Joachim Bauer hat recht: Genomverdoppelungen und Evolution

ResearchBlogging.orgZwei neue Forschungs-Studien zum Thema erschienen
Die Erkenntnis, daß die Genome fast aller Organismen, auch ein so vergleichsweise kleines Genom wie das des Ackerkrautes Arabidopsis, in der evolutionären Vergangenheit diverse Genom-Verdopplungsereignisse hinter sich haben - eine Erkenntnis, die sich erst in den letzten zehn Jahren unter Genetikern und Evolutionsforschern allgemeiner ausgebreitet hat - wirft zahlreiche spannende und neue, fruchtbare Forschungsfelder auf. Sie ist erstmals übrigens in ihrer grundlegenden evolutionären Bedeutung formuliert worden von dem japanischen Genetiker Susumo Ohno 1970. (1)
Joachim Bauer's Buch "Das kooperative Gen - Abschied vom Darwinismus" hat diese Erkenntnis übrigens als erster in einem deutschsprachigen populärwissenschaftlichen Sachbuch breiter zur Diskussion gestellt. (2) Dabei hat Joachim Bauer auch deutlich gemacht, daß diese Erkenntnis einen Abschied vom traditionellen "darwinischen" Denken - Evolution vor allem als Wechselspiel von Punktmutation und Selektion - bedeutet oder doch zumindest bedeuten könnte. (Siehe Stud. gen. 1, auch: 2; siehe auch Diskussion auf: Alles was lebt.)
Neue Untersuchung zur Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene
Aber was geschieht in Organismen, deren Genome plötzlich verdoppelt sind? Wie gehen sie - bildlich gesprochen - damit um?
Bei Pilzen und Würmern ist die Lebenswichtigkeit ("essentiality") verdoppelter Gene nach Studien aus den Jahren 2003 und 2004 geringer als die von Genen, die bei ihnen nur in einfacher, unverdoppelter Version vorliegen (als sogenannte "singletons"). Bei Mäusen jedoch ist nach zwei Studien aus dem Jahr 2007 die Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene gleich groß wie die von Genen, die in einfacher, unverdoppelter Form vorliegen. (3) Das würde heißen, daß die Bedeutung der Genverdoppelung bei den Säugetieren größer ist als bei einfacheren Organismen. Diese Studien beruhen auf sogenannten Knock-Out-Experimenten, das heißt, man schneidet bestimmte Gene aus Organismen heraus und sieht dann, wie tödlich das Fehlen dieser Gene für den Organismus ist.
Joachim Bauer hat recht: Genomverdoppelungen und EvolutionEine neue Studie einer Dubliner Forschungsgruppe um Aoife Mc Lysaght (siehe Bild rechts), die am 13. März veröffentlicht wurde (3), hat die Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene bei Fliegen (Drosophila) und Mäusen noch einmal genauer unter die Lupe genommen und dabei insbesondere nach den unterschiedlichen "Gen-Ontologien" gefragt, also danach, für welche zu steuernden Funktions-Bereiche im Organismus die Lebenswichtigkeit von verdoppelten Genen besonders hoch ist. Es waren nun insbesondere Gene, die die frühe Entwicklung von Vielzellern steuern, die also die vielzellige Entwicklung von Organismen und ihre Zelldifferenzierung steuern, deren verdoppelte Versionen besonders lebenswichtig zu sein scheinen. Genverdoppelung war also bei Mäusen und Fliegen vermutlich vor allem deshalb vorteilhaft, weil dadurch (frühe) Zelldifferenzierungs-Prozesse weiterevoluiert werden konnten, sowie Gene, die die Entwicklung als vielzelliger Organismus an sich und insgesamt steuern.
