OCHSENTOUR
Der Nase nach, vom Ostendplatz nach Ostheim, weiter Richtung Gaskessel, Schlachthof. Die alte Ochsen-Tour. Zügiger Schritt. Der letzte schöne Frühlingstag im März. Am Himmel das Dach der Mercedes-Benz-Arena, mehr Linie als der VfB. Zu meiner Rechten, neben einer Autowerkstatt, das Hinweisschild auf die Kef-Bar. Die Treppe hinab zum Kellereingang des alten Hauses. Bars sind nicht für Tageslicht gemacht. Geheimnisvoll. Ich kann noch so viel herumgehen in der Stadt, es gibt Tage, da erscheint mir alles neu.
Vorhin in Ostheim war Baulärm zu hören. Zwischenstopp beim schwäbischen Griechen-Schorsch, im Garten vom Wirtshaus Friedenau. Gegenüber, da war die Apotheke, sie gibt es schon eine Weile nicht mehr. Peter, der Karikaturist, kommt an den Tisch. Ja, laut ist es geworden im Viertel, man muss damit leben, sagt er. Die SWSG saniert im Nelkenweg 35 Mietwohnungen. Danach wird die Renovierung weitergehen. Der Osten soll „aufgewertet“ werden. Schluss mit dem „Bronx“-Gerede der alten Tage. Bewohner der evakuierten Häuser haben Angst, sich nach der Sanierung die Miete nicht mehr leisten zu können.
Das ist der Lauf der Dinge, der Markt, auch in einer kleinen Stadt wie Stuttgart, wo sich die Politiker besonders aufspielen, seit Investoren die Macht über Lebensräume übernommen haben. Wer nicht viel Geld hat und keine Immobilie, hat alle Chancen, aus der Stadt hinausmodernisiert zu werden. Zurück bleiben „Zukunft“ und „Fortschritt“ mit Stuttgart-Adressen wie Think K, Pariser Platz, Milaneo,
Jetzt, am letzten Märztag, steigt die „Lange Einkaufsnacht“ unter dem Titel „Frühlingserwachen in S-City“. Der City-Manager, führender Business-Denker und SPD-Mitglied, wird kaum wissen, wie seine Partei mal unter dem Motto „FrühLINKSerwachen“ marschierte. Als es in der SPD noch Sozialdemokraten gab.
Wer den Stolperspruch „S-City“ erfunden hat, gehört mit der Goldenen Zunge prämiert. Wie schlau muss einer sein, der „S-City“ und, noch dämlicher, „Stuttgart City“ ausruft in einer zerfledderten Stadt, wo es keine Innenstadt gibt, keinen urbanen Kern, der sich mit der Angeberfloskel „City“aufbrezeln ließe. Im Handbuch des guten Stils könnte der Texter nachlesen, warum selbst Titulierungen wie „Mexiko City“ und „New York City“ bei uns nichts anderes als großtuerischer Unfug sind. Der Rumpelrhythmus von „Frühlingserwachen in S-City“ wird noch überboten, wenn im Herbst wieder der Rolltreppenrummel unter dem Motto „S-City leuchtet“ ansteht.
Dieser PR-Murks wird sich ändern, wenn der CDU-Kandidat als neuer OB das Rathaus ausleuchtet. Mich wundert, weshalb der Wahlkampf noch nicht auf Touren ist. Bald ist Fußball-EM, danach sind Sommerferien. Eher diskret geht der CDU-Kandidat seit Wochen auf Freund- und Feindtour, verbreitet in allen Lagern seine Siegerbotschaft: „Ich bin noch nie gescheitert.“ In der Branche bekannt als kaltschnäuziger Stratege mit reichlich Erfahrung im politischen Propagandagewerbe, streut er bereits branchenübliche Stabreime: Sein Stuttgart werde „keinen Bahnhof bauen, sondern Brücken“.
Das hat er nicht Unrecht. Zum einen geht es in der Tat nicht um einen Bahnhof, sondern um eine U-Bahnhaltestelle zur Gewinnung von Spekulanten-Land. Zum anderen habe ich gute Erfahrung gemacht mit den Eselsbrücken der Werbung: Viele, viele Marlboros ruinierten in Wahrheit nicht meine Lunge. Vielmehr hinterließen ihre Qualmwolken das Brandzeichen von Freiheit und Abenteuer auf meinem Arsch.
Der CDU-Kandidat, darauf wette ich meine Babylunge, wird die OB-Wahl gewinnen und uns nach seinem Organspender-Slogan „Das neue Herz Europas“ den Pathologen-Claim „Der größte Kopf des Kontinents“ auftischen. Nebenbei wird er ein neues Stuttgart gestalten, ohne dass sich etwas verändert. Der Job des Werbers ist es ja nicht, neue Realitäten zu schaffen. Er wird dafür bezahlt, den Leuten andere Wirklichkeiten vorzugaukeln. Der Kandidat will „vereinen und gestalten“, frei nach dem weltberühmten Werber-Eid: „Designen, leimen, schleimen“. Schon hat er die neue „Bürgerstadt“ ausgerufen. Was für ein Ding. Nicht einmal nach der großen Bürgerbewegung konnte einer ahnen, dass es sich im Fall einer Stadt mit Hunderttausenden Bürgern um eine Bürgerstadt handelt. Und nicht um einen Hundezwinger, einen Kirmesplatz oder eine Werbeagentur.
Die grüne Konkurrenz wiederum, so ist beim Herumgehen zu hören, ist bereits damit beschäftigt, sich bei den Schuldigen über ihre bevorstehende Niederlage zu beklagen. Was für ein zahnloser Wahlkampf. Zeit, dass die Ochsentour beginnt.