26.2.2012 – Nach seiner wahrscheinlichen Wahl zum elften Bundespräsidenten wird Joachim Gauck unter anderem schwören, er werde „Gerechtigkeit gegen jedermann üben“. Am Samstag absolvierte der designierte Präsident den ersten offiziellen Besuch nach seiner Nominierung.
Sie fahren jetzt den Bundespräsidenten
Joachim Gauck scheint es nicht schwer zu fallen, in seine neue, präsidiale Rolle zu schlüpfen. Nachdem ihn ein Anruf von Angela Merkel im Taxi erreichte und die Kanzlerin fragte, ob er bereit sei für das höchste Amt im Staat zu kandidieren, sagte er zu seinem Taxifahrer Vadim Belon: „Sie fahren jetzt den neuen Bundespräsidenten“.
Gewählt ist der 72-Jährige zwar noch nicht. Aber was spielen demokratische Feinheiten schon für eine Rolle, wenn sich die Mächtigen im Staat bereits darauf verständigt haben, wen sie in ihre Reihen aufnehmen wollen. Und doch: Die Wahl will gewonnen werden und so macht sich Joachim Gauck zur Zeit auf den Weg durch die Gremien, von deren Zustimmung abhängt, ob er am 18. März tatsächlich in das Schloss Bellevue übersiedeln wird.
Seinen ersten offiziellen Besuch – und damit die Wandlung vom Privat- zum Staatsmann – absolvierte Gauck am Samstag in Haminkeln. Dorthin hatte ihn Bundesumweltminister und NRW-CDU-Chef Norbert Röttgen eingeladen, um sich den knapp 60 Mitgliedern des „Marienthaler Kreises“ vorzustellen. Hierbei handelt es sich um eine traditionelle und einflussreiche Hintergrundgruppe der nordrheinwestfälischen CDU, mit guten Verbindungen in die Unionsspitze.
Den kurzfristig angereisten Journalisten teilt Joachim Gauck mit: „Ich habe nicht vor, zu sagen, was ich vorhabe und schon gar nicht, was für ein toller Typ ich bin“. Dann zieht er sich mit den Marienthalern zur Klausurtagung in ein Hinterzimmer im Romantik-Hotel Haus Elmer zurück.
Auf dem Ticket des Bürgerrechtlers
„Bescheiden, selbstironisch und gewinnend“ habe er sich vor der CDU Elite präsentiert. So beschreiben Teilnehmer den Auftritt von Joachim Gauck. Anfänglich spricht er „sehr defensiv, so als säße er lauter Kritikern gegenüber“ wird einer der Anwesenden zitiert. Erst nachdem ihm der frühere nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) versichert, dass so viel Zögerlichkeit doch gar nicht nötig sei und dass Gauck in der Union allseits „geschätzt“ sei und er hierfür Applaus erhält, gewinnt der Kandidat mehr Sicherheit.
Er spricht jetzt über sein Leitmotiv „Freiheit“ und erzählt aus seiner dramatischen Lebensgeschichte in der ehemaligen DDR. Gleichzeitig warnt er davor, dass ein Staat, der alles für seine Bürger regele, zugleich auch deren Freiheit und Eigeninitiative einschränke. Soweit nichts Neues: Die Begriffe Freiheit und Verantwortung ziehen sich wie rote, zähe Fäden durch alle öffentlichen Äußerungen von Joachim Gauck. Die Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit weiß er dagegen meist zu vermeiden.
Seine DDR-Geschichte, die ihm das Image des Bürgerrechtlers und Widerstandskämpfers eingebracht hat, wird von vielen seiner Zeit- und Heimatgenossen allerdings weit weniger dramatisch eingeschätzt, als Gauck es für sich selber reklamiert. Hans-Jochen Tschiche, Pfarrer und Grünen-Politiker aus Sachsen-Anhalt, schreibt zum Beispiel im Freitag, Gauck habe “niemals zur DDR-Opposition gehört“. Der künftige Bundespräsident “verließ erst Ende 1989 die schützenden Mauern der Kirche” und reise heute “ohne Skrupel” auf dem Ticket des Bürgerrechtlers.
Und der Journalist Gerhard Rein kommentierte kürzlich im WDR-Hörfunk:
„Nun, was man im heutigen Sprachgebrauch Bürgerrechtler nennt, hat man früher als DDR-Opposition bezeichnet. Zur DDR-Opposition hat Gauck niemals gehört. Er trat auch nicht in den system-kritischen Friedens- und Umweltgruppen im Umfeld der Evangelischen Kirchen je in Erscheinung. In den Publikationen, die in der DDR von kritischen Gruppen illegal herausgegeben wurden, taucht der Name Gauck als Verfasser nicht auf.
Joachim Gauck hat sich im Oktober 1989 in Rostock dem „Neuen Forum“ angeschlossen. Vorher ist ein politischen Engagement gegen den repressiven Staat nicht auszumachen.“
Die Stimme aller Bürger?
Abschließend versichert Gauck dem Marienthaler Kreis, er wolle als Präsident künftig die Stimme aller Bürger sein. Eine Gruppe schließt er hierbei allerdings deutlich aus: Die Mitglieder, Wähler und Anhänger der Linkspartei. Über DIE LINKE äußert sich Gauck vor den versammelten CDU-Spitzen kritisch. Viele in der Partei seien innerlich noch der DDR zugeneigt. Außerdem wundert er sich über deren Rückhalt bei den Gewerkschaften.
Ein weiteres Statement geht ebenfalls zu Lasten der Linkspartei. Gauck erklärt, als er gehört habe, dass die FDP ihn unterstütze, sei ihm klar gewesen, dass die CDU nie mit den Linken zusammen gegen ihn stimmen würde.
So nutzt der designierte Bundespräsident seinen Auftritt in Haminkeln unter anderem, um für klare Fronten zu sorgen. Vor dem Hintergrund seiner deutlichen Ansagen muss man sich darüber wundern, dass linke Politiker in sämtlichen Talk-Runden und Interviews immer wieder gefragt werden, warum sie Joachim Gauck jetzt nicht endlich unterstützen und damit die Chance nutzen, sich von ihrem DDR-Image zu lösen.
Ein Bundespräsident muss parteipolitisch neutral sein. Außerdem heißt es in der Eidesformel, „ich werde Gerechtigkeit gegen jedermann üben“. Von „Gerechtigkeit gegen jedermann, der nicht DIE LINKE wählt“ ist hier nicht die Rede. Und parteipolitische Neutralität bedeutet die Gleichbehandlung aller demokratisch zugelassenen Parteien.
Anstatt sich um Ausgewogenheit und Vermittlung zu bemühen, nutzt Joachim Gauck bereits seinen ersten „staatsmännischen“ Auftritt, um seine Ablehnung gegen die Sozialisten zu inszenieren. Mehr als 5,1 Millionen Menschen haben bei der Bundestagswahl 2009 DIE LINKE gewählt. Die Partei hat knapp 70.000 aktive Mitglieder und ist in 13 deutschen Landtagen vertreten. In den Landesparlamenten von Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und dem Saarland verfügt die Linkspartei jeweils über mehr als 20 Prozent der Sitze.
Als Privatier stand es Joachim Gauck selbstverständlich zu, seine Abneigung gegen jede beliebige politische Partei zu bekunden. Setzt er dies allerdings im Amt des Bundespräsidenten fort, dann schließt er von vornherein einen großen Teil der Bevölkerung aus und verstößt damit sowohl gegen das Neutralitätsgebot als auch den Grundsatz der Gerechtigkeit gegen jedermann.