Verdoppelte Gene haben nicht nur eine "Backup"-Rolle
Stattdessen wurde durch diese Untersuchung die zuvor in Wissenschaftskreisen gehegte Vermutung, verdoppelte Gene würden vor allem eine "Backup"-Rolle spielen, also der Absicherung dienen, falls die ursprüngliche Gen-Version in gegebenen Fällen für das Überleben nicht ausreichen sollte, zumindest für Fliegen und Mäuse widerlegt. Die Bedeutung verdoppelter Gene geht offenbar deutlich über eine solche bloße Absicherungs-Funktion hinaus. Was ja eigentlich auch zu erwarten war nach den reichen Forschungsergebnissen der letzten zehn Jahre, die eben unter anderem von Joachim Bauer referiert worden waren (2). Aber es ist wichtig, daß man dafür nun auch konkrete Hinweise in den Daten vorliegen hat.
Geringer war nach der genannten Dubliner Studie (3) die Lebenswichtigkeit verdoppelter Gene, die basale zellphysiologische Mechanismen steuern wie Zellkommunikation, Membran-Zusammenhalt, biosynthetische Prozesse, Zellbewegung, Zelltod und anderes mehr (siehe Supplement der Studie). Die diesbezüglich verdoppelten Gene konnten offenbar häufiger ausgeschnitten werden, ohne daß sich dies als tödlich für den betreffenden Organismus erwies, da offenbar die ursprüngliche, nicht verdoppelte Gen-Version für die Aufrechterhaltung der Funktionalität ausreichte. Für diese Funktionsbereiche dürfte das "Backup"-Argument also noch eher seine Gültigkeit behalten - ebenso wie überhaupt für Pilze und Würmer (siehe oben).
Obwohl im gesamten Genom-Bestand nur 11 % der Gene als Entwicklungs- (bzw. Zelldifferenzierungs-Gene) klassifziert werden, bildeten sie 37 % unter jenen über 5.000 untersuchten Knock-out-Genen, deren Fehlen im Genom sich als tödlich für die Organismen erweist.
Diese Forschungsergebnisse können also deutlich machen, daß Gen- und Genomverdoppelungen in der Tat insbesondere in der Evolution komplexen Lebens in höher entwickelten vielzelligen Organismen von keineswegs zu unterschätzender Bedeutung sind. Es ist wohl durchaus berechtigt zu fragen, wie man all diese Erkenntnisse noch weiterhin in das Prokrustesbett der bisherigen neodarwinischen Theorie, bzw. der sogenannten "Synthetischen Theorie" bringen will. (Wiki.) Zumindest in der Schwerpunkt-Legung dessen, was für die grundlegenden Mechanismen der Evolution überhaupt als wichtig angesehen wird, könnten sich in den nächsten Jahren noch ganz erhebliche Verschiebungen ergeben. Daß der sogenannte "Gen-Egoismus" dabei seine Bedeutung gänzlich verliert, wie Joachim Bauer vermutet, ist allerdings auch nicht zu erwarten.
Gesamt-Genom-Verdoppelungen günstiger als Gen-Verdoppelungen in kleinerem Umfang?
In ihren "abschließenden Bemerkungen" schreiben die Dubliner Forscher (3) nun, daß viele Gene, insbesondere auch Entwicklungsgene in ihrer Ablesesteuerung in einem komplexen Zusammenhang mit anderen Genen stehen ("they are dosage-balanced"). Und sie schreiben dann weiter, daß es sein könnte, daß eine ganze Genom-Verdoppelung diese komplexen Zusammenhänge weniger durcheinander bringt, als Gen-Verdoppelungen in kleinerem Rahmen:
Whole genome duplication (WGD) duplicates all genes simultaneously and therefore does not perturb relative dosages. Whereas small-scale duplication(SSD) of dosage-balanced genes is likely to be deleterious, WGD should be neutral. Furthermore, subsequent loss of dosage-balanced genes after WGD will be deleterious unless contemporaneous loss is somehow achieved. Therefore, the only opportunity to duplicate dosage-balanced genes might be when WGD occurs.
Sie vermuten also: Die einzige Möglichkeit, um in komplexen Genablese-Abhängigkeiten stehende Gene zu duplizieren, ohne daß sich dies tödlich auf den Gesamtorganismus auswirkt, ist die gesamte Genom-Verdoppelung. Was bleibt da wohl noch von dem alten Schema der Punktmutation und Selektion übrig? Letzteres wird wohl höchstens mikroevolutionäre Ereignisse theoretisch richtig fassen können. Höchstens.
