Kalter Kaffee – eine Kurzgeschichte

Von Ralf Boscher @RalfBoscher
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Kalter Kaffee

Nerven wie Drahtseile sollte haben, wer zur Weihnachtszeit bei einem Partyservice arbeitet. Von wegen, Fest der Liebe! Bring’ mir meinen Drink’, sonst setzt es Hiebe! Manche Gäste sind wie verwöhnte Kinder, die schon zu lange auf das Christkind warten.

Aber der Gast ist Kunde, und der Kunde ist bekanntlich König. Freundlich lächelnd brachte ich also auch an jenem Abend Bier um Bier, schließlich war ich das grinsende Servicetier. Servierte flink einen Kaffee. Bitte? Ach nein, Sie wollten einen Tee. Nein? nun wollen Sie doch lieber einen Sekt, fragen, wie wohl der Gänsebraten schmeckt? Glauben Sie mir, an dem ist noch keiner verreckt!

Natürlich dachte ich dies nur im Eifer des Gefechts und lächelte dabei. Ich lief wie am Schnürchen, die Maschine stampfte und glühte. Beflissen führte ich meinen Bleistift über den Notizblock, Diener wie ich, und gehorsam nahmen wir die Bestellungen auf. Wir gingen lächelnd über jede noch so dumme Frage und dämliche Bemerkung hinweg, spielten alles herunter, was uns beleidigen könnte, um der guten Laune des Gastes keinen Stich zu versetzen.

Doch in der Phantasie, für einige Momente des Aufatmens, warf ich die Ketten zu Boden, und dort rammte ich – welch’ köstliches Bild! – den Bleistift dem nuschelnden, nörgelnden oder arrogant uns ignorierenden Gast wuchtig in die gekrönte Stirn.

Endlich war der grobe Andrang vorüber. Ruhe kehrte ein. Locker an den Tresen gelehnt zündete ich mir die erste Zigarette des Abends an. Voller Wohlgefühl nahm ich einen Zug. Ich hatte einen guten Job hingelegt. Das hast Du!, bestätigte mir eine leise Stimme.

Ich strich mir mit dem Bleistift ein paar Haare aus der Stirn. Sie waren nass von der ganzen Anstrengung. Gedankenverloren leckte ich am Stift. Hmmm!, meinte die Stimme, schmecke ich nicht gut, so schön salzig? Was stimmte. Ich lächelte über mich selbst. So weit kann es kommen. Zu viele Weihnachtsfeiern und zu wenig Schlaf. Jetzt unterhalte ich mich schon mit meinem Bleistift! Und der unterhält sich gern mit Dir! , antwortete die Stimme meinem Gedanken. Ich musste lachen. Das war lustig. Fand ich. Hielt mir den Bleistift vor das Gesicht. Wir sind schon ein gutes Team!, meinte der nun. Ja, pflichtete ich der Stimme bei und ließ den Bleistift durch meine Finger laufen, wir haben einen guten Job hingelegt.

Zärtlich schmiegte sich der Stift an meine Wange. Auch wenn sie es nicht zu schätzen wissen. Beileibe, das taten sie nicht! Ich bemerkte, wie einige Gäste mit Fingern auf mich zeigten. Nicht einmal eine kurze Zigarettenpause gönnen sie einem! Und wie sie schreien, merkte mein Bleistift an. Jetzt hörte ich sie auch. Als gehöre ihnen die ganze Welt! Hier! Hier! Hier!, äffte mein Stift sie nach und tanzte in meiner Hand. In diesem Moment sah ich das Blut an meinen Händen. Erschrocken zuckte ich zusammen. Hey!, meinte der Bleistift mit einem Schulterzucken in der Stimme, Auch dem Geduldigsten kann schon mal der Kragen platzen! Er streichelte mir übers Haar. Kalt lief es mir den Rücken hinunter, als er mir ins Ohr flüsterte: Wie bei dem Gast von vorhin! Mir wurde flau im Magen. Ich sah den Mann vor mir. Sein feistes, rotes Gesicht. Seine blutunterlaufenen Augen. Der beschwert sich nicht mehr über kalten Kaffee! Sanft klang mein Bleistift: Du hast ihm nur einen Gefallen getan! Aber plötzlich hatte ich das Gefühl, dass meine Beine aus Pudding waren. Bei dem Bluthochdruck hätte der eh nicht noch einen Kaffee trinken dürfen! Ich musste mich an der Theke festhalten. Behutsam streichelte der Stift meine blutüberströmten Hände. Hey, nicht schlapp machen! Schau dir die Leute an! Er zeichnete mit meinem Blut Gesichter mit aufgerissenen Mündern und großen Augen auf die Theke. Wie sie dich anstarren! Wie sie mit Fingern auf Dich zeigen! Ich sah es. Sie lassen dich einfach nicht in Ruhe! Nein, das taten sie nicht. Einige Männer näherten sich mir sogar. Wir sollten etwas tun!, flüsterte mir mein Bleistift beschwörend zu. Ach, komm, flüsterte er, lass’ es uns noch einmal tun! Und seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Ich warf die Zigarette zu Boden. Sie war nass geworden und zog nicht mehr ordentlich. Dann wischte ich mir meine Hände an der roten Schürze ab, die der Partyservice extra für die Weihnachtszeit angeschafft hatte. Ich atmete tief durch. Ja, ich mach’ es! Mein Bleistift kicherte, als ich ihn fest in meine Hand nahm. Tue es noch mal! Tue es wieder! Ich sah dem Mann, der mir am nächsten gekommen war, in die Augen. Und lächelte. Dann legte ich meine freie Hand auf den Tresen und hieb mir den Stift hinein.

Ende der Kurzgeschichte von Ralf Boscher

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