Es gibt Whiskys, die ich stets in meiner Bar stehen haben muss. Nicht unbedingt, weil es meine Lieblinge sind oder der Reiz des Besonderes sie ausmacht, sondern weil mir ohne sie etwas fehlen würde. Ich weiß, was ich an ihnen habe und ich weiß, was mich erwartet. John Irving ist in dieser Hinsicht mein Bowmore 12 Years.
Biographie
John Irving, geboren 1942 in Exeter, New Hampshire, lebt in Toronto. Seine bisher dreizehn Romane wurden alle Weltbestseller und in mehr als 35 Sprachen übersetzt, vier davon verfilmt. 1992 wurde Irving in die National Wrestling Hall of Fame in Stillwater, Oklahoma, aufgenommen, 2000 erhielt er einen Oscar für die beste Drehbuchadaption für die Verfilmung seines Romans ›Gottes Werk und Teufels Beitrag‹. 2013 erhält er die weltweit wichtigsten Auszeichnungen für seine Darstellung von sexueller Toleranz und Gleichbehandlung in seinem literarischen Werk. (Quelle: Diogenes Verlag)
Im Rahmen der „SZ Bibliothek“ wurde ich das erste Mal auf John Irving aufmerksam. „Das Hotel New Hampshire“ verströmte bereits auf den ersten Seiten den Hauch opulenter Unterhaltungskost. Irving jedoch lediglich gute Unterhaltung zu attestieren, kommt der Gleichsetzung eines Hurricanes mit einem lauen Lüftchen gleich. Ein Trommelfeuer an kreativer Energie, bizarren Charakteren, unglaublichen Wendungen, Tragik, Komik, Sex und Liebe prasselte auf mich ein und ließ mich mit offenem Mund zurück. Die 500+ Seiten zogen wie im Rausch an mir vorbei.
Nach diesem Beginn musste es natürlich weitergehen und ich nahm mir die nächsten Romane vor: vom zwerchfellerschütternden „Die wilde Geschichte vom Wassertrinker“, über den tragischen „Garp und wie er die Welt sah“ bis zum rührenden „Bis ich dich finde“. Und wo Irving drauf steht, ist auch jedes Mal garantiert Irving drin. Spätestens nach drei Büchern kommt einem dabei das meiste vertraut und bekannt vor. Die Landschaften, Schulen und Colleges New Englands ziehen sich wie ein roter Faden durch nahezu alle Bücher. Dazu die Leidenschaft der Hauptcharaktere fürs Ringen, Schreiben und ältere Frauen sowie die ständige Präsenz tödlicher Unfälle, die oftmals in direkten Zusammenhang mit der gehäuften Vorkommnis von Bären steht.
Das immergleiche Zurückgreifen auf bewährte Grundmotive und -werte begünstigt verständlicherweise Kritik, die sich genau an dieser Wiederholung entzünden. Natürlich weisen nahezu alle Bücher eine ähnliche Besetzung von Charakteren auf und ebenso unstrittig ist die ausufernde Durchdringung der Geschichten mit autobiografisch bedingten Vorlieben. Eine daraus folgernde mangelnde literarische Weiterentwicklung greift meiner Meinung nach hingegen zu kurz und ist zu naheliegend. Wer Irving liest, möchte Zurückgleiten in eine Komfortzone, die trotz aller skurriler Widrigkeiten und phantastischer Übertreibungskraft vor allem eines bietet: Menschlichkeit. Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersliebenden macht seine Bücher ebenso aus wie familiärer Zusammenhalt, Freundschaft und Moralfestigkeit. Irving schreibt voller Liebe und Achtung über gemeinhin ausgeklammerte Randgruppen wie Prostituierte und Transsexuelle. Und genau in diesen Milieubeschreibungen beweist er sein ganzes Können. Wie kein Zweiter versteht er stets die Balance zu halten zwischen überbordender Kreativität und erdendem Realismus, der einem in den besten Momenten schier den Atem verschlägt.
If you care about something you have to protect it – If you’re lucky enough to find a way of life you love, you have to find the courage to live it.
Ein ebenso wiederkehrendes Thema ist das Heranwachsen eines Kindes bei nur einem Elternteil. Mit welcher Wärme und Liebenswürdigkeit Irving diese schwierige Phase beschreibt, ringt mir jedes Mal Bewunderung ab. Wo Familienangehörige fehlen, übernehmen Freunde deren Rolle und vermitteln Werte, die voller Selbstverständlichkeit zum Wesen werden und das ganze Buch durchziehen. Irving behauptet von sich, gewiss kein Intellektueller zu sein. Vielleicht stimmt das auch. Er schreibt einfach; fernab von jeder wortbildnerischen Sprache und den Blick verstellender Eitelkeit. Er behauptet ebenso kein Künstler zu sein. Da muss ich ihm jedoch widersprechen. Den Spagat zwischen maßloser Übertreibung auf der einen Seite und nahe gehender Gesellschaftskritik auf der anderen Seite immer wieder aufs Neue anhand herzerwärmender Charaktere zu meistern, bedarf großer Künstlerschaft.
Lesetipps
Garp und wie er die Welt sah (Original: The World According to Garp). 1979.
Owen Meany (Original: A Prayer for Owen Meany). 1990.
In einer Person (Original: In One Person). 2012.
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Interviews mit John Irving auf CulturMag.de und Spiegel.de