Jugendsünden

Von Beautifulvenditti

„Erzähl mir mal von deinen Jugendsünden!“, forderte mich das Au Pair neulich heraus, als wir abends am Tisch sassen und quatschten. Zuerst einmal schluckte ich leer. Was habe ich denn schon an Jugendsünden vorzuweisen? Nun ja, da gibt es schon die eine oder andere Geschichte, aber wie soll ich damit eine fast Neunzehnjährige beeindrucken, die gespannt darauf wartet, dass man ihr wilde Geschichten auftischt? Viel gibt es nicht zu erzählen: Zwei oder dreimal zu viel Malibu mit Ananassaft getrunken, einmal trotz elterlichem Verbot an einem Samstagabend zu einer Party gegangen, ein paar Liebeleien, ein paar dunkle Momente, über die man gerne den Mantel des Schweigens hüllt, zweimal den Türsteher belogen, um in eine Disco zu kommen, für die ich noch zu jung war, ein Ferienflirt mit einem schmachtenden Franzosen, der mir Jahre später noch ziemlich wirre Briefe schickte. Mehr war da nicht und es ist nicht erstaunlich, dass das Au Pair wenig beeindruckt war ob dieser ganz und gar durchschnittlichen Teenagerzeit.

Fast wäre ich selber enttäuscht gewesen, dass es da nicht mehr zu erzählen gibt, doch dann fiel mir ein, dass ich durchaus noch ein paar Leichen im Keller habe, mit denen ich mich brüsten kann. Und so fing ich an, auszupacken. Ich erzählte von dem Tag, an dem ich einen fluchenden Mitschüler zurechtwies, ob er sich denn nicht schäme, dass er Gott beleidige. Von den Zeiten, als ich allen Ernstes behauptete, ich wüsste alles, was es über Gott und den Menschen zu wissen gibt, weshalb ich es nicht nötig hätte, meine Ansichten zu hinterfragen. Von meinem Bestreben, in allem nur das Schlechte zu sehen, so dass ich jeden, der anders glaubte als ich, seines Irrtums überführen könnte. Von meiner Überzeugung, dass es auf jede Frage eine Antwort gibt und dass man auch demjenigen, der leidet, schonungslos ins Gesicht sagen muss, dass sein Leiden einen Grund hat und dass er sich gefälligst ein wenig zusammenreissen soll. Von meiner Selbstsicherheit, dass ich den Weg in den Himmel kenne, während fast alle anderen – auch fast alle andern, die sich Christen nennen -, auf dem Holzweg seien. Ich hätte auch noch davon erzählen können, dass ich die beiden ersten Male, als ich abstimmen ging, in jugendlicher Unwissenheit mit der SVP gestimmt habe und dass ich ein paar Wochen lang tatsächlich die Meinung vertrat, Frauen gehörten nicht in den Bundesrat, aber daran erinnere ich mich erst jetzt wieder, wo ich noch etwas tiefer im dunklen Keller meiner jungendlichen Verirrungen wühle.

Nun ja, das sind nicht die klassischen Jugendsünden, aber das Au Pair war dennoch ziemlich schockiert über das, was ich ihr da erzählte. Mir selber wurde die Sache immer peinlicher, je länger ich erzählte. Wer erinnert sich schon gerne an den Moment zurück, als der Pastor fragte „Wer von euch würde sich selber als Fundamentalisten bezeichnen?“  und man zu denen gehörte, die voller Stolz die Hand hoben? Was noch schlimmer daran ist: Ich konnte lange Zeit nicht verstehen, weshalb der Pastor meinte, diejenigen, die ihre Hand erhoben hätten, sollten sich schämen.  

Während andere Menschen meines Alters also voller Scham auf ihre Alkoholexzesse und peinlichen Bettgeschichten ihrer Jugendzeit zurückblicken, kommt mir das nackte Grauen, wenn ich daran denke, was ich damals unter Glauben verstanden habe und wie ich anderen mit meinen Ansichten das Leben schwer gemacht habe. Und so, wie andere Menschen meines Alters dankbar sind, dass sie nicht mit dem schrecklichen Typen von damals zusammengeblieben sind, so bin ich dankbar dafür, dass ich nicht mehr jenen hartherzigen Glauben von damals mit mir herumschleppen muss.

Ach ja, und übrigens bin ich sehr dankbar dafür, dass ich mit dem wundervollen Typen von damals zusammengeblieben bin, denn ein Besserer ist mir bis heute nicht über den Weg gekommen.