Kabat-Zinn, Goenka und die Irrtümer des Vipassana

Dass selbst Promovierte zu Flachheiten neigen, sobald sie Buddhismus populär vermitteln, zeigt sich auch beim "Blättern im (neuen) Buch" von Jon Kabat-Zinn. Der widerspricht sich gerne mal selbst, wenn er auf einem Kongress vor Kollegen die klassiche Zenweisheit zitiert, Meditation bringe einen nirgendwohin, in seinem Buch jedoch gleich zu Beginn betont, dass wir eine konkrete Zielvorstellung für die Meditation bräuchten. So etwas passiert, wenn man sich einen eigenen Brei zusammenrührt und die notwendigen Ingredienzen der Überlieferung vergisst. "Wenn du der Langeweile Aufmerksamkeit schenkst, wird sie ungeheuer interessant", meinte er einmal. Ich habe es mit seinem Buch probiert und kann dies nicht bestätigen.   Kabat-Zinn hat versucht, aus dem Buddhismus eine gesundheitsfördernde, stressreduzierende Meditationsmethode (MBSR) zu extrahieren, die man ohne die Bindung an eine Religion nutzen kann. Dabei bedient er sich vor allem bei der "Body Sweeping"-Übung des Burmesen U Ba Khin (1899-1971), die die Aufmerksamkeit auf jegliche Regung im und am Körper richtet, angefangen von den Empfindungen beim Ein- und Ausatmen an den Nasenlöchern. Diese Idee wird vor allem mit dem Dhyanasamadhi-Sutra in Verbindung gebracht, was bei genauer Betrachtung überraschen mag. Dieses  Sutra (T15, 269c-286a, hier auf Englisch) wird zwar auf einen orthodoxen Sarvastivada-Standpunkt zurückgeführt, also auf die bedeutendste der frühen Hinayana-Schulen, ist uns aber in der Übertragung durch Kumarajiva bekannt und stellt einen Kompromiss mit den Lehren des Mahayana dar (die Sarvastivadin hatten ja eine eigene Sanskrit-Fassung der Lehrreden Buddhas und des Abhidhamma, die vom Palikanon der Vibhajjavada/Theravadin abwich); sein letzter Teil handelt vom Bodhisattva-Ideal. So bestehen dann auch Widersprüche zu den Deutungen der Atemübungen durch Buddhagosa. Versuche, vor allem durch Atemübungen den Mahayana-Buddhismus zu etablieren, hat es ja im Westen durch so genannte Zen-Lehrer wie Thich Nhat Hanh gegeben.   Der Sinn eines sich Bewusstmachens selbst kleinster körperlicher Regungen bestehe nun darin, sich der Vergänglichkeit bewusst zu werden, "ihre Vergänglichkeit, ihr Ungenügen bzw. ihr Nicht-Selbst auf einer tieferen Ebene" zu verstehen (Wiki). Ich habe einmal einen Mönch getroffen, der für sich reklamierte, sich stets jeder seiner körperlichen Regungen und Gliederpositionen bewusst zu sein. Angeführt werden nun nicht nur von Kabat-Zinn, sondern sogar von der indischen Regierung Erfolge beim Einsatz dieser Meditation etwa in Gefängnissen, wo sie für mehr Frieden und bessere Kommunikation sorgten. Betrachten wir uns jedoch einmal genauer, worum es hier geht.   Zweifellos darf man von einer Achtsamkeitsmeditation erwarten, dass sie einen aufmerksam und gelassen werden lässt, um es vereinfacht zusammenzufassen. Seltsam ist jedoch die Annahme, es handele sich um Stressreduzierung, denn da die Methode vor mehreren Tausend Jahren in einem relativ stressfreien, arbeitsfreien Umfeld einer Mönchsgemeinschaft enstand, ist diese Wirkung mit Sicherheit nebensächlich gewesen. Mir scheint, es wird hier erst ein Problem geschaffen ("Stress"), damit man dann eine dazu passende Methode verkaufen kann.   Betrachtet man sich die Entwicklung eines Menschen, so kann er im Mutterleib im Grunde dank seiner Unfähigkeit, bewusst zu atmen, überleben. Die Lungen des Ungeborenen sind mit Fruchtwasser gefüllt, dehnen und bilden sich dabei aus, der Atemreflex wird zwar gewissermaßen durch eine Art Schluckauf trainiert, tatsächlich aber erfolgt die Sauerstoffzufuhr über Plazenta und Nabelschnur. Man könnte also sagen, dass die Kunst der menschlichen Atmung (man bedenke, dass wir während der Embryonalentwicklung sogar zeitweise den kiemenbehafteten Fischen ähneln) von Anfang an darin besteht, dass sie unbewusst richtig erfolgt. Es mag unmittelbar nach der Geburt nötig sein, etwas nachzuhelfen, um die Umstellung auf Lungenatmung zu schaffen, doch damit hat es sich dann. Ich beschrieb hier schon einmal, wie ich mit einem Kleinkind schwimmen ging und es von selbst anfing, das Tauchen zu erlernen, ins Wasser zu springen, das Atmen unter solchen Bedingungen richtig zu handhaben. Wieso es nun die Aufgabe einer buddhistischen Übung sein sollte, einen an sich problemlosen Vorgang zu problematisieren, ist eine Frage.   