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Nun häufen sich ja die Verfahren, in denen der Wettermoderator Jörg Kachelmann nach erstinstanzlichem Abschluss seines Strafprozesses, in dem er der Vergewaltigung seiner Ex-Freundin angeklagt war, gegen Personen und Medienerzeugnisse diverser Art vorgeht, die ihn auch weiterhin in die Nähe eines Straftäters rücken.
Er hingegen spricht – bisher ohne jede juristische Reaktion – davon, dass diese Ex-Freundin und Nebenklägerin ihm gegenüber mit ihren Aussagen kriminell gehandelt habe, der ihn in den Zivilverfahren vertretendende Rechtsanwalt, Prof. Ralf Höcker aus Köln, nennt die Nebenklägerin öffentlich „Erfinderin des Vergewaltigungsvorwurfs“.
Rechtsanwalt Thomas Stadler kommentiert dies umfänglich in seinem Blog (Internet-Law » Bei Kachelmann wird es langsam lächerlich), und stösst dabei mit seiner Kernaussage, das Verhalten von Jörg Kachelmann grenze an Lächerlichkeit, auf Kritik.
Ich selbst habe mich ebenfalls schon mit den dortigen Thesen auseinander gesetzt (Fall Kachelmann: Wird es wirklich langsam lächerlich? « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes), doch ist mir bei der Lektüre der dortigen Anmerkungen insbesondere eine besonders pointierte aufgefallen, die den Versuch unternimmt, dass seitens der Gerichte abgemahnte Verhalten der Nebenklägerin zu rechtfertigen – wir erinnern uns, diese hatte in der Zeitschrift Bunte auch nach dem erstinstanzlichen Freispruch ihren strafrechtlichen Vorwurf wiederholt und war darauf hin vor dem Landgericht Köln erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen worden.
Nun mutmasst man, die Entscheidung des Zivilgerichts sei falsch, denn:
Die Wiederholung des Tatvorwurfes der Nebenklägerin im Interview mit der Bunten war demnach eine Replik, die nach §193 StGB bei einigermaßen geradlinigem juristischem Denken als zulässig angesehen werden müsste.
Eine der einstweiligen Verfügungen des LG Köln war demnach nicht nur “meinungsfeindlich”, sondern contra legem pro Kachelmann (oder Höcker).
Aber nicht genug mit der harschen Urteilsschelte und der Berufung auf §193 StGB, es werden sogar noch härtere Geschütze zur Verteidigung der Nebenklägerin aufgefahren:
Zumindest durfte die Anzeigenerstatterin hier auf die öffentliche Beschuldigung hin, sie habe eine falsche Verdächtigung begangen, den Tatvorwurf noch einmal als Replik wiederholen. Den § können sie sich aussuchen, 32, 34 oder 193 StGB, das ist letztendlich piepegal. Auf jeden Fall kann es nicht rechtens sein, einen in seinen Persönlichkeitsrechten angegriffenen Menschen von Staats wegen daran zu hindern, die Rechtsverletzung selbst abzuwenden oder ihre Folgen zu mindern, wenn das anders als durch Selbsthilfe nicht möglich ist.
Nun, denke ich auch gradlinig juristisch? Würde ich die Nebenklägerin auch gerechtfertigt sehen, wenn sie auch nach dem Freispruch den Tatvorwurf vor einem breiten Publikum wiederholt? Und handelt es sich um den einzigen Weg für sie, Selbsthilfe (der dortige Schreiber vermeidet tunlichst den wohl besser passenden Ausdruck „Selbstjustiz“) zu üben?
Machen wir doch einmal – das Wetter ist ja warm genug, um ein wenig vom Tagesgeschäft abzuschweifen – einen Streifzug durch die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe, und beginnen wir mit derjenigen Norm, die die Nebenklägerin in die (auch moralisch) vermeintlich beste Position bringen würde:
§ 32, Notwehr
(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Die erste Hürde, die sich da stellt, ist die des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs des Herrn Kachelmann gegen sie, die Nebenklägerin. Wenn ich die Argumentation richtig verstanden habe, soll dies seine Äusserung sein, sie, die Nebenklägerin habe durch die Anzeigeerstatterin ihm gegenüber kriminell gehandelt. Die Äusserung seines Anwalts, sie, die Nebenklägerin, sei die „Erfinderin des Vergewaltigungsvorwurfs“, kann es nicht sein, denn die „Tat“ der Nebenklägerin richtet sich ja gegen Jörg Kachelmann – der wiederum ja nicht in Verantwortung genommen werden kann für die Äusserungen des Herrn Prof. Höcker.
Nun gibt es durchaus ernstzunehmende Stimmen, die meinen, auch Jörg Kachelmann sei mit seiner Äusserung über das Ziel hinaus geschossen – und wenn man sich dieser Auffassung anschliesst, dann kann man tatsächlich zu dem Ergebnis kommen, die Nebenklägerin sehe sich auch objektiv einem einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff ausgesetzt. So weit ist §32 StGB also auch noch für jeden geradlinig juristisch Denkenden in …sagen wir mal, „Schlagdistanz“.