Erdweite Massenaussterbe-Ereignisse und Genom-Verdoppelungen
Nun ist nämlich weiterhin wichtig, daß sich immer mehr Anzeichen dafür anhäufen, Anzeichen, die auch von Joachim Bauer breit erörtert werden, daß solche Genom-Verdoppelungs-Ereignisse zeitlich mit erdweiten Massen-Aussterbe-Ereignissen zusammen zu fallen scheinen, wahrscheinlich ausgelöst von Asteroiden-Einschlägen. (4 - 6) Unter eklatanten, erdweiten Streß-Situationen für Organismen scheint es also für das Überleben von Pflanzen- und Tierarten vorteilhaft zu sein, ein verdoppeltes Genom zu haben.
Der Evolutionsbiologe Axel Meyer hat es sich in einer seiner jüngsten Handelsblatt-Kolumnen (Quantensprung, 26.3.09) da noch relativ einfach gemacht, wenn er über eine neue PNAS-Studie (4) schrieb:
Möglicherweise wurde also die Wahrscheinlichkeit, bei der Katastrophe auszusterben, durch eine zufällige Genomverdopplung verringert ...
und wenn er dann in eigenem Raisonement weiter betonte:
... Vorausplanen konnten die Pflanzen dies natürlich nicht; sie hatten einfach nur Glück, dass sich ihr Genom gerade zu dem Zeitpunkt verdoppelt hatte, als der Asteroid vom Himmel fiel.
Nun, das ist wohl etwas zu schlicht ausgedrückt. Von Vorausplanung kann in der Evolution sowieso schlecht die Rede sein (zumindest nach heutigem Kenntnisstand und wenn wir einmal von Simon Conway Morris nicht einfach zu interpretierender These zu konvergenter Evolution absehen). Aber wissen wir denn, genau wann die Verdoppelungs-Ereignisse stattfanden? Die neue PNAS-Studie vom 7. April, auf die sich auch Meyer bezieht, datiert eines der jüngsten Genom-Verdoppelungs-Ereignisse vieler Arten von Blütenpflanzen (Angiospermen) auf grob den gleichen Zeitpunkt, an dem die Dinosaurier ausstarben, also vor 65 Millionen Jahren. Aber diese Studie argumentiert doch erheblich differenzierter als Meyer. Zunächst einmal verdeutlicht sie, daß es nach dem damaligen Asteroiden-Einschlag einen massiven Rückgang in der photosythese-betreibenden Pflanzendecke auf der Erde und gleichzeitig eine starke Zunahme des Pilzbewuchses gab. Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang konnte - zum Beispiel - als Folge des Einschlages kaum noch Sonnenlicht die Atmosphäre bis zur Erdoberfläche durchdringen.
Da ist es sehr wahrscheinlich, daß viele Pflanzen- und Tierarten ausstarben. Waren es nun gerade die, die zum Zeitpunkt des Asteroiden-Einschlages - "zufällig" - eine Genom-Verdopplung erfuhren, die überlebten? Diese These mutet doch zunächst recht willkürlich und "aus der Hüfte geschossen" an, wenn schon nicht angenommen werden soll, daß sie möglicherweise sogar ideologie-geleitet ist. (Axel Meyer hatte bekanntlich das Buch von Joachim Bauer in einer "Laborjournal"-Rezension in einer Weise wissenschaftlich herabgesetzt, wie das recht häufig besonders dann üblich ist, wenn Beurteilungen primär ideologie-geleitet sind.) Immerhin reden wir hier von Pflanzen von zum Teil sehr unterschiedlichen Artengruppen, die alle ungefähr zum gleichen Zeitpunkt eine Genom-Verdoppelung erfuhren: bloßer "Zufall"?
Viel eher ist es doch wahrscheinlich, daß sich diese Genom-Verdoppelungen in einem längeren, derzeit noch nicht genau genug bestimmbaren Zeitraum nach dem Asteroiden-Einschlag ereigneten. Auch die genannte neue PNAS-Studie kann diese Verdoppelungen nur auf grob 10 Millionen Jahre nach dem Asteroideneinschlag, also zwischen 65 und 55 Millionen Jahre vor heute datieren. Und da wird es dann fast gleichgültig, ob diese Genom-Verdoppelungen nun "zufällige" Mutationen waren oder ob sie nicht auch Streß-induziert gewesen sein könnten (wie Bauer vermutet). Beides würde nicht in das alte theoretische Schema hineinpassen.
