Jörg Kachelmann, Axel E. Fischer und die Diskussionskultur im Internet

Jörg Kachelmann, Axel E. Fischer und die Diskussionskultur im Internet

© Jürgen Hüsmert / pixelio.de

Axel E. Fischer, CDU-Politiker und Vorsitzender der Enquete-Kommission Internet & digitale Gesellschaft, hat die Forderung nach einem Vermummungsverbot im Internet erhoben und dies so begründet: Es könne nicht sein, dass sich viele Bürger in Foren oder anderen Einrichtungen des Netzes hinter selbstgewählten Pseudonymen verstecken und sich so vermeintlich jeglicher Verantwortung für ihre Äußerungen und ihr Verhalten entziehen. Nicht nur die Qualität von Diskussionen in Foren und Blogs leide hierunter – die vermeintliche Anonymität verleite viele Nutzer zu Äußerungen und Verhaltensweisen, die sie hinterher bereuen könnten (Klick).

Fischer hat dies in einem Gespräch im Deutschlandradio Kultur dahingehend präzisiert, dass er kein generelles Verbot der Anonymität gemeint habe, sondern nur für Foren mit politischen Abstimmungsmöglichkeiten (Klick).

Der Aufschrei war insbesondere im Internet gross, und die Häme ergoss sich kübelweise über den CDU-Politiker; auch ich war im ersten Augenblick mehr als kritisch, was seine Äusserungen betraf.

Aber mal abgesehen davon, dass sich seine Forderungen praktisch nicht durchsetzen lassen werden, so sollte man schon einmal für sich selbst überprüfen, wieviele Körnchen Wahrheit in seinen Äusserungen liegen – nutzen viele doch das Internet inzwischen nicht nur zur Information, sondern auch zu Äusserungen und zur Weitergabe von Meinungen, die sie in der pointierten Form nie abgeben würden, wenn sie dies unter ihrer eigenen Identität tun müssten.

Und, wie halte ich es denn selber mit meiner Beteiligung an Diskussionen im Internet? Meine „Karriere“ als Schreiber im Netz begann mit einigen Foren, die nichts mit politischer Meinungsäusserung zu tun hatten, sondern mit meinem Hobby „Hannover 96″ und mit allgemeinen Informationen hauptsächlich technischer Natur – zB. bin ich bis zum heutigen Tage dankbar über viele Tipps aus Foren, die mir meinen Umstieg von Windows zu Mac OSX erleichtert haben. Bei diesen Foren ist die Anonymität oder die Personalisierung eines Nutzers eigentlich unproblematisch, denn der dortige Meinungsaustausch wird von gemeinsamen Interessen getragen und ist deswegen in der Regel von gegenseitiger Wertschätzung gekennzeichnet.

Schon dort habe ich mich dazu entschieden, keine Nicknames zu benutzen, mit denen ich Anonymität wahre, und dies hatte durchaus Gründe, die denen des Herrn Fischer sehr nahe kommen – es ist für mich immer eine Art Selbstschutz, kurz vor dem Einstellen des Textes ins Netz wird man daran erinnert, den Eintrag noch einmal zu überprüfen, denn es ist ja nicht die Meinung eines anonymen Nutzers, sondern seine eigene; Authenzität ist also äusserst wichtig. Und deswegen ist mir die Forderung des Herrn Fischer als moralischer Aufruf für Diskussionen im Internet durchaus sympathisch.

Und nun habe ich in den letzten Wochen Erfahrungen gemacht, die mich in dieser Auffassung bestärken:

Vor einiger Zeit habe ich hier in meinem Blog den ersten Eintrag zum Prozess gegen Jörg Kachelmann veröffentlicht; die Gründe dafür habe ich schon einmal dargestellt (Klick). Nach dem ersten Blogeintrag stellte ich über die Reportfunktionen, die WordPress bietet, fest, dass meine Meinung in einigen Blogs und Foren zitiert wurde, und zwar durchaus sachlich; dies mag darauf zurückzuführen sein, dass es zu diesem Zeitpunkt ja nur eine andere „Quelle“ war, die dort zitiert wurde, und von ihr zu diesem Zeitpunkt noch kein Einfluss auf das eigene Renomee der anonymen Nutzer in diesen Foren ausging.

