Journalisten haben ein Problem mit Zahlen und Statistiken. Normalerweise können sie nicht zwischen Prozenten und Prozentpunkten unterscheiden, scheitern am Vergleich von absoluten und relativen Werten und sind auch auf Dreisätze nicht gut zu sprechen. Ihre Haltung zur Mathematik schwankt unentschlossen zwischen „Wow!“ und „Leck mich am Arsch“. Dabei gerinnt ihnen alles, was in Ziffern spricht, normalerweise zur absoluten und nicht hinterfragbaren Wahrheit. Bekanntes Beispiel für diese quasi-religiöse Gläubigkeit sind Armutsberichte. Dann sind weder der gesunde Menschenverstand noch mathematische Grundkenntnisse gefragt: Besinnungslos wird die Litanei von der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich heruntergebetet. Die Zahlen der AWO stimmen nicht mit denen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes überein? Egal. Im vergangenen Jahr klaffte die Schere noch viel weiter? Vollkommen wurscht. Armut ist in Deutschland keine existenzielle, sondern eine Frage der Definition? Mir doch egal.Gegenstück dieser Haltung ist momentan der Vorwurf an Thilo Sarrazin, er sei ein Faktenhuber und unnötigerweise auf Zahlen fixiert - um im nächsten Moment mit einer Art plasbergschen Fakten-Check um die Ecke zu kommen. Normalerweise ist dann eine klassische "Ja, aber"-Argumentation die Folge. Die, die eben noch hörig die Ergebnisse von Umfragen und Erhebungen als Wahrheit in die Welt pusteten, ohne auch nur ansatzweise deren Plausibilität in Frage zu stellen (beispielsweise mit einem Blick in das redaktionseigene Archiv), werden auf einmal zu investigativen Hochrechnern. Doch die Ergebnisse sind dürftig. Sogar honorige Blogger wie die der Nachdenkseiten gefallen sich in eher wolkigen Auslassungen, die sich in Sätzen wie "Das ist ein typisches Argumentationsmuster der Rechtsradikalen" erschöpfen, und nicht in konzisen Diskussionsbeiträgen. Sarrazin schlägt dann beispielsweise die "Tonart der Neonazis" an". Holla, eine Aussage, die so dürftig ist wie eine Entgegnung sinnlos. Ein Elend - denn eine nicht-empörte, sondern faktisch orientierte Widerlegung von Sarrazins Thesen könnte wirklich hilfreich sein.