Journaille auf Wacht

Junge Welt, 26.03.2013
Warnungen vor deutschem Hegemonialstreben in EU: Spanische Zeitung El País zensiert Kommentar eines Wirtschaftsprofessors

Wie weit reicht inzwischen Deutschlands Einfluß in »seinem« Europa? Offensichtlich bis in die Redaktionsstuben der linksliberalen spanischen Tageszeitung El País. Die ließ einen Kommentar des Wirtschaftswissenschaftlers Juan Torres López von ihrer Internet­seite wieder entfernen, nachdem dieser auf heftige Kritik gestoßen war. Es seien »deutsche Journalisten im In- und Ausland« gewesen, die sich über den »Deutschland gegen Europa« betitelten Kommentar empörten und somit dessen Zensur forderten, meldete die französische Nachrichtenagentur AFP. Die Pressevertreter hätten sich vor allem über einen »Hitler-Merkel-Vergleich« erregt, hieß es in dem Bericht. Der Kommentar des an der Universität Sevilla lehrenden López enthielte »Behauptungen, welche die Zeitung für unangebracht hält«, kommentierte die zuletzt auch als wirtschaftlich angeschlagen geltende El País die Zensurmaßnahme lapidar.

Verdrängte Fakten

In dem später zensierten Text, der jW vorliegt, schrieb der spanische Professor wörtlich: »Merkel hat, wie Hitler, dem Rest von Europa den Krieg erklärt, diesmal, um sich den vitalen Wirtschaftsraum abzusichern.« Die Bundesregierung verordne den krisengeschüttelten Ländern Europas ausdrücklich als »Bestrafung« bezeichnete Maßnahmen, um die »deutschen Konzerne und Banken zu schützen«. Noch mehr als über den polemischen Hitler-Vergleich dürfte die deutsche Journaille darüber in Wallung geraten sein, daß López ein paar essentielle Wahrheiten über die Struktur der Euro-Zone und die neoimperialistische Strategie Berlins ausspricht – etwas, das von den meisten »Berichterstattern« für die deutsche Öffentlichkeit verbissen ignoriert wird.

Zum einen macht der Ökonom klar, daß die BRD-weite Medienkampagne gegen »faule Südeuropäer« dazu dienen soll, das »beschämende« eigene Wirtschaftsmodell zu »verbergen«. Der Armutsindex sei in der BRD so »hoch (…) wie seit 20 Jahren nicht mehr«, während 25 Prozent der deutschen Lohnabhängigen »weniger als 9,15 Euro pro Stunde« verdienten. Die Umverteilung zugunsten der Reichen und des Kapitals habe dazu geführt, daß zwischen 1998 und 2008 das wohlhabendste Zehntel der BRD-Bevölkerung seinen Reichtumsanteil von 45 auf 53 Prozent erhöhen konnte, während die Quote der unteren Hälfte von vier auf ein Prozent schrumpfte.

Diese durch Steuergeschenke und den von SPD und Grünen exekutierten Sozialkahlschlag der »Agenda 2010« durchgesetzte Enteignungswelle, habe »immer mehr Kapital zur Spitze der sozialen Pyramide« getragen. So gestärkt, konnten die »Konzerne des Nordens« dazu übergehen, »sich eine große Anzahl von Firmen, sogar ganze Sektoren einzuverleiben, zum Beispiel in Spanien«. López verweist auch auf die aus dem Sozialabbau in der Bundesrepublik resultierenden Ungleichgewichte in den europäischen Handelsbilanzen, die »zu riesigen Defiziten in den Südländern und Gewinnen besonders in Deutschland führten«.

Zudem spricht der Ökonom die Rolle der deutschen Banken bei der Aufhäufung der Schuldenberge an, die 704 Milliarden Euro bis 2009 in den irischen Finanzsektor, in die spanische Immobilienblase oder die griechischen Staatsverbindlichkeiten investierten. Das habe dazu geführt, daß die »privaten Schulden in der Peripherie Europas in die Höhe schossen und sich die Tresore deutscher Banken mit toxischen Papieren füllten«. Nach Ausbruch der Euro-Krise zogen die Deutschen dann ihre Gelder aus den betroffenen Ländern ab, »aber die Schulden verblieben in den Bilanzen der Schuldnerbanken«. Merkel spreche nie über diese Verantwortungslosigkeit der einheimischen Finanzkonzerne, klagte López.

Wesen der »Rettung«

Die nach Ausbruch der Krise eingeleiteten »Rettungen« erschöpften sich in Wahrheit darin, den betroffenen Regierungen Geld »als Leihgaben« zu schicken, die von »den Bürgern bezahlt werden müssen«, nur damit dieses »an die Nationalbanken weitergereicht wurde, um damit die deutschen Banken zu bezahlen«. Zudem habe Berlin darauf geachtet, daß die Europäische Zentralbank nicht in der Lage sei, »die spekulativen Attacken gegen die Staatsanleihen der Peripherieländer« zu verhindern, um so »durch steigende Zinsen aller anderen die Refinanzierungskosten Deutschlands« möglichst niedrig zu halten.

Schließlich benennt der Wirtschaftswissenschaftler die maßgeblich von Berlin geformte Struktur des gemeinsamen Währungsraumes als eine Grundvoraussetzung für den spezifischen Krisenverlauf in der Euro-Zone und die gegenwärtige Stellung Deutschlands als Krisenprofiteur: Die »großen wirtschaftlichen Gruppen Europas« hätten eine Einheitswährung geschaffen, die »die bestehenden Ungleichheiten zwischen den beteiligten Wirtschaftsräumen nur noch vergrößerte«. Aufgrund fehlender sozialer oder monetärer Ausgleichsmechanismen und Mindeststandards in der Euro-Zone konnte Berlin die unter dem Banner »Agenda 2010« umgesetzte Verelendungsstrategie in Deutschland nutzen, um vermittels gigantischer Exportüberschüsse die Länder der südlichen Peripherie der Währungsgemeinschaft in die Schuldenfalle zu treiben.

Das autoritäre Gehabe und die neoimperialistische Politik hatte übrigens auch den kürzlich verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez dazu veranlaßt, die Bundeskanzlerin in politischer Nähe zum deutschen Faschismus zu verorten. Am 1. Mai 2008 sagte er: »Sie gehört der deutschen Rechten an, derselben, die Hitler unterstützt hat, die den Faschismus unterstützt hat. Das ist die Kanzlerin des heutigen Deutschland.«


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