Aber, ist denn die öffentliche Wiederholung des Vergewaltigungsvorwurfs in einem Boulevardblatt nach einem Freispruch des Angeklagten tatsächlich eine
Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff …
abzuwenden?
An dieser Stelle scheitert der gradlinig juristisch Denkende, denn warum sollte sich jemand, der durch eine öffentliche Äusserung eines Anderen in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt wird, nun dadurch zur Wehr setzen dürfen, dass er ebenfalls den Anderen durch seine Äusserungen in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Und wieso sollte eine solche „Retourkutsche“ auch nur geeignet sein, den rechtswidrigen Angriff des Anderen abzuwenden? Mit Verlaub, eine solche Rechtsauffassung ist nicht juristisch gradlinig, sie ist schlicht abwegig: das gegenseitige Austauschen von Beleidigungen und Unwahrheiten stellt kein geeignetes Mittel dar, um rechtswidrige Angriffe abzuwehren.
Und damit entfällt eine Rechtfertigung der Nebenklägerin gemäss §32 StGB.
Aber was soll sie denn nun machen, die arme Nebenklägerin, die nun vom Ex-Angeklagten juristisch gebeutelt wird? Ganz einfach: sie mag sich juristisch gegen die Behauptungen des Jörg Kachelmann wehren – so wie er es tut, und zwar völlig legal und deswegen durchaus nachvollziehbar. Insoweit hält er sich also an das in einem Rechtsstaat vorgegeben Procedere und übt keine Selbstjustiz.
Doch Halt, vielleicht hilft ihr ja §34 StGB, denn immerhin kann sich ein juristisch gradlinig Denkender aussuchen, welche Norm er für die Nebenklägerin streiten lassen will (so oben ja ausdrücklich niedergeschrieben); nehmen wir als §34 StGB zur Hand:
§ 34, Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Ach, beim Lesen der Norm fällt es eigentlich gleich ins Auge: wahrscheinlich wird für einen juristisch gradlinig Denkenden eher andersherum ein Schuh aus der Sache: denn auch §34 StGB wird der Nebenklägerin nicht helfen, da ihre Retourkutsche auf die Äusserungen Jörg Kachelmanns – egal, wie man diese Behauptungen des Wettermoderators qualifizieren will – jedenfalls kein angemessenes Mittel ist, um die Gefahr für ihre Rechtsgüter abzuwenden. Schon daran scheitert also ihre Rechtfertigung über § 34 StGB – und da brauchen wir uns gar nicht auf die spannende Diskussion einzulassen, ob denn hier das geschützte Interesse der Nebenklägerin das beeinträchtigte Interesse des Freigesprochenen wesentlich überwiegt.
Bleibt uns also noch §193 StGB – als Notnagel sozusagen:
§ 193, Wahrnehmung berechtigter Interessen
Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
via § 193 StGB Wahrnehmung berechtigter Interessen
Hier geht es nun nicht mehr um die Erforderlichkeit bzw. Angemessenheit der Verteidigung, sondern darum, ob die Nebenklägerin vielleicht straflos solche Äusserungen tätigen darf, weil die Form der Äusserung oder Umstände, unter welchen sie geschah, eine Strafbarkeit nicht begründen können.
Und damit sind wir sicherlich bei der Kernfrage: darf jemand, der über die Medien bezichtigt wird, er habe mit der Erstattung einer Anzeige wegen Vergewaltigung „kriminell“ gehandelt, diesen so aus der Anzeigeerstattung hergeleiteten strafrechtlichen Tatvorwurf auch nach einem erstinstanzlichen Freispruch des Angeklagten erneut über die Medien verbreiten?
Dazu müssen wir uns im Klaren werden, was denn nun die berechtigten Interessen, die man im Rahmen des §193 straflos wahrnehmen darf? Es sind dies alle Verhaltensweisen, die die Durchsetzung eines Rechtes vorbereiten oder bewirken oder der Abwehr eines erwarteten oder bereits eingeleiteten Rechtsangriffs dienen. Ihre Grenze findet die Wahrnehmung der berechtigten Interessen bei
- bewusst unwahren bzw. leichtfertig aufgestellten unwahren Tatsachenbehauptungen
- Behauptungen, bei denen es offensichtlich an jedem inneren Zusammenhang mit der Ausführung oder der Verteidigung von Rechten fehlt
- der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
Kriterien zur Abgrenzung einer strafbaren von einer nach §193 StGB gerechtfertigten Äusserung sind im Einzelfall zu prüfen:
- zeitliche, berufliche und persönliche Möglichkeiten weiterer Aufklärung
- bereits feststehender Wahrscheinlichkeitsgrad der Tatsache
- Schwere des zu erhebenden Vorwurfs und die Art seiner Verbreitung
- Beachtung des Rechtstaatsprinzips und des Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung.
