© Wild Bunch / Johnny Depp als Paul Kemp in der Hunter S. Thompson Verfilmung “Rum Diary”
Mit dem Gonzo-Journalismus begründete der amerikanische Schriftsteller Hunter S. Thompson eine besonders subjektive Schreibe im berichterstattenden Genre. Als eine Form des New Journalism Anfang der 1970er Jahre entstanden, ließ Thompson kein Schimpfwort aus und wendete Sarkasmus bis zur Polemik an. Hierdurch wurde dem Gonzo-Journalismus eine Entfremdung seiner eigentlichen Funktion hin zur Literatur unterstellt. Das mag wohl auch so sein, aber immerhin hat diese Abkehr vom Pressekodex einige der verrücktesten literarischen Geschichten hervorgebracht. Eine davon war 1998 der Film „Fear and Loathing in Las Vegas“, in dem Johnny Depp das Alter-Ego des im Februar 2005 verstorbenen Thompson verkörperte und als Sportjournalist durch die Wüste bei Las Vegas zieht um gemeinsam mit Benicio Del Toro exzentrisch-manische Drogentrips auf der Kinoleinwand zu popularisieren. Eine andere Geschichte ist jetzt „Rum Diary“. Erneut mit Johnny Depp in der Hauptrolle, verschlägt es ihn nun nach Puerto Rico, wo er die Vorzüge des übermäßigen Rum-Konsums zur Schau stellen darf.
Johnny Depp
Der Film setzt 1960 an und erzählt die Geschichte von Paul Kemp (Johnny Depp), einem aufstrebenden Journalisten, dem es nicht gelungen ist in New York Fuß zu fassen, weswegen er sich in Puerto Rico niederlässt. Dort soll der Großstädtler die dem Untergang geweihte Zeitung „The San Juan Star“ auf Vordermann bringen. Aber schon bald lässt sich Kemp, wie auch seine durchgeknallten Kollegen, vom rumgetränkten Leben auf der Karibikinsel mitreißen. Ziellos und nicht die richtigen Worte findend, um mit seiner Profession ausreichend Geld zu verdienen, lässt Kemp dem Leben seinen Lauf. Bis er der bildschönen Chenault (Amber Heard) verfällt, Freundin des Immobilieninvestors Sanderson (Aaron Eckhart), ein Kotzbrocken, der mit viel Geld in den Taschen die einheimischen Inselbewohner regelmäßig von seinem Privatstrand vertreibt. Er ist fest dazu entschlossen Puerto Rico in ein kapitalistisches Paradies zu verwandeln, wobei Kemp ihm Hilfe leisten soll, indem er in der Zeitung Lobeshymnen über dieses Vorhaben verbreitet. Mit einer guten Bezahlung in Aussicht, muss sich Kemp zwischen Reichtum und Moral entscheiden und landet dabei immer wieder in der goldenen Mitte: dem Rum.
In den USA bereits im Oktober letzten Jahres gestartet, hat der Film dort sicherlich für sommerliche Stimmung in den Herbstmonaten gesorgt. Derweil dürfen wir in einer recht mageren Version des Sommers von dem karibischen Flair von „Rum Diary“ zehren. Hier werden die charmanten 60er Jahre mit dem Urlaubsflair aus Sonne, Strand und Alkohol gepaart, mit gemütlich locker sitzenden Anzügen, schnellen Autos, schönen Frauen und dem Meeresrauschen. Besser ist der reale Sommer, draußen vor den Türen, nie gewesen. Der Film bietet durch die sonnendurchfluteten Bilder von Kameramann Dariusz Wolski („Fluch der Karibik“-Quadrologie, „Sweeney Todd“) die ideale Urlaubsflucht für Daheim-gebliebene. Hinzu kommt das ebenso lockere Spiel Johnny Depps, der uns mit gewohnter Mimik zwischen Everybody’s Darling und Jack Sparrow durch die Handlung führt. Auch wenn er dieselbe Rolle verkörpert wie schon so oft zuvor, macht er dies doch mit beständiger Qualität. Aber eigentlich soll er ja auch einen seiner Rollentypen wieder aufnehmen, ist doch Paul Kemp ebenso eine Verkörperung von Hunter S. Thompson wie es Raoul Duke in „Fear and Loathing in Las Vegas“ war. Als eine frühere Version des Schriftstellers könnte „Rum Diary“ auch ein Prequel sein, allerdings weniger verrückt als es Regisseur Terry Gilliams Film 1998 noch war.
Amber Heard
Vielleicht ist das auch die größte Schwäche von „Rum Diary“. Der Film wirkt zu konventionell inszeniert, traut sich nicht ins Surreale hinein. Ein einziger Drogenausflug wird geschildert und zugegebenermaßen wirkt die daraus resultierende Szene mit einer schleimigen, sich windenden Zunge überaus ekelig, bleibt aber leider ein Einzelstück innerhalb dieses Films. Der Rumkonsum birgt derweil so manch illustres Bild, lässt Johnny Depp bereits zu Beginn in einem verdunkelten Hotelzimmer erwachen, welches er die Nacht zuvor bei dem verzweifelt-hilflosen Versuch die Minibar zu stürmen, gänzlich zerstört hat. Oder aber er nutzt die hochprozentige Brennbarkeit des Nationalgetränks um eine Gruppe von Haudegen abzuwehren, nur um einem Polizisten dabei das Gesicht zu verbrennen. Der anschließende Gefängnisaufenthalt wird nur mit Aaron Eckhards Hilfe abgewendet. Dieser bietet mit seinem Vorhaben eine verlassene Insel in ein Hotelmoloch zu verwandeln die nötige Hintergrundgeschichte um Kemp zum Schreiben zu animieren. Aber irgendwo in dem großen Geflecht aus Journalismus, Alkohol und Selbstfindungstrip geht die Glaubwürdigkeit verloren, dass Kemp ein moralisch handelndes Wesen ist, welches sich um das Wohlergehen der Einheimischen mehr sorgt als um seine eigene Brieftasche. Hinzu kommt eine Liaison mit Amber Heard, einer wirklich schön anzusehenden Dame, bei der es vom ersten Moment an knistert, die Oberflächlichkeit der Inszenierung aber auch von der ersten Minute an erahnen lässt, dass das gemeinsame Interesse aneinander für Zoff zwischen Kemp und Sanderson sorgen wird.
Und so schlängelt sich „Rum Diary“ harmlos durch die Handlung, zeigt wie eine Schreibblockade unter der Einnahme von bewusstseinsverändernden Flüssigkeiten gebrochen werden kann, sorgt sich um die Ausbeutung der Insel, zeigt uns hübsche Frauen, mit Edelsteinen besetzte Schildkröten und Giovanni Ribisi als dauerbetrunkenen Nazi-Anhänger, der als Arbeitskollege von Kemp nur nicht gefeuert werden kann, weil er sich so selten in der Zeitungsredaktion blicken lässt. Das alles macht Spaß, hat allerdings vor allem im Mittelteil auch einige dramaturgische Durchhänger und bleibt hierdurch eine eher zahme Umsetzung von Hunter S. Thompsons literarischem Vermächtnis.
Denis Sasse
“Rum Diary“