Natürlich habe ich mich für die dort vertretenen Meinungen interessiert. Dabei fiel mir sehr schnell auf, dass es in vielen Foren ein beliebtes Stilmittel ist, Diskussionen mit einem trockenen „Lies den Strang!“ abzuwürgen, sich also einer inhaltlichen Diskussion zu entziehen und lieber mit dem Argument frei nach dem berüchtigten Elternmotto „Da bist Du noch zu klein dazu!“ die eigenen Schwächen der Argumentation zu überdecken. Die etwas längere Version dieser Entgegnung, mit der ich meinen 5-jährigen Sohn nicht abzuwürgen wagen würde, ist es, einfach auf die bisherige Diskussion zu verweisen und zu behaupten, der Kontrahent habe wahlweise die bisherige Diskussion nicht gelesen bzw. nicht verstanden.

Ebenfalls habe ich festgestellt, dass immer dann, wenn die Einträge anonym waren, sich die Auffassungen radikalisierten; viele der Einträge machten dabei den Eindruck, als wenn sie bei einer konkreten Rückverfolgung zu einer Person eher nicht getätigt würden. Auch waren viele persönliche Angriffe ausgesprochen direkt und auch bei Nichtigkeiten durchaus so heftig, dass man sie sich im „realen“ Leben eher nicht vorstellen konnte. Für mich ergab sich sehr schnellt der Eindruck, dass es sich um eine Diskussionsform handelt, die in ihrer Heftigkeit und Radikalität durchaus von derjenigen abweicht, die ich so täglich erlebe – und zwar selbst in höchst streitigen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Dabei ähnelt sie in der Struktur trotzdem derjenigen im richtigen Leben – sie wird mit denselben Stilmitteln der Verdrehung, des Falschverstehen bis hin zur Lüge und Indiskretion geführt – aber eben in besonders heftigem Masse von denjenigen, die sich hinter ihrer Anonymität verstecken. Mich soll an dieser Stelle allerdings niemand falsch verstehen: die überwiegende Anzahl der Teilnehmer an solchen Diskussionen ist auch in der Anonymität sachlich, und jedem rutscht schon mal eine Bemerkung heraus, die ihm hinterher leid tut – auch mir ist das schon passiert (und ich habe mich dafür entschuldigt). Nur wenn Grenzen überschritten werden, dann ist die Grenzüberschreitung der anonymen User schon sehr, sehr deutlich.

Konkret bezogen auf die  “Causa Kachelmann“ stellt man Ähnliches fest, wobei der Streit auch hier durchaus blog- und forenübergreifend geführt wird, in dem man sich gegenseitig zitiert und dann – sozusagen auf „heimischen Gebiet“ – angreift – so kann der andere sich am wenigsten wehren; die Prozessparteien selbst werden in massiver Art attackiert, und zwar sowohl der Angeklagte und sein Lager als auch das mutmassliche Opfer und die sonstigen Beteiligten: da werden im Internet die absonderlichsten Kampagnen geritten, es wird vorverurteilt, die Selbstjustiz für Vergewaltigungsopfer gefordert und die Privatsphäre von Zeuginnen genüsslich recherchiert und veröffentlicht. Und bei vielem fragt man sich tatsächlich: würde dies auch dann geschehen, wenn der Verfasser sich namentlich dafür verantworten müsste? Würde er dann tatsächlich einen wildfremden Angeklagten als Psychopathen und Narzissten hinstellen, seinen Anwalt diskreditieren oder der Nebenklägerin sämtliche vorstellbaren schlechten Eigenschaften unterstellen? Wohl kaum!

