“Das Ich” hält immer stärker Einzug in journalistische Texte. Was nicht gleich ein Problem sein muss, wenn neben “mein schönstes Ferienerlebnis” und Instagram-Selfies auch die 4 Seiten einer Geschichte erzählt werden. Siehe: Krim und die vermeintlich korrupten deutschen Journalisten
Und da haben wir es schon. Ich mache es auch. Ich schreibe als ich. Und muss mich manchmal sogar regelrecht dran erinnern und zwingen “ich” statt “man” zu schreiben.
“Man” ist viel furchtbarer als “ich”. Man ist abweisend. Ausschließend. Nicht nachvollziehbar, wer da überhaupt gerade von wem spricht und wer sich angesprochen fühlen soll.
Aber: Ich bin auch kein Journalist und will auch keiner sein.
Dürfen Journalisten in der Ich-Form schreiben?
Viel wichtiger ist die Frage, die Petra Sorge sich auf Cicero gestellt hat:
Ist die Ich-Form auch für Journalisten OK? Obwohl sie in Webtexten wie Blogs seit ich mich erinnern kann üblich war.
Von Journalisten erwarte ich Haltung. Haltung bedeutet auch Abstand halten. Den Versuch unternehmen Objektivität bewahren. Sich nicht einlullen lassen. Nicht für die Wirkung zu übertreiben. Natürlich ist kein Journalist in der Lage, wirklich objektiv zu sein – außer Roboterjournalisten vielleicht bald.
Ein Journalist soll den Major Consesus Narrative einer Geschichte erfassen, wiedergeben und erklären. Der Major Consensu Narrative besteht aus den 4 Wahrheiten einer Geschichte:
- Deine Version der Geschichte
- Ihre Version der Geschichte
- “Die Wahrheit”
- Was wirklich passierte
Frank Rieger und Ron haben das 2002 schon einmal in Bielefeld auseinander klamüsert und 2007 die Frage nach der Wahrheit auf dem 24c3 Kongress nochmal aufgegriffen. Sehr sehenswerte und unterhaltsame 60 Minuten:
Die Geschichte, die weiter erzählt wird, ist:
- Die Geschichte der Sieger (wenn es Sieger und Verlierer gibt)
- Die Geschichte, die sich am besten erzählen lässt
- Die am häufigsten erzählt wird (wobei nach dem stille-Post-Prinzip eine Geschichte auch eine Evolution durchläuft)
- Die Geschichte, die am besten zum Rest der Geschichtsschreibung – des Major Consensus Narrative passt
- Die Geschichte, die eine gewisse Aufmerksamkeit erzielt.
- Die Geschichte nicht zu komplex ist (Frank: “Wenn Du irgendeine grobe Sauerei begehen willst, dann machst Du sie ordentlich komplex” Parteispendenskandal, Wallstreet-Skandal)
Randnotiz: Leute, die in den USA an Skandalen scheitern, kommen meist zu Fall, weil sie vor Gericht oder in Untersuchungsausschüssen “lügen”. Das ist einfach zu erklären. Der hat gelogen. Der muss weg. Den komplexen Veruntreuungsvorgang würde niemand verstehen.
Ob ein Journalist die 4 Seiten einer Geschichte nun in der erster, zweiten oder dritten Person darstellt ist mir so lange völlig egal, so lange es ihm halbwegs gelingt und so lange klar ist:
Der Journalist fühlt sich nur seinem Leser und dessen Aufklärung verpflichtet.
Nicht der Person, dem Ereignis oder der Organisation über die er schreibt.
Nicht seiner Redaktion und auch nicht den Werbekunden.
Er versucht die Geschichte so vollständig wir möglich zu erzählen. Nicht nur für die etwas “Unterbemittelten mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörhnchens” (Zitat eines Frühstücksfernsehmoderators aus dem Video mit Frank und Ron)
Er versucht auch nicht, die Geschichte richtig falsch wieder zu geben, nur weil es so “besser verständlich” ist. Hier ein Beispiel dafür: Die Zahlen, die Rob in diesem Artikel zum Fahrverhalten und Verbrauch von Autos zusammen gestellt hat, sind laut dieser Facebook-Diskussion mit zwei Experten schlicht falsch berechnet. Reichen nach Meinung des Autors aber aus, um einen Punkt zu belegen. Im Einzelfall des Artikels mag das zufällig stimmen und eine detaillierte Berechnung mit für Ingenieure relevanten Faktoren wäre für den Leser uU zu komplex.
