Erst diese Woche wurde bekannt, dass Juli Zeh den Fallersleben-Preis 2014 zuerkannt bekommt. Die Begründung, dass sie eine verantwortungsvolle und politische Autorin ist, ist auch für mich ein herausragendes Merkmal ihrer Texte. Ich habe mich ausführlich mit ihrem Roman Adler und Engel (2001), dem Reisebericht Die Stille ist ein Geräusch (2002) und der Essay-Sammlung Alles auf dem Rasen (2006) beschäftigt und dort weltliterarische Bezüge gesucht – und gefunden.
Der Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist ein Seminar zur aktuellen Weltliteratur, das ich an der Uni belegt habe; in diesem Zusammenhang habe ich bereits über das Konzept eines Workshops über Weltliteratur und Definitionsansätze berichtet. Dieser Artikel ist nun der Sprung weg von den theoretischen Überlegungen rein in die Textarbeit – und stellt anhand von Textpassagen und Interviews meine Ergebnisse vor.
Besonders präsent war und ist sie zur NSA- und Überwachungsaffäre (z.B. hat sie einen offenen Brief an die Bundesregierung sowie eine Autorenpetition zum Thema initiiert, war Gast in Polit-Talkshows und hat auf ihrer Facebook-Seite über Hintergründe aufgeklärt. Dass sie das Thema schon länger beschäftigt, zeigt die gemeinsame Publikation mit Ilija Trojanow Angriff auf die Freiheit (2010). Und dass sie bei Facebook mittlerweile nicht mehr aktiv und ihre persönliche Seite gelöscht ist, liegt sicherlich in dieser Debatte und ihrer Überzeugung begründet.
In einem Interview mit jetzt.de sagt sie, dass sie sich gar nicht gefragt hat, ob sie sich als Schriftstellerin in öffentliche Debatten einmischen sollte: „Für mich war das völlig natürlich. Endlich werde ich gefragt, jetzt sag‘ ich auch was“.
Auch wenn der Begriff Weltliteratur oftmals abstrakt, assoziativ, als Kanon- und oder als ein Best of von Nationaliteratur(en) beschrieben und verstanden wird, lassen sich Juli Zehs Texte vor allem aus kosmopolitischer und globaler Sicht dem Begriff zuordnen, da sie:
- Verantwortung übernehmen,
- globale Probleme für den Einzelnen mitdenken,
- Fremdheitserfahrung beschreiben und
- Figuren als Grenzgänger darstellen.
Als Autorin übernimmt Juli Zeh Verantwortung und stellt in ihren Texten moralische und juristische Fragen, die in der Grauzone liegen; so handelt ihr Debütroman Adler und Engel hintergründig von Drogen- und Waffenhandel, der UNO sowie der Balkankrise und vordergründig von einem Juristen, der noch nicht ahnt, dass er in all dies verwickelt ist. An diesem Roman wird deutlich, wie sie die Schicksale dreier Figuren vor dem Schauplatz des Bosnienkrieges miteinander verkettet und dass dieser globale Konflikt jeden in seinen jeweils anderen Lebensbereichen betrifft.
Nicht nur ihre Figuren müssen Verantwortung übernehmen: Nach Juli Zeh steht Literatur „in der Verantwortung, die Lücken zu schließen, die der Journalismus aufreißt, während er bemüht ist, ein angeblich ‚objektives‘ – und deshalb immer verfälschendes – Bild von er Welt zu zeichnen. Damit hat die Literatur eine Aufgabe, an der sie wachsen kann, und hier liegt der Weg, den ich einzuschlagen versuche. Ich möchte den Lesern keine Meinungen, sondern Ideen vermitteln und den Zugang zu einem nichtjournalistischen und trotzdem politischen Blick auf die Welt eröffnen.“ (Zeh, Juli: Alles auf dem Rasen. Kein Roman. München: btb-Verlag 2008. S. 218.)
Das Verhältnis von Journalismus und Literatur wird in Die Stille ist ein Geräusch reflektiert und kritisiert; insbesondere, wenn es um das Reisemotiv des auto-fiktiven Ichs geht: „Ich will sehen, ob Bosnien-Herzegowina ein Ort ist, an den man fahren kann, oder ob er zusammen mit der Kriegsberichterstattung vom Erdboden verschwunden ist.“ Das Zitat weist einmal mehr darauf hin, wie sehr Medien unsere Aufmerksamkeit lenken und Themen beeinflussen.
Das Motiv des Reisens und der Grenzgänger findet sich in mehreren Werken Juli Zehs; In Adler und Engel bewegen sich die Figuren zwischen Wien und Leipzig; In Die Stille ist ein Geräusch bereist Juli Zeh als fiktives Ich Bosnien-Herzegowina. Das Reisen wirft dabei Fragen danach auf, wie man mit der Fremde umgeht, wie man sie wahrnimmt und wie vorgeprägt man ist: „Ich hatte mir Zagreb wohl als einen Bombenkrater vorgestellt, an dessen Rand in Lumpen gehüllte Flüchtlinge sitzen.“
Das Erkennen von Gemeinsamkeiten, Unterschieden und den eigenen Vorurteilen wirft die Frage danach auf, wie viel von dem Anderen im Eigenen steckt. Außerdem sensibilisieren diese Passagen für eine Pluralität an Perspektiven.
Von allem etwas: Auch diese Stadt ist ein Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke, jede Epoche, jede Kultur hat ein Haus hingestellt, von Rom über christliches Mittelalter, jüdische Diaspora und türkische Besetzung. Österreich-Ungarn, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus und American Dream, Bürgerkrieg und europäische Integration. Man könnte irgendwo eine holländische Windmühle hinbauen, der Vollständigkeit halber. Erst jetzt, peinlich genug, begreife ich, dass ich mit eigenen Augen sehe, was man den Schnittpunkt europäischer Kulturen, die Grenze zwischen Morgen- und Abendland, den Vielvölkerstaat nennt. (gemeint ist die Stadt Sarajevo; In: Zeh, Juli: Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien. Frankfurt: Schöffling & Co. 2002. S. 67.)
Juli Zehs Texte sind intelligent konstruiert, regen zum Nachdenken an und setzen sich gleichzeitig mit Problemen der Gegenwart auseinander – und sind dabei literarisch anspruchsvoll und unterhalten ohne dass man ihre Denkschablone, die sie an den Text gelegt hat, durchsieht. Aufklären und (unangenehme) Fragen stellen, ist nicht nur ein persönliches Anliegen, das Juli Zeh engagiert verfolgt, sondern auch das Thema ihrer Texte – sie sensibilisiert für gloable Probleme und eine eigene Meinungsbildung.
Gerade weil Weltliteratur als Begriff nicht eindeutig definiert ist, lässt er sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten und mit aktuellen Inhalten füllen. Dabei lässt sich feststellen, dass Juli Zehs Literatur mit Blick auf Globalisierung/Verantwortung/Grenzüberschreitung durchaus Weltliteratur sein kann.