Ausführliche Informationen finden Sie zB. hier: RA Peter Kremer.
Nun reicht der Schutz bei der Anzeigeerstattung selbst nach §193 StGB sehr weit, doch wie steht es mit dem Schutz nach einem erstinstanzlichen Freispruch?
Ein wichtiges Kriterium wird Hier umfänglich beschrieben, ich beschränke mich auf die Wiedergabe des Ergebnisses: „Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn sie nach gehöriger Prüfung in erforderlicher und geeigneter Wahrung oder Durchsetzung berechtigter Privat- oder Allgemeininteressen erfolgt, die auch den Täter angehen und nicht außer Verhältnis zu dem verletzten Rechtsgut stehen.“
Nun, hieran muss sich die Äusserung der Nebenklägerin messen, und – wenn man das beschriebene Fazit des Aufsatzes von Eser anerkennt – dann kann man es durchaus in einen inneren Zusammenhang mit der Äusserung des Jörg Kachelmann setzen: dieser nämlich war das mediale Opfer des Prozesses um den Vergewaltigungsvorwurf, er war das eigentliche Ziel der umfänglichen Veröffentlichungen rund um sein intimstes Privatleben – und dies nicht über viele Verhandlungstage hinweg, sondern eben auch über viele Wochen und Monate in der öffentlichen Wahrnehmung.
Man muss sicherlich für sich selbst entscheiden (eben im Rahmen einer Einzelfallentscheidung), aber es gibt gute Gründe, gerade für seine Äusserung – sei sie nun wahr oder unwahr bzw. sei es, dass man irgendwann ihre Wahrheit wird beweisen können oder nicht – jedenfalls gerade für seine Äusserung mag man mit guten Argumenten eine Rechtfertigung im Sinne des §193 StGB annehmen. Tut man dies, dann kann die Nebenklägerin in keinem Fall ebenfalls über §193 StGB gerechtfertigt sein.
Nimmt man aber an, dass eine solche Rechtfertigung für ihn nicht gegeben sei, dann muss man immer noch die Frage stellen, ob §193 StGB es rechtfertigen kann, wenn die Nebenklägerin trotz eines erstinstanzlichen Freispruchs ihre Behauptung aufrecht erhält, Jörg Kachelmann habe zu ihrem Nachteil eine Straftat begangen. Immerhin wehrt sie sich hier nicht gegen einen Vorwurf, der ihr mehrere Jahre Gefängnis einbringen würde, wäre er berechtigt; auch ist ihr Privatleben nicht ansatzweise so offengelegt worden wie dies des Wettermoderators (die wenigen Auswüchse in erster Linie im Internet haben nicht annähernd die Qualität der medialen Vorverurteilung, die hier durch die Medien unter tätiger Mithilfe der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten erfolgt sind), ihr hat der Prozess nicht annähernd den Schaden zugefügt, den er erlitten hat. Und der bereits feststehender Wahrscheinlichkeitsgrad der Tatsache, dass er eine Straftat zu ihrem Nachteil begangen hat bzw, dass man ihm eine solche jemals wird nachweisen können, ist nach dem erstinstanzlichen Urteil eher gering.
Erfolgte also ihre Äusserung tatsächlich zur Wahrung oder gar zur Durchsetzung von berechtigten Privatinteressen, und stand die Äusserung in einem angemessenen Verhältnis zu dem verletzten Rechtsgut? Ich habe da doch meine mehr als starken Zweifel. Und allein dies führt dazu, dass ich die Entscheidung des Landgerichts Köln nicht ansatzweise so als falsch empfinden kann, wie es in den obigen Zitaten dargestellt wird. Ich sehe mehr als gute Gründe, der Anzeigeerstatterin nicht erneut den Raum zu geben, ihre Vorwürfe öffentlich in Boulevardmedien zu wiederholen. Sie mag in einer Revision weiterhin das Ziel der Aufklärung des Sachverhalts im Sinne ihrer Angaben und damit das Ziel der Verurteilung des Angeklagten verfolgen, und sie mag sich in der vom Gesetzgeber vorgegebenen Form vor den Gerichten gegen Angriffe gegen ihre Persönlichkeitsrechte wehren – aber ihre weitergehenden öffentlichen Äusserungen über Jörg Kachelmann, er habe eine Straftat zu ihren Lasten begangen, gehen mir deutlich zu weit – und damit teile ich wohl die Auffassung der zuständigen Kammer des Landgerichts Köln.
Und auch die betroffene Nebenklägerin und das Boulevardmagazin, welches die Äusserungen abdruckte, scheinen nach allem, was man lesen kann, ähnlicher Meinung zu sein, denn bisher gibt es keinerlei Anzeichen für eine Fortführung des Verfahrens.
Aber warten wir ab, in der „Causa Kachelmann“ hat es ja schon genügend Irrungen und Wirrungen gegeben….