Ausstellung mit Audiostationen in der Galerie über der Klosterbuchhandlung in St. Ottilien. / Foto: Jens Weber
Nur kurz verdunkelte sich am Sonntag der Himmel, aber das befürchtete Gewitter blieb aus und die Teilnehmer_innen, Gäste und Organisator_innen der Ausstellung und des Symposiums „Sankt Ottilien – das Benediktinerkloster und seine jüdische Geschichte 1945-48“ verbrachten bei bestem Wetter und an idyllischem Ort drei sehr intensive, erkenntnisreiche und anregende Tage auf dem Klostergelände. Die Erzabtei St. Ottilien hatte die Tagung zusammen mit der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität initiiert. Begleitend dazu wurde eine Ausstellung eröffnet, für deren Realisierung das Jüdische Museum München als Kooperationspartner gewonnen worden war. Bereits seit dem 13. Mai ist bei uns im Foyer eine Installation mit Fotografien des israelischen Künstlers Benyamin Reich zu sehen, die auf den Ort St. Ottilien und seine besondere Geschichte verweist.
Installation im Museumsfoyer. / Foto: Eva Jünger
Im Fokus von Ausstellung und Tagung stand die Zeit von 1945-48, als eben dort auf dem Klostergelände vorübergehend ein Krankenhaus und Lager für jüdische „Displaced Persons“ (DPs) eingerichtet wurde. Es ist das erste Mal, dass dieses Thema so umfangreich bearbeitet und einer breiten Öffentlichkeit durch Symposium und Ausstellung zugänglich gemacht wurde. Dies wurde in den Grußworten zur Eröffnung, unter anderem von Schirmherrin Charlotte Knobloch, gewürdigt.
Zum Symposium waren nicht nur Wissenschaftler und Fachpublikum von nah und fern angereist, sondern auch Nachkommen ehemals im DP-Hospital praktizierender jüdischer Ärzte und vor allem zahlreiche „Ottilien-Babys“ aus der ganzen Welt. Sie waren im Zeitraum von 1945-48 in St. Ottilien zur Welt gekommen, wo zur DP-Zeit eine Geburtenstation eingerichtet worden war, in der in nur drei Jahren 427 Kinder geboren wurden.
Holocaust-Überlebender Ben Lesser, Erzabt Wolfgang Öxler, „Ottilien-Baby“ Sara Mozes-Kahn Bürgermeister Josef Loy, Eresing, MdL Dr. Thomas Goppel, Landrat Thomas Eichinger. / Foto: Stefanie Merlin
Anlässlich des Symposiums kehrten sie nun an den Ort ihrer Geburt zurück, um sich mit den Benediktinermönchen, Historikern und anderen auszutauschen. Im Zusammenspiel mit den Fachvorträgen waren es vor allem diese persönlichen Berichte und Gespräche, die der Tagung ihre Intensität und Dynamik verliehen. Aus den USA war etwa Yair Grinberg mit Familie gekommen, der Sohn des ersten DP-Krankenhausleiters Zalman Grinberg, der später einer der wichtigste Vertreter der jüdischen Selbstverwaltung der DPs in Bayern wurde und sich engagiert für die Belange der Überlebenden einsetzte. Im Gespräch ergänzte Yair Grinberg das Bild des „Politikers“ Zalman Grinbergs um eine persönliche Komponente und beschrieb seine Eltern trotz unsäglicher Erfahrungen während der Schoa als lebensbejahende tapfere Menschen, die noch unter schwierigsten Bedingungen Widerstand geübt hatten. Ein besonderer Moment war es auch, als auf Initiative des in St. Ottilien geborenen John Glass das Kaddisch auf dem jüdischen Friedhof in Sankt Ottilien gesprochen wurde. Sowohl er als auch der St. Ottilien-Nachkomme Alec Savicki leben heute in Australien und wissen beide einen Geschwisterteil hier beigesetzt; sie wünschen sich eine Tafel mit den Namen der hier Bestatteten auf dem jüdischen Friedhof in St. Ottilien.
Auch die Fachvorträge warfen vielfach einen differenzierten Blick auf die historischen Ereignisse. Die Berliner Historikerin Dr. Jael Geis etwa stellte dar, welche fatalen Folgen die Zeit in den Konzentrationslagern besonders auf den weiblichen Körper hatte und gab so eine weitere Perspektive auf die Erzählung vom „Babyboom“ unter den DPs zu bedenken.
Viel Nachfragen und Rückmeldungen aus dem Publikum gab es vor allem zu den Vorträgen von Julia Schneidawind, Carolin Piorun und Mirjam Spandri. Die drei LMU-Studentinnen hatten über mehrere Monate intensiv zu St. Ottilien geforscht und hatten die Zeit, als die Erzabtei DP-Camp war, jeweils unter ganz spezifischen Fragestellungen untersucht. Detailliert konnten sie Auskunft zu Fragen der Religion, der Kinderfürsorge und den deutsch-jüdischen Begegnungen im DP-Hospital St. Ottilien geben.
Kuratorin Jutta Fleckenstein hier vom Jüdischen Museum München stellte in ihrem Beitrag vor, welche Wege das Jüdische Museum bei der Musealisierung von DP-Geschichte in vorangegangenen Projekten beschritten hat. Neben einer Ausstellung aus den Jahren 2011/12, die in Zusammenarbeit mit Tamar Lewinsky entstanden war und einen Schwerpunkt auf das DP-Lager Föhrenwald gesetzt hatte, erläuterte sie zudem die Ausstellungen zu St. Ottilien. Neben der Ausstellung in der Galerie in der Klosterbuchhandlung wurde das Klosterareal auch mit einer neuen Beschilderung versehen: elf Orte, die zwischen 1945-48 eine wichtige Rolle für das jüdische Leben in St. Ottilien gespielt hatten, wurden so gekennzeichnet und ihre Bedeutung und Funktion in der DP-Zeit herausgestellt.
Neue Außenbeschilderung des Klostergeländes. / Foto: Jens Weber
Noch bis 23. September sind die Verweisstation im Jüdischen Museum München und die Ausstellungen auf dem Klostergelände und in der Galerie zu besichtigen.
Am 8.7., 5.8. und am 2.9. sowie auf Anfrage werden jeweils kostenlose Führungen in St. Ottilien über das Klosterareal und die Galerie angeboten.
Anmeldung und Informationen hierzu unter [email protected] oder telefonisch unter +4989288516423
Während der drei Tage wurde deutlich, dass das Projekt „DP-Krankenhaus St. Ottilien“ mit Symposium und Ausstellung keinesfalls beendet ist, sondern vielmehr Auftakt zu einem noch regeren Austausch und Forschung ist über die Zeit, als das katholische Kloster für kurze Zeit auch ein jüdischer Ort war.