Aber gut, Bloginhaber sind identifizierbar (auch wenn viele wenig Wert auf ein Impressum pp. legen) – und auch die dortigen Schreiber sind es im Zweifelsfall – nur scheinen sie sich dies garnicht so recht klar zu machen, und so werden fleissig Grenzen überschritten und Tabus gebrochen, die der persönliche Umgang miteinander eigentlich vorsieht. Ich will damit in keinster Weise sagen, dass man nicht Meinungen auch durchaus deutlich ins Internet schreiben kann – aber es sollte doch einen Stil haben, den man auch in der direkten Auseinandersetzung vertreten könnte. Und je anonymer sich der jeweilige Schreiber wähnt, umso heftiger sind seine Attacken.

Immerhin: die Blogs haben in der Regel noch so eine Art gemeinsame Richtung, d.h., durch den jeweiligen Betreiber geht die dort geführte Diskussion meistens in ein und dieselbe Richtung, da fallen dann die Angriffe untereinander eher gering aus. Bei den Foren sieht das schon anders aus, und die dortigen Administratoren kämpfen einen einsamen Kampf, wenigstens die schlimmsten Krawallmacher zu besänftigen. Ich bewundere schon ein wenig deren Einsatz, denn diesen erbringen sie auch noch ehrenamtlich – und werden dabei sicherlich selbst in erheblichem Masse angefeindet. Und was man da sehr schnell feststellen kann: da werden innigste Freundschaften und Feindschaften begründet und gepflegt, es werden Lager gebildet, man unterstützt sich gegenseitig im Kampf gegen andere Fraktionen, man verbessert die Wertschätzung der eigenen „Leute“ (bei denen es sich ja um anonyme Phantasiegebilde handelt oder jedenfalls handeln kann), und beschädigt das der anderen, man spinnt Intrigen und verabredet Strategien bis hin zur Behauptung, man habe von anderen böse Nachrichten erhalten – alles wie „im richtigen Leben“, nur eben wesentlich radikaler und teilweise ernsthafter als in der Realität.

Was sollen dann solche Blogs und Foren, fragt man sich unwillkürlich, und warum gibt es dann in solchen Medien auch noch diese Diskussionen um einen einzigen Strafrechtsfall – und warum liest das alles irgendjemand? Nun, solche Blogs und Foren sind sehr wertvolle Plätze zum Meinungsaustausch, wenn sie verantwortungsvoll genutzt werden. Jedes Forum versucht, durch seine Regeln gerade dieses herbeizuführen, aber leider führt die Anonymität in vielen Fällen dazu, dass diese Regeln nicht eingehalten oder sogar klassisch unterlaufen werden. Und da könnte ein Stück mehr Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln nicht nur die öffentliche Diskussion stärken, sondern auch die Kultur im Internet verbessern. Für Blogs gilt dies ähnlich, allerdings sind es da die Betrieber, die für eine angemessene Diskussion zu sorgen haben.

Und man darf nicht vergessen, dass das Internet als Informations- und Diskussionsmedium immer stärkere Beachtung erfährt – nicht nur die Umwälzungen in Tunesien und Ägypten zeigen dies gerade überdeutlich; selbst so ein von der Öffentlichkeit wahrgenommener Prozess wie der um Herrn Kachelmann zeigt dies: Dort hat sich die Presse inzwischen weitgehend in 2 Lager gespalten, und jede Seite berichtet zur Stärkung der eigenen Auflage und Wahrnehmung entweder für oder gegen den Angeklagten – man nehme nur die Statements der selbsternannten Rächerin aller Frauen dieser Welt, die ehemals hochangesehene aber inzwischen doch sehr skurril daherkommende Alice Schwarzer; oder man nur noch als hanebüchen zu bezeichnende Schlagzeilen, die man nur noch mit einem Quotemachen um jeden Preis erklären kann: nach der Aussage eines Sachverständigen, er könne gar nichts beweisen, titelte ein Journalist unter völliger Missachtung des Grundsatzes „in dubio pro reo“, dass das Sachverständigengutachten den Angeklagte belaste, weil es nicht sein Unschuld bestätige. Da drehen sich – mit Verlaub – dem Juristen die Fussnägel hoch, aber trotzdem wurde diese Schlagzeile von mehreren Medien kritiklos übernommen. Auch mussten an einigen Verhandlungstagen diverse Journalisten wohl bis Mittag ihre Artikel abgesetzt haben, und da wurde dann über den Nachmittagsverlauf fröhlich berichtet, ohne überhaupt den Inhalt zu kennen. All dies führt zu einer einseitigen Fehlinformation der Öffentlichkeit – und dies in einem eigentlich „unpolitischen“ Bereich, wo noch nicht einmal Lobbyarbeit interessierter Kreise zu befürchten ist – wie wird es dann erst dort aussehen?

