Judith Vanistendael: Kafka für Afrikaner. Graphic Novel.

Von Buchwolf

Wolfgang Krisai: Mehrfärbige Marmorbüste einer Afrikanerin. 2009.

Die belgische Zeichnerin Judith Vanistendael hat sich eine aktuellen Themas angenommen: der Liebe zwischen einem afrikanischen Asylwerber und einer jungen Weißen aus gutbürgerlichem Haus.

Als Sofie, so heißt die junge Frau, abends nicht heimkommt, ist Mutter sehr besorgt, während der Vater darauf verweist, die Tochter sei ja schon erwachsen, und sich hinter seiner Zeitung verkriecht. Das sieht nach klischeehaft gezeichneter kleinbürgerlicher Familie aus. Ist es dann aber doch nicht, denn als Sofie endlich auftaucht und von ihrem afrikanischen Geliebten erzählt, sind die Eltern ganz locker und offen, lassen Abou in die Dachkammer ziehen, integrieren ihn in die Familie, ohne ihn zu vereinnahmen, und unterstützen ihn gemeinsam mit Sofie bei seinem Asylantrag. Abou stammt aus Togo und musste fliehen, als seine Eltern plötzlich ins Räderwerk der politischen Verfolgung gerieten. Von ihnen hat er nichts mehr gehört.

Sofie ihrerseits interessiert sich auf einmal brennend für Afrika und will eine Dissertation über „informelle Frauenwirtschaft in Togo“ schreiben. Dazu reist sie – ohne Abou natürlich – dort hin und merkt schnell, dass Frauen dort zwar oft die einzigen sind, die Geld ins Haus bringen (weil ihre „informelle Wirtschaft“ eben funktioniert), aber dennoch von den Männern unterdrückt werden. Auch ihr ergeht das so, weshalb sie bald wieder das Weite sucht und keine Lust hat, mit Abou nach Afrika zu gehen.

Abous Asylantrag wird in zweiter Instanz abgelehnt, und nur noch eine Ehe mit einer Belgierin könnte ihn vor der Abschiebung retten. Eigentlich wollte Sofie nicht so weit gehen, aber jetzt heiratet sie Abou doch. Ein Jahr lang geht die Ehe gut, doch als Abou immer mehr den afikanischen Macho macht, vor allem, wenn afrikanische Freunde zu Besuch sind, ist der Ofen aus. Sofie trennt sich von Abou, bleibt aber pro forma seine Frau, damit er nicht abgeschoben wird. Ende.

Gestaltung

Die Autorin und Zeichnerin erzählt ihre Geschichte in zwei Teilen: zuerst „normal“, im zweiten Teil als Rückblende in einem Gespräch mit ihrer kleinen – seltsamer Weise ebenfalls weißen – Tochter (von wem ist die? Doch nicht von Abou?). Die Bilder sind mit trockenem Tuschpinsel gezeichnet, mit kräftigen Schwarz-weiß-Kontrasten. Die Figuren sind ein wenig kindlich-comicmäßig dargestellt, aber wenigstens nicht à la Knollennasen-Stil. Manchmal gibt es Handlungssprünge, die man wohl besser kennzeichnen hätte sollen, um das Verständnis zu erleichtern.

Dem Leben abgeschaut

Ich dachte zunächst, hier werde ein klischeehaftes Plädoyer für die Ausländerfreundlichkeit kommen, doch so einfach hat es sich die Autorin nicht gemacht. Im Gegenteil, weder gibt es den sich anbietenden Eltern-Kind-Konflikt (wo die Eltern verstockte Ausländerfeinde sein müssten, während Sofie eine blauäugige Xenophile wäre), noch ist Abou so eine Lichtfigur, die immer gut ist. Das alles ist ganz offensichtlich dem Leben abgeschaut, vielleicht sogar autobiographisch. Die belgischen Behörden kommen nicht gut weg, aber auch das sich anbietende Motiv der Behördenkritik wird nicht allzusehr ausgewalzt. Ja, nicht einmal die unabhängige Ausländerberatungsstelle, die Sofie und Abou konsultieren, erweist sich als die erwartete Heilbringerin, denn im Grunde hat sie keine andere Lösung anzubieten als: zuerst abwarten und dann notfalls heiraten. Genau das Macht Sofie dann, aber auch die Ehe wird realistisch dargestellt und hält nicht lange…

Judith Vanistendael: Kafka für Afrikaner. Sofie und der schwarze Mann. Reprodukt-Verlag, 2011. 150 Seiten.