Ich habe sie gerne beobachtet. In den verschiedensten Grössen huschten sie über den Fussboden. Genau wie wir Menschen unterschiedlich gross sind: Ich war der kleinste, dann kam mein Bruder, noch grösser die Schwester und zum Schluss die Erwachsenen. Die Kakerlaken wirkten auf mich sehr klug, mit ihren grossen Augen und den unglaublich langen Antennen. Aber diese Antennen verrieten sie auch. Denn wenn sie sich hinter einem Brett oder einem Schränkchen versteckten, dann guckten die Antennen hervor. Kakerlaken gab es in grosser Anzahl. Nicht die kleinen und hellbraunen, die sich bei uns gelegentlich vom Gartenkompost ins Haus verirren, sondern die grossen, schwarzen. Dieses Insekt liebt die tropische Hitze. Und man sagt, wenn alle Lebewesen bei einer Katastrophe umkämen, die Kakerlaken würden überleben.
Meine Beute war zwar sehr schnell, aber ich hatte keine Mühe, sie zu fangen. Denn ich war schneller. Obwohl auch meine Beine kurz waren, sie waren immerhin viel länger als die vielen Beine der Kakerlaken.
In der Trockenzeit mussten die Kakerlaken für die Würmer einspringen. Der Lehmboden war mir zu hart, um nach den Regenwürmern zu graben. Da brauchte ich die Kakerlaken für meine Angel. Aber das fand ich immer etwas schmierig. Den Wurm konnte man aufspiessen, und er kringelte sich dann einfach am Haken statt auf der Hand. Die Kakerlake hingegen zappelte und ein weisser Saft floss aus ihrem gesprungenen Panzer heraus. Schrecklich. Grausam. Dafür fing ich mit ihr schon mal einen Aal aus dem See unter unserem Haus.
Einmal habe ich eine eher kleine Kakerlake gefangen. Und in meinem Forschertrieb steckte ich sie in eine leere Streichholzschachtel. Man hörte sie drin rascheln, denn die Schachtel war aus dünnem Streichholzschachtelholz. Damit sie mir nicht entflieht, wickelte ich das Schächtelchen in ein Taschentuch, und dieses Päckchen in einen grossen Lappen, den ich zum Spielen hatte, und dies wiederum in ein grosses hutzeliges Tuch, und dieses fussballgrosse Bündel steckte ich unter mein Bett, denn es war Zeit zum Schlafengehen.
Am nächsten Morgen klaubte ich das Paket wieder hervor, und voller Spannung wickelte ich die Tücher auf, bis zum Schluss die Streichholzschachtel zum Vorschein kam. Vorsichtig öffnete ich die Schublade und siehe da: die Kakerlake war weiss.
Ich kam mir vor wie ein Magier oder zumindest wie der Zeuge eines grossen Wunders. Aber fünfzehn Jahre später, ich hatte eben in der Ciba Geigy die Lehre als Laborant begonnen, konnte ich das Geheimnis lüften. Denn dort gab es nebst vierzig anderen Insektenarten auch eine Kakerlakenzucht. Da waren sie wieder. Und die Kakerlaken häuten sich von Larvenstadium zu Larvenstadium. Frisch gehäutet ist der Chitinpanzer noch weiss und weich. Erst an Luft und Licht wird er rasch schwarz.
Aus den Versuchslabors sind diese eigenwilligen Tiere in grosser Anzahl entwischt und haben wohl manchen leidvollen Seufzer oder Fluch verursacht. In Bananenfallen hat man sie gefangen und einmal kam ich ins Büro von meinem Chef, ein Doktor der Biologie, und er hielt eine Kakerlake mit einer Pinzette unter den heissen Wasserhahn um ihre Zähigkeit zu testen. Hat mich irritiert, amüsiert und an meine Kindheit erinnert.