg, beginnt mit einem Fest. Und dieses Fest kann sich sehen lassen!
Wir besuchen also diesen Stadtpalast in Bikaner, welcher in den Endvorbereitungen für eine pompöse Hochzeit eines wohlhabenden Unternehmers aus Delhi steckt. Unsere Neugierde ist geweckt und unsere Streifzüge durch die Vorbereitungen bleiben auch nicht lange ungesehen. Der Hotelmanager gesellt sich zu uns. Er wirkt sichtlich ausgelassen und fröhlich, neugierige westliche Besucher zu sehen. Natürlich loben wir sein tadelloses Hotel und die unübersehbaren Aufwendungen die vollbracht wurden um sich für die Hochzeit herauszuputzen. Der Manager lächelt verlegen, serviert uns frischen Fruchtsaft und besteht darauf heute Abend als seine Gäste eine Weile der Hochzeit beizuwohnen. Schließlich müssen wir diese tolle indische Tradition erleben und der Welt berichten. Na klar, da helfen wir gerne! Wir genießen und berichten. Versprochen! Und zu berichten gibt es so einiges.
Wir nehmen an Rande der Gesellschaft Platz und beobachten das Treiben von der Seite. Die ersten Gäste trudeln ein und nehmen Platz. Die Getränke werden serviert und kleine Häppchen kreisen durch die Besucherreihen. Auch bei uns machen diese indischen Köstlichkeiten halt und vermindern sich rasant. Eine Volkstanzgruppe aus Rajasthan bezieht Stellung und unterhält die Menge mit tollen, traditionellen Tanzeinlagen. Euphorisch wird in den Besucherreihen geklatscht und mitgeschunkelt. Mittlerweile sind die Ränge gefüllt. Bis zu 2000 Menschen werden heute Abend erwartet. (+ 3 Ausflugsgäste am Seitenrang). Eine unglaubliche Menschenmenge für ein Hochzeitsfest. Frauen in den feinsten Saris, Männer in den schönsten Anzügen und traditionellen Gewändern aus Rajasthan. Eine Gesellschaft a la carte, aufgestellt für das junge Brautpaar. Das Militär steht Spalier. Die Musikkapelle bereit in den Startlöchern mit den Instrumenten im Anschlag. Die Tanzgruppe weht weiße Tüchern durch die Luft und die Menschenmenge hebt sich zum Gruß. Das Brautpaar betritt den Innenhof des Palastes.
Alles gerät in Bewegung. Jubel und lautes Geklatsche erfüllt die majestätischen Gemäuer. Ein sichtlich eingeschüchtertes und nervöses Brautpaar schreitet ihrem „Thron“ entgegen. Indische Glückwünsche werden durch die Menge gerufen, Reis wird geworfen und die Euphorie kennt keine Grenzen. Wir verfolgen gespannt das Ritual und lassen dabei die indischen Häppchen nicht aus den Augen. Zu gut ist einfach das Essen.
Üppiges Essen für die Gäste
Das Hochzeitsritual wird vollzogen und das Brautpaar darf sich nun zum ersten Mal offiziell richtig küssen. Der Startschuss für eines der größten Ess- Tanz- und Trinkgelagen ist gefallen, und für uns das Signal dem Brautpaar im Stillen für die himmlischen Häppchen zu danken und Lebwohl zu sagen.
EUR 20.000 wird diese Hochzeit kosten. Für indische Verhältnisse eine Lawine. Doch wird es sicherlich jedem Gast auch in Erinnerung bleiben. Besonders den 3 Ausflüglern vom Seitenrand.