Tom und Charlie leben seit vielen Jahren hier in ihren Hütten in dieser alles verschlingenden Wildnis aus Moos und Farnen und Fichten, als die 82jährige Marie-Desneige durch einen wundervollen Zufall in diese kleine Männerrunde gelangt und bleiben möchte. Zierlich ist sie, wie ein 12jähriges Mädchen, mit großen schwarzen Augen. Und zerbrechlich wirkt sie, wie eine Porzellanpuppe. Selbst ihre Bewegungen waren winzig. Sie nahm den Arm, den Bruno ihr bot, und ging mit Mäuseschritten auf das Hotel zu … (S. 54).
Tom und Charlie haben gerade einen Freund verloren, der sich mal Ed und mal Ted nannte und der mit richtigem namen Edward Boychuck hieß. Eine Fotografin auf Spurensuche nach diesem legendären Boychuck, findet die Männer nach langer Suche. Beide wirken wie verwilderte Waldmenschen auf sie. In ihren Hütten roch es nach ungewaschenen Körpern und ranzigem Fett, weil sie sich hauptsächlich von Wild ernährten … es roch nach dem Staub … und es roch nach getrocknetem Tabak (S. 10/11).
Aber diese Wildheit gehört ja dazu in einem solchen Leben. Niemand ist da, der irgendwas vorschreibt. Es gibt keine Erwartungen, keine Pflichten. Aufregend ist außerdem: man hat so wenig – eigentlich nichts – zu verlieren. Saucier gewinnt diesem Thema schöne und lustige, manchmal sehr berührende Momente ab. Und ich erkenne, dass unendlicher Freiheitsdrang und das Bedürfnis nach Liebe und Nähe nie aufhören. Dass jene Sehnsucht, Zärtlichkeit und Umarmungen zu empfangen, auch im Alter präsent ist. Egal oder 80 oder 18 – das Leben in all seinen Facetten zu genießen, dieser Wunsch besteht mit jedem Alter und er bleibt für immer. Als besonders glücklich kann sich schätzen, wer dann auf Menschen trifft wie Boychuck, Charlie, Tom und die bezaubernde Marie-Desneige.
Bereits besprochen wurde dieser ganz außergewöhnliche Roman auch in den Blogs bei leseschatz und Literaturen.
Jocelyne Saucier. Ein Leben mehr. Aus dem Französischen von Sonja Finck. Insel Verlag. Berlin 2015. 192 Seiten. 19,95 €