WEIMAR. (fgw) Politik selbst in die Hand nehmen – darum geht es beim Planspiel “Jugend und Parlament” (JuP) des Deutschen Bundestages: 312 Jugendliche aus ganz Deutschland stellten kurz vor den Sommerferien das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nach. Sie schlüpften in die Rollen von fiktiven Abgeordneten und simulierten vier Gesetzesinitiativen – und zwar dort, wo auch die “echten” Parlamentarier arbeiten: im Plenarsaal sowie in den Ausschuss- und Fraktionssälen. Die 16- bis 20-Jährigen lernten so, wie die “Großen” arbeiten. Die Themen in diesem Jahr waren: Datenschutz, Pflegefreistellung, PKW-Maut und die diskriminierungsfreie Bewerbung.
von Laisa Karl
Reichstagsgebäude
Mein Name ist Emma Wagner, ich bin 62 Jahre alt, verheiratet, habe drei Kinder und komme aus Essen (Nordrhein-Westfalen). Ich bin aktives Mitglied der LRP-Nord. – Dies war ich zumindest für einige Tage. Eigentlich heiße ich jedoch Laisa, bin 17 Jahre alt und komme aus Weimar. Zur Zeit besuche ich das Lyonel-Feininger-Gymnasium in Mellingen.
“Emma Wagner” wurde ich, weil ich im Rahmen das Planspiels “Jugend und Parlament 2012″ die Chance erhielt, den Alltag eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages nachzuempfinden und die verschiedenen parlamentarischen Abläufe und Regeln kennenzulernen.
Doch zurück zum Planspiel: Es ist ein Rollenspiel, es war für mich ein Spiel, bei dem ich wirklich viele Einblicke in ein wohl nicht nur mir unbekanntes Leben bekommen habe.
Um sich bestmöglichst einzufühlen, erhält jeder Teilnehmer zu Beginn einen fiktiven Lebenslauf zugeteilt. Dieser war auswendig zu lernen, damit man voll und ganz in diese Rolle schlü�pfen kann. So zählte auch die eigene politische Meinung hier nicht, sondern nur die der fiktiven Partei bzw. Fraktion, der man zugeordnet war. In meinem Fall der LRP (Liberale Reformpartei), dieser Partei entspricht im richtigen Leben die FDP.
Hier nicht seine eigene politische Meinung zu vertreten, sondern die der zugeteilten Partei – das war fü�r mich die größte H�ürde. Denn erst einmal musste ich mich damit vertraut machen, welche Einstellungen und Gedankenzü�ge diese Partei kennzeichnen.
Dann konnte es an die Gesetzesvorlagen gehen. Als JuP-Abgeordnete war mein Wirkungskreis der Ausschuß für Arbeit und Soziales. Hier hatte ich mich mit der Vorlage zum Thema “Diskriminierungsfreie Bewerbung” zu befassen. Tag fü�r Tag gab es heikle Debatten und Auseinandersetzungen zunächst in der eigenen Fraktion und dann mit den Mitgliedern der anderen Parteien im Ausschuß und schließlich bei den sogenannten Lesungen und Abstimmungen im Plenum.
Dabei fü�hlte man nicht nur den Tagesablauf eines Politikers nach. Denn jeder von uns wurde auch mit der Presse und deren Arbeitsalltag konfrontiert. Doch nicht nur der Alltag im Bundestag, den wir nachempfanden, war etwas besonderes für mich. Denn wenn der parlamentarische Arbeitstag für uns zu Ende war, begannen wir das Berliner Nachtleben zu erkunden. Und dies war mit immerhin über 300 Jugendlichen jeden Abend ein besonderes Spektakel.
Insgesamt waren diese vier Tage in Berlin für mich sehr ereignis- und lehrreich. Was im Sozialkundeunterricht nur reine Theorie ist, konnte hier realitätsnah nachvollzogen werden. Nicht zuletzt gab es auch Zusammenkünfte mit realen Bundestagsabgeordneten.
Hintergrund: “Jugend und Parlament” ist eine in der Regel jährlich stattfindende Veranstaltung des Deutschen Bundestags. Sie nimmt unter dessen Angeboten eine besondere Rolle ein, weil sie (neben Staatsakten und der Bundesversammlung) die einzige Gelegenheit für Nicht-Abgeordnete ist, im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes zu tagen.
Seit 2004 ist „Jugend und Parlament” ein groß angelegtes Planspiel, bei dem die Teilnehmenden in die Rolle von Bundestagsabgeordneten schlüpfen. Nach dem Zufallsprinzip werden sie in Anlehnung an die realen Bedingungen im Deutschen Bundestag in derzeit fünf Fraktionen aufgeteilt, die allerdings anders benannt sind. Jeder Teilnehmende erhält eine fiktive Identität; insgesamt entspricht der so für vier Tage existierende „JuP-Bundestag” statistisch – was Alter, Familie, Beruf, Bildungshintergrund und geographische Herkunft angeht – dem realen Parlament.
Wer Interesse an solch einem Planspiel hat (oder gerne einmal später in die Politik gehen möchte), kann sich an einen der Abgeordneten im Wahlkreis wenden. Denn nur dieser kann je einen Teilnehmer nominieren.
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]