Die andere Frage stellt sich nach den verschwiegenen Nebenwirkungen dieser Meditationsart, die ich für vollkommen überschätzt halte. Beim Besuch einer so Übenden entdeckte ich in ihrem Badezimmer ein Sammelsurium natürlicher Heilmittel und Nahrungsergänzungsmittel, von denen fast alle wirkungslos oder überflüssig sein dürften. Damals kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass eine übertriebene Achtsamkeit auf Vorgänge im Körper sich in Hypochondrie, der Angst vor Krankheiten widerspiegeln könnte. Tatsächlich würde ich heute wetten, dass die Praktizierenden des "body sweeping" gegenüber einer Vergleichsgruppe von Nicht-Meditierenden signifikant häufiger Ärzte aufsuchen und sich Medikamente und Ergänzungsmittel einführen. Man könnte nun einwenden, dass der Knackpunkt der Vergänglichkeit solcher körperlicher Regungen, den es bewusst zu machen gilt, sie davor bewahre. Doch ist diese Tatsache ja allein durch rationale Erkenntnis erfahrbar, und vor allem stimmt sie in Bezug auf körperliche Phänomene nicht: Sollte ich z.B. meinen Herzschlag stets bewusst spüren, so würde dies erst mit meinem Tod enden, und bestimmte Schmerzen vergehen ebenfalls erst mit dem Lebensende. Im Umkehrschluss könnte man daraus bereits herleiten, dass die Übenden also gar nicht machen, was sie behaupten, weil sie dann zu anderen Ergebnissen kämen (nämlich zum Beispiel der "Unvergänglichkeit" ihres Herzschlages oder Blutflusses während der Meditation). Ich behaupte deshalb, dass es sich hier um eine anmaßende Lüge handelt - ohne dass sich alle Lehrer dessen bewusst sein müssten. Die berichteten und auch durch Studien belegten wünschenswerten Auswirkungen auf Übende sind zudem nicht hinreichend durch andere mögliche Parameter (wie Hypochondrie) abgewogen.   Wie konnte es nun zum Boom dieser Art von Vipassana-Meditation kommen? Wie zu erwarten, handelte es sich keinesfalls um eine rein geistige Angelegenheit oder den Wunsch nach Stressreduktion. Satya Narayan (S. N.) Goenka nämlich - endlich mal einer, der sich durch kostenlose Angebote auszeichnete, dachte ich, bis ich von seinen Exklusivangeboten für Geschäftsleute las und von diesem Kultgehabe - wandte sich einst aus einem einfachen Grund an den Lehrer U Ba Khin - er litt unter Migräne-Anfällen. Mit diesem Thema habe ich mich nun ausgiebig beschäftigt, und heute ist mir klar, dass es nicht nur unzählige individuelle Arten von Migräne gibt (siehe die Standardwerke von Oliver Sacks), sondern auch eine Menge Leute, die ihre gewöhnlichen Kopfschmerzen für eine solche halten. Wie so oft steckt hinter den Methoden buddhistischer Lehrer (und ihrer Lehre selbst) der Wunsch nach Schmerzfreiheit und körperlichem Wohlbefinden. Die Methode funktioniert dann freilich auch nur bei kleinen Wehwehchen und scheiterte natürlich etwa in der Anwendung bei Krebserkrankungen oder Migräne im Allgemeinen.   "Betrachte und reagiere nicht" wird U Ba Khin dann mit einem seiner Hauptratschläge auf Wiki zitiert. Machen wir uns einmal ganz achtsam klar, was eine solche Einstellung, wenn sie zum Wesentlichen der eigenen Übung wird, bedeutet, dann kennen wir einen Grund, warum sich die Militärregierung in Burma/Myanmar so lange halten konnte.  
Kabat-Zinn, Goenka und die Irrtümer des Vipassana
(Foto: Keller)

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