Aber: Damit stellt der Autor für mich als Leser eine Menge von dem was er vorher geschrieben hat in Frage. Denn ich als Leser frage mich nun: Wenn er die Fakten hier so freimütig interpretiert – wo dann noch?.
Wann ist eine Geschichte eine gute Geschichte?
Das Ich als Erzählform ist schon OK. Es ist OK, wenn Das Ich sich in persönlichen Kanälen breitbeinig hinstellt, die Arme verschränkt und “hier bin ich, hier bleib ich, ich erzähl Euch jetzt mal was” nuschelt.
Interessant ist eine Geschichte für mich sowieso nur dann, wenn der Erzähler der Geschichte eine Bedeutung für mich herstellen kann. Bei Ich-Erzählern habe ich das Gefühl, dass es mir leichter fällt eine Verbindung zu meinem Bezugsrahmen herzustellen. Möglicherweise hängt damit auch zusammen, dass ich mittlerweile keinen Fernseher mehr habe und Nachrichten – also klassische News – fast vollständig aus meiner Wahrnehmung verdrängt habe.
Das einzige Problem was mit der ich Form bleibt ist, dass die Grenzen zwischen Storytelling und Gewäsch verschwimmen:
Nicht jeder, der die Ich-Form benutzt erzählt auch wirklich eine gute Geschichte, sondern benutzt unter Umständen nur die Technik und wie wir darauf reagieren um uns mit seinem Gewäsch einzulullen.
Ukraine vs. Russland als Beispiel für das ganze Problem
Die Ukraine-Krise. So wie Daniel habe ich mich davon bisher recht fern gehalten (dank o.e. Nachrichten-Diät). Jetzt kommt aber raus, wie viele – und welche Journalisten tatsächlich in ein pro-transatlantisches und damit pro-amerikanisches Horn blasen.
Ich war zwar letztens noch auf der Krim. In Odessa, Sevastopol, Jalta usw. und finde es besorgniserregend was da drüben passiert. Aber ich habe mich bisher nicht besonders damit beschäftigt (außer dem, was ich im BROCKHAUS dazu gelesen habe) – weil mich die Situation nicht persönlich betrifft. Die Umgehensweise der (möglicherweise korupten) deutschen Journalisten mit dem Thema betrifft mich nun aber doch plötzlich. Denn hier werden persönliche Agendas verfolgt.
Denn sie stellt meine Wahrnehmung der deutschen Medien nun noch mehr in Frage, als ich sie sowieso schon in Frage gestellt habe
Schaut Euch diesen Ausschnitt aus “Die Anstalt” vom 29.4.2014 mal an, in der einige “unabhängige” Journalisten von WELT, Zeit, FAZ und der Süddeutschen gezeigt – oder nennen wir es doch einfach mal enttarnt werden:
Und dazu auch gleich das in der Anstalt kurz angerissene Interview mit Gabriele Krone-Schmalz über die “entlarvenden Automatismen” in der Berichterstattung über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Ernsthaft: Schaut Euch das an und dann fragen wir uns nochmal, ob denn die Formulierung aus der Ich-Perspektive hier wirklich das Problem ist.
Übrigens – nur damit Ihr das hier einordnen könnt:
Mir fällt es immer sehr schwer, diesen objektiven Abstand zu halten, aber ich bemühe mich fast immer ;).
Als kleine Leseempfehlung aus dem Frank & Ron Video noch das Interview mit Heinz von Foerster
Und absolute Nichtlese-Empfehlung für die derzeit rumgeisternden Clickbait-Seiten über die hier und hier genug steht.
Letzte Randnotiz: Und der Typ, der in meiner Hochgruftiephase “Das Ich” verkörpert hat: Bruno Kramm ist mittlerweile Vorzeige-Pirat :)