Da hat die „Gegenöffentlichkeit“ durch das Internet schon ihren erheblichen Nutzen, denn dort – zB. im Fall Kachelmann – stellen private (Prozess-)beobachter ihre Wahrnehmungen ins Netz, diese wiederum werden kenntnisreich von Anderen kommentiert, und so entsteht eine ergänzende Informationsmöglichkeit – die von den anwesenden Journalisten in Mannheim sehr missbilligend zur Kenntnis genommen wurde: als es am letzten Verhandlungstag zu verbalen Auseinandersetzungen kam, war die allgemeine Pressemeinung schnell gebildet: pöbelndes Publikum gehe auf das Gericht und die armen Journalisten los – im Netz zeigte sich allerdings ein anderes Bild: die betroffenen Reporter waren es, die auf das Publikum zugingen, und zwar auf diejenigen, die bereit sind, ihre Wahrnehmungen und ihre Meinung zu diesem Prozess ebenfalls über das Internet zu verbreiten – und damit in direkte Konkurrenz zur Presse geraten. Da wird das Bild dann doch wesentlich differenzierter. Gegenöffentlichkeit ist immer problematisch, sei es nun bei politischen Umwälzungen, wenn sie sich gegen die herrschende Gruppe richtet, sei es bei einem Vergewaltigungsprozess, wenn sie sich gegen die Meinung richtet, die man in Zeitungen am besten vermarkten kann – dies ist nach meiner Einschätzung nämlich der eigentliche Grund für den Streit in Mannheim: die Journalisten müssen sich damit auseinandersetzen, dass kostenlos ins Internet gestellte Prozessbeobachtungen deutlich detail- und aufschlussreicher sind als ihre schnell zusammengeschriebenen Meldungen – das wirkt sich sicherlich massiv auf deren Marktwert aus…

Was kann ich also festhalten: ein Stück weit mehr Authenzität der teilnehmenden Personen in politischen Diskussionen im Internet wäre wünschenswert. Es würde verhindern, dass solche Auseinandersetzungen von einer sachlichen auf eine persönliche Ebene abgleiten. Derzeit werden allerdings viele Interessierte damit leben müssen, dass die Streitkultur des Internets sehr gewöhnungsbedürftig ist und weit mehr persönliche Leidensfähigkeit verlangt als eine Diskussion ausserhalb des Netzes; und wir werden in unserer Gesellschaft durch das Internet wieder lernen müssen, mit viel radikaleren Meinungen umzugehen – welche unter der Anonymität des Internets, nicht aber im richtigen Leben geäussert werden.

Darüber hinaus werden Interessierte durch das Internet immer mehr Informationsmöglichkeiten erhalten – und gleichzeitig zu akzeptieren haben, immer weniger „neutrale“ und „politisch korrekte“ Berichterstattungen zu finden. Gefragt ist also ein kritischer Nutzer, der dann, wenn er sich an den Diskussionen beteiligt, genügend Mässigung aufbringt, die oft pointierte Meinung eines anderen zu ertragen.

Allerdings wäre es wünschenswert, wenn die sowohl persönliche als auch sachliche Radikalisierung nicht noch weiter ausartet. Und wenn der Hinweis von Axel E. Fischer ein Stück dazu beiträgt, eine bessere Informations- und Streitkultur im Internet zu etablieren, dann hat er sicherlich etwas durchaus Positives angestossen.


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