Justine privat - „Wo siehst du dich in 10 Jahren?“

Justine privat - „Wo siehst du dich in 10 Jahren?“
Ich verstehe wirklich nicht, warum mir Menschen immer wieder diese Frage stellen. Mit verbissenem Gesicht blicke ich sie an und versuche mir im Kopf eine Antwort zusammen zu reimen, die nicht nach totaler Planlosigkeit klingt. Immer wenn das Thema in Gesprächen auf die Zukunft zu geht, weiche ich gekonnt aus - oder mache eine Bruchlandung, so wie jetzt. 
„Ich … äh …“
„Na du wirst doch zumindest eine Richtung wissen!“, meint sie mit einem dezent selbstgefälligen Unterton in der Stimme. 

Noch vor ein paar Jahren hätte ich sofort eine Antwort gehabt. Psychologie studieren, ab nach Berlin und später ins Ausland. Vielleicht in die Schweiz, vielleicht in die USA. Ja - früher hätte ich eine Antwort gehabt. Doch in der Zwischenzeit geschah die Realität und holte mich auf den sumpfigen Boden der Tatsachen zurück. Inzwischen denke ich eigentlich eher in Monaten, als in Jahren. Das klappt auch wesentlich besser - zumindest für mich - scheint aber nicht so gut bei den Menschen im meinem Umfeld anzukommen. „Was willst du denn nach dem Abitur machen? Du bist ja nun auch nicht mehr die Jüngste …“„Ewig 19 …“, meine ich scherzend, doch das klappt auch nicht und hilft mir nicht aus diesem Kreuzverhör raus. „Jetzt sag schon, wie sieht dein Plan aus?“Okay, es ist wohl soweit. Ich muss es aussprechen: „Ich habe keinen. Also keinen festen …“
Zähneknirschend muss ich betrachten wie sich eine ihrer Augenbrauen abfällig nach oben verzieht. Ich kann förmlich hören wie sich der lautlose Vorwurf in ihren Augen spiegelt. „Du weißt noch nicht was du studieren willst? Wozu machst du das Abitur denn überhaupt nach?“ „Ich weiß es schon, nur ist es recht unrealistisch. Psychologie hat einen mörderischen NC und Soziale Arbeit ist auch total überfüllt. Ich werde einfach sehen für was ich angenommen werde und wo …“, meine Erklärung scheint sie nicht zufrieden zu stellen. Eher im Gegenteil. Sie gibt ein genervtes Stöhnen von sich und wischt sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Du kannst doch nicht einfach abwarten was passiert!“„Habe ich eine andere Wahl?“„Ja, mach doch mal aus deinem Leben.“„Und was mache ich gerade?“Sie schüttelt den Kopf als würde ich den Abgrund nicht sehen auf den ich zusteuere. „Gut, nächstes Thema. Was ist mit deiner Beziehung?“Ich runzle etwas die Stirn und zucke mit den Achseln. „Es ist alles gut“, sage ich weil ich nicht sicher bin welche Antwort hier die „richtige“ wäre. Sie wirft die Hände in die Luft. „Jetzt, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Ihr müsst doch wissen wohin euch das ganze führt!“, meint sie ernst und sieht irgendwie mitleidig aus. „Wir sind glücklich und haben vor es auch zu bleiben“, sage ich diplomatisch. Doch das scheint weniger das gewesen zu sein, als dass was sie hören wollte. „Fassen wir zusammen: Du hast keine Ahnung was du nach dem Abitur, das du Mühe voll nachholst, machen willst und eine Beziehung von der du nicht weißt wohin sie führt?“ „Ähm, ja?“„Das kann doch so nicht weiter gehen …“„Weißt du denn wo du in 10 Jahren bist?“, gebe ich zurück und verliere langsam aber sicher meine Geduld. „Ja, natürlich weiß ich das! Bis dahin habe ich mein Studium fertig, arbeite und wir sind verheiratet. Vielleicht ist sogar schon ein Kind unterwegs - wer weiß.“ Jetzt bin ich es die den Kopf schüttelt. „Ja, eben: wer weiß?“, knurre ich. „Vielleicht ist dein Geliebter bis dahin auch mit einer anderen durchgebrannt, du hast das Studium geschmissen und hast einen Job im Call Center …“ Ich sehe wie eine Ader auf ihrer Stirn hervor tritt und habe einen Moment lang Angst, dass sie mit gleich die Nase bricht. Aus ihren Augen sprüht wütende Glut und ihre Lippen verziehen sich so sehr, dass sie kleine Falten bekommt. Beschwichtigend hebe ich die Hände und bereue es etwas, dass ich keine Handtasche besitze in der ich eine weiße Fahne verstauen könnte. „Ich will damit nur sagen, man weiß nicht was passiert. Pläne sind das eine, was wirklich passiert ist etwas ganz anders.“„Das sehe ich anders, man hat sein Leben immer selbst in der Hand.“„Nein, hat man nicht. Du kannst morgen vom Bus überfahren werden oder die Zombieapokalyse bricht aus oder …“„Hör auf damit!“ Ich zucke etwas zusammen. Das wir eine hitzige Diskussion führten war mir bewusst, dass wir jetzt anfangen uns anzuschreien jedoch nicht. „Du lebst in deiner Traumwelt und verstehst nicht wich wichtig es ist, endlich da raus zu kommen. Du bist Mitte Zwanzig, meine Güte. Du kannst nicht ewig so tun als würde dir die Welt offen stehen, denn das tut sie nicht! Deine Zeit läuft immer weiter ab und du stehst nur da und tust nichts dagegen …“ 

Ich bin etwas perplex und weiß nicht so recht was ich dazu sagen soll. Wie ein kleines Kind, dass nicht versteht warum die Mutter gerade einen Wutanfall hatte, sehe ich sie an und warte darauf das sie noch etwas sagt. Doch das tut sie nicht. Sie erwidert nicht einmal mehr meinen Blick sondern starrt in ihre Hände, während mir bewusst wird, dass sie vielleicht gar nicht so unglücklich darüber ist, dass ich nicht weiß wo ich in 10 Jahren bin, sondern das sie es bereits weiß. 

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