Jutta Ditfurth über die Grünen

J. Ditfurth über die Grünen (Cover)

Cover

Ich bin kein Mensch, der kom­pro­miss­los auf seine Meinung beharrt und alle, die anders den­ken, die, die kom­pro­miss­be­reit sind, ver­teu­felt. Allerdings gibt es ein paar Prinzipien, die auch ich nicht auf­ge­ben würde. Für die ich gegen alle Widerstände kämpfe.

Jutta Ditfurth tut genau das: sie kämpft für das, was die Grünen bei ihrer Gründung aus­machte. Sie selbst rech­net sich den “Fundis” zu und das vor­lie­gende Buch ist eine Kampf- und Anklageschrift gegen die “Realos”. An eini­gen Stellen wird das auch abso­lut nach­voll­zieh­bar.

So ist es unbe­dingt wich­tig, sich in Erinnerung zu brin­gen, dass die Grünen eine linke Vergangenheit haben; dass sie ihr ursprüng­li­ches Selbstverständnis aus ihrem Kampf gegen die Atomnutzung – die fried­li­che sowohl wie die krie­ge­ri­sche! – bezog.

Ihre Abrechnung mit dem spä­te­ren Außenminister Joschka Fischer, der inzwi­schen seine sicher­lich nicht klei­nen Brötchen bei denen ver­dient, die die Grünen ursprüng­lich als Feinde betrach­te­ten, ist nicht nur sehr per­sön­lich. Sie ist auch lesens­wert. Exemplarisch kann Fischer für den Ausverkauf der Ideale ste­hen.

Die Grünen heute

Über­haupt: all die Grünen, die wir heute aus den Medien ken­nen; ob es sich um Kretschmann in Ba-Wü, um Claudia Roth oder Renate Künast han­delt – all diese ste­hen für eine Richtung inner­halb der Partei, die mit dem, was der ursprüng­li­che Geist der Partei war, wenig zu tun hat. Das meint zumin­dest Jutta Dittfurth. Und es fällt mir schwer, ihr zu wider­spre­chen.

Was sie über den Verrat an den eige­nen Grundsätzen bezeich­net, zeigt Jutta Ditfurth auf, wenn sie über die Mitverantwortung der Grünen beim sog. “Atomkompromiss” schreibt. Oder – aktu­el­ler – über die Rolle der Grünen bei Stuttgart 21. Wenn man die­ses Kapitel liest, kommt man aus dem Wundern wahr­lich nicht her­aus: einer­seits haben die Grünen davon poli­tisch pro­fi­tiert. Aber nur um den Preis der Aufgabe ihres Widerstandes gegen den Bahnhofsbau. Dass die baden-württembergischen Grünen nun den ers­ten Ministerpräsidenten stel­len, hat sich die Partei auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit als Alternative in der poli­ti­schen Landschaft erkauft. Und zudem die CDU nach Mappus wie­der stark gemacht.

Joschka Fischer als Feindbild

Jutta Dithfurt ist wahr­lich kein Fan vom turn­schuh­bur­schi­ko­sen Joschka Fischer. Gerade an sei­ner Person und sei­ner Entwicklung vom Anarcho der Straße zum staats­tra­gen­den Minister zele­briert sie vol­ler Verachtung den Abstieg der Grünen von einer Protestpartei zu der, die sie heute ist.

Fischer habe – so die Autorin – sich inner­halb weni­ger Jahre vom Kriegsgegner zu einem Befürworter gewan­delt. Während er im Jahr 1994 sich noch vehe­ment gegen den Einsatz der Bundeswehr im Balkankrieg ein­setzte: “Wo deut­sche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewü­tet haben, darf es keine Einsätze geben” ver­lor er diese Haltung inner­halb von nur vier Jahren. Die Eier und Tomaten, die ihn spä­ter beim Parteitag der Grünen tra­fen, zeig­ten zwar, das ein Teil der Basis die­sen Weg nicht mit­ge­hen woll­ten. Allein: die Grünen haben sich als Gesamtpartei his­to­risch mit­schul­dig gemacht.

Fischers spä­tere Versuche, seine Zustimmung zum Kriegseinsatz zu erklä­ren, zer­legt Jutta Ditfurth fast genüss­lich vor Wut. Sie zeigt auf, dass der dama­lige Außenminister nicht nur seine eigene Partei, son­dern die gesamte Öffent­lich­keit bewusst täuschte. Denn nach Ditfurth wuss­ten sowohl der SPD-Mann und zukünf­tige Kanzler Gerhard Schröder als auch sein desi­gnier­ter Außenminister bereits vor ihrer Vereidigung, dass die USA den Eintritt in den Krieg for­dern würde. Es wäre also Zeit genug gewe­sen, “Nein” zu sagen. Doch für ein biss­chen Macht und Privilegien haben Fischer und “seine” Grünen die Grundsätze der Partei ver­kauft. Und als Abschiedsgeschenk als Außenminister dann noch U-Boote an Israel, von deren Preis die Bundesrepublik dann ein Drittel selbst zahlte.

