Sich über “die Jugend von heute” zu beschweren, ist seit je her sehr beliebt (sehr beliebt ist es aber auch, darauf mit einem falschen Sokrates-Zitat zu antworten). Die neue Shell-Jugend-Studie aber führt diesmal zu einer ganz anderen Situation: Von den Autoren wie auch in den deutschen Mainstream-Medien wird die heutige junge Generation nun fast schon überschwänglich gelobt.
Kein Wunder, schaut man sich einige Ergebnisse der Studie an. Kaum eine Generation erscheint für das neoliberale System passender als diese. Die “heutige Jugend” ist wie keine vorangegangene grenzenlos von sich selbst überzeugt, egomanisch und oppurtunistisch-pragmatisch eingestellt. Sie ergibt sich dem Konkurrenz- und Statusdenken, der “Leistungsorientierung”, den Werten und Erfordernissen des ungezügelten Kapitalismus. Eine Generation, die ohne jedes Zögern zwischen dem Job bei Greenpeace und dem bei Shell wechseln könnte – man kann ja auch online eine Petition gegen Atomkraft unterzeichnen, das reicht. Überzeugungen und Werte werden den Zwängen des System untergeordnet. Persönlicher Erfolg in der Leistungs- und Konsumgesellschaft ist für sie das Wichtigste.
Parallel dazu nimmt das Klassendenken wieder zu. Dies ist eine Generation, in der sich unter den Angehörigen der Ober- und Mittelschicht “Hartz IV” als Schimpfwort verankert hat, in der die, die sich im ständigen Leistungskampf nicht behaupten können, verachtet werden. Die Spaltung der Gesellschaft geht weiter, auch in den Köpfen. Die Verlierer des kapitalistischen Systems sehen schon unter den Jugendlichen ihre Chancen deutlich schlechter, ihre Zukunft düsterer – und also realistisch. Die wirtschaftliche Globalisierung wird heute von vielen als positiv bewertet. Optimismus und “positives Denken” sind wieder im Kommen: Eine Generation, die sich mit dem Status quo zufrieden gibt und keine Verbesserungen mehr erreichen will. Gleichzeitig scheint es eine Rückkehr ins Spießertum vor der 68er-Epoche zu geben: Polizei, Gerichte und Bundeswehr genießen etwa ein hohes Vertrauen.
Natürlich gibt es auch ein paar Ergebnisse der Studie, die man auch als Linker positiv sehen kann, doch das sind eher wenige: politisches Interesse und soziales Engagement nehmen insgesamt zu – aber auch hier gibt es große schichtbezogene Unterschiede. Insgesamt können die Ergebnisse der Shell-Studie wirklich nur für die erfreulich sein, die das wirtschaftsliberale System aufrecht erhalten wollen – für alle anderen liefern sie eher Anlass zur Sorge.
Eine andere Studie (rheingold, Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen) spricht von der “Generation Biedermeier”. In dieser sei die Zwei-Klassengesellschaft im Denken der Jugend angekommen. Die Generation der 18-24-Jährigen habe eine panische Absturzangst, die zu einem massiven Anpassungswillen führe, um nicht in derLeistungsgesellschaft unterzugehen. Bildung, Karriere und hohes Einkommen werden von ihr zielstrebig verfolgt. Selbstdisziplin in allen Lebensbereichen, eine “fast manische Suche nach festen Ordnungen und Regeln,”, Leistungsbereitschaft, Pflichtbewusstsein, “Flexibilität”, selbst so etwas wie Pünktlichkeit und Disziplin seien sehr verbreitet.
Man sammelt pausenlos verschiedenste Qualifikationen, aber nicht ausInteresse an der Sache. Und es herrscht die Ansicht vor, dass die gesellschaftlichen Verlierer an ihrem Schicksal selbst schuld seien. Sie werden geschmäht und verachtet – selbst seitens derjenigen, die sich selber als links oder als solidarisch betrachten. “Loser,” “Opfer” und “Hartz IV” sind heute beliebte Schimpfwörter. All das sind Befunde, die eine emanzipiertere und gleichere Gesellschaft in zumindest naher Zukunft kaum möglich erscheinen lassen.
Die beiden Studien müssen einander nicht unbedingt widersprechen: Das neoliberale System baut auf einem permanenten Leistungsdruck und Abstiegsangst auf. Die Jugendlichen aus der Oberschicht können zwar darauf vertrauen, dass ihre sozialen Privilegien und die Ungleichheit erhalten bleiben, aber die Mittelschicht muss sich immer und überall behaupten, im Kampf gegen die Anderen. Der Unterschied zu vergangenen Jahren ist neben der Intensität des Leistungskampfes, dass dieses System heute offenbar kaum hinterfragt oder gar abgelehnt wird. Die herrschende Ideologie des Kampfes ums Dasein wirkt sich aus in der Sehnsucht nach Anpassung und in Unterwerfung unter das herrschende System.
Halt und Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen und normative Überzeugungen gibt es immer weniger, dafür wächst das Vertrauen ins eigene Ich, in Karriere und finanziellen Erfolg. All jene, die es nicht schaffen, wie man es selbst schaffen zu können glaubt, werden verachtet. Jeder, der sich dem unmenschlichen System verweigert, muss mit unmenschlichen Reaktionen rechnen.
Von der Psychologie wird seit einigen Jahrzehnten eine Ausbreitung der narzisstischen Persönlichkeit festgestellt. Diese Generation führt das weiter. Der Neoliberalismus, dem sie sich unterordnet, hat in den vergangenen 30 Jahren die Eigenschaften gefördert, die ihn ausmachen: Egoismus, Konkurrenzkampf, Prinzipienlosigkeit. Mit dieser Generation lässt sich kaum auf einen Systemwechsel hoffen. Und es besteht auch eher wenig Hoffnung, dass es mit einer kommenden besser wird.