Die Grünen und der Krieg

Es ist sicher kein Zufall, dass Joschka Fischer heute im Sold des “Nabucco-Projektes” steht. Ein Projekt, das Erdgas aus Zentralasien via Balkan nach Europa brin­gen soll. So wun­dert es nicht, dass sich Jutta Ditfurth inten­siv mit dem Balkankrieg und sei­nen wirt­schaft­li­chen Hintergründen aus­ein­an­der setzt.

Wenn der Krieg aber, auch der am Hindukusch, einer um wirt­schaft­li­che Macht (und nicht um Menschenrechte) ist, dann – so Ditfurth – müs­sen die Grünen ihn gut­hei­ßen. Denn sie sind ja inzwi­schen die Mittelschicht; die, die mit­pro­fi­tie­ren.

Ditfurth lis­tet auf, wo und wann die Grünen Kriegen, in die Deutschland direkt und indi­rekt invol­viert war (und ist), zustimm­ten. Und welch öffent­li­che Verrenkungen not­wen­dig war, sich selbst wei­ter­hin als “Friedenspartei” den Wählern dar­zu­stel­len und so wahr­ge­nom­men und gewählt zu wer­den – und wel­che Mühen es anfangs brauchte, die Basis “auf Linie” zu brin­gen. Das scheint inzwi­schen gründ­lich gelun­gen zu sein. Und die Grünen sind eine gut­bür­ger­li­che Partei wie andere auch.

Die soziale Frage

In die Zeit der Regierungsbeteiligung der Grünen fällt auch die “Agenda 2010″ – was davon übrig blieb sind vor allem die Hartz-IV-Regelungen, Ein-Euro-Jobs und die Ausweitung von Leiharbeit. Und das alles ist nun wahr­lich kein Ruhm für einen Sozialstaat. Mitgetragen wur­den diese Gesetze auch von einer Partei, die als “soziale Alternative” ange­tre­ten war, die Gesellschaft zu ver­bes­sern.
Während die, die die­sen unso­zia­len Gesetzen nicht nur zustimm­ten, son­dern sie zum Teil gar mit ver­fass­ten, in vie­ler­lei Aufsichtsräten sit­zen, sind die davon Betroffenen noch wei­ter ver­armt. Finanziell und – fast schlim­mer noch – sozial geäch­tet.

Jutta Ditfurth hält die Grünen für mit­schul­dig daran, dass die Schere zwi­schen Arm und Reich in Deutschland immer wei­ter aus­ein­an­der klafft; dass die sog. “Anti-Terror-Gesetze” durch den Bundestag gewun­ken wur­den – was beson­ders bri­sant dadurch ist, dass in den Reihen der Gründungsgrünen Verteidiger von RAF-Mitgliedern zu fin­den waren – und Claudia Roth vor län­ger Zeit mal Managerin der Anarcho’s um “Ton Steine Scherben”. Heute sind sie dabei, wenn es gilt, schwer erkämpfte Bürgerrechte zu unter­höh­len.

Die Grünen haben die öko­no­mi­sche Realität bru­ta­li­siert. Sie haben einer Minderheit gehol­fen, sich noch ent­hemm­ter zu berei­chern. Auf der ande­ren Seite haben sie noch mehr VerliehrerInnen geschaf­fen. Die bun­des­deut­sche Gesellschaft hat heute eine tie­fere soziale Kluft als vor der grü­nen Regierungsbeteiligung. Mit einer so dra­ma­ti­schen Reichtumsverteilung zuguns­ten der Bourgeoisie wach­sen neue Aufgaben heran. Eine Partei wie die Grünen, die um jeden Preis mit­re­gie­ren will … muss bereit sein, für Ruhe und Ordnung zu sor­gen. Der Reichtum ist zu schüt­zen. (Seite 243)

Und die Piraten?

Das Buch ist vor allem auch für Piraten nicht unin­ter­es­sant zu lesen. Auch wenn diese junge Partei sich nicht aus Menschen grün­dete, die bereits stark poli­ti­siert waren und die sich des­halb zusam­men­schlos­sen, um gemein­sam ein Ziel zu errei­chen; son­dern die aus vie­len sehr unter­schied­li­chen Individuen besteht, die zuvor kaum poli­tisch wirk­ten. Und die der­zeit dabei sind, zu begrei­fen, dass Parteipolitik ein Miteinander und das Suchen von inner­par­tei­li­chen Mindestkonsenz ist. Wenn das jetzt nicht gelingt (und im Moment sieht es nicht danach aus), ist die Partei in eini­gen Jahren tot. Deshalb soll­ten Piraten die­ses Buch lesen: um zu ler­nen, wie man es nicht macht.

Nic

Jutta Ditfurth – Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen – Rotbuchverlag 2011 (3. Auflage) – ISBN 9783867891257 – 14,95 Euro

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