Genom-Verdoppelungen und Artbildung
In der PNAS-Studie zu den Angiospermen heißt es nun allgemeiner über die evolutive Bedeutung von Gen-Verdopplungen, daß sie abgeänderte und neue Genablese-Zusammenhänge ermöglichen und - damit - Artbildung (!):
There is ample evidence that gene duplication fuels long-term diversification and evolutionary success through the evolution of novel gene functions, but the short-term advantages of polyploidy are less known. Several studies have suggested that polyploid plants can have increased tolerance to a wider range of environmental conditions compared with their diploid relatives. Altered levels of gene expression in polyploids are probably an important factor. Immediate changes in gene expression can result from increased heterozygosity and dosage balance effects after genome duplication. In addition, it has been shown that polyploidization can lead to rapid epigenetic repatterning and concomitant changes in gene expression, such as tissue-specific differential expression of gene duplicates.
Und gar nicht so dumm schreiben die Forscher um Yves Van de Peer (Gent/Belgien) dann weiter:
By partitioning ancestral expression patterns in response to environmental stresses, duplicated genes can become subfunctionalized and thus undergo separate processes of genetic evolution.
Eine spannende, weiterführende These. Den für diese These zitierten Artikel von 1999 wird man sich noch einmal genauer anschauen müssen. (7, frei verfügbar im Netz)
Joachim Bauer hat recht: Genomverdoppelungen und EvolutionIn jedem Fall ist es anregend und nicht dumm, wenn man im Nachdenken über die evolutionäre Bedeutung von Genom-Verdoppelungen während wiederkehrender, erdweiter Massenaussterbe-Ereignisse auch die schon älteren Forschungsergebnisse der Nobelpreisträgerin Barbara McClintock (1902 - 1992, siehe Bild links) (Nobelpreis 1983) als Ausgangspunkt wählt, wie das ebenfalls Joachim Bauer getan hat. Durch radioaktive Bestrahlung bei Mais hat sie als erste herausbekommen, daß Streß massive genetische Umgruppierungen in Genomen von Organismen auslösen kann (siehe Transpositionselemente, Transposonen, --> Wikip.).
_____________________
Literatur:

1. Ohno, Susumo: Evolution by Gene Duplication. Springer-Verlag, New York 1971
2. Bauer, Joachim: Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus. Hoffmann & Campe-Verlag, Hamburg 2008

3. Makino, T., Hokamp, K., & McLysaght, A. (2009). The complex relationship of gene duplication and essentiality Trends in Genetics, 25 (4), 152-155 DOI: 10.1016/j.tig.2009.03.001
4.
Fawcett, J., Maere, S., & Van de Peer, Y. (2009). From the Cover: Plants with double genomes might have had a better chance to survive the Cretaceous-Tertiary extinction event Proceedings of the National Academy of Sciences, 106 (14), 5737-5742 DOI: 10.1073/pnas.0900906106
5.
Adrian L. Melott (2008). Long-Term Cycles in the History of Life: Periodic Biodiversity in the Paleobiology Database PLoS ONE, 3 (12) DOI: 10.1371/journal.pone.0004044
6.
Guohui Ding, Jiuhong Kang, Qi Liu, Tieliu Shi, Gang Pei, Yixue Li (2006). Insights into the Coupling of Duplication Events and Macroevolution from an Age Profile of Animal Transmembrane Gene Families PLoS Computational Biology, 2 (8) DOI: 10.1371/journal.pcbi.0020102
7.
Allan Force, Michael Lynch, F. Bryan Pickett, Angel Amores,, & Yi-lin Yan, John Postlethwait (1999). Preservation of Duplicate Genes by Complementary, Degenerative Mutations Genetics , 151 (April), 1531-1545
8.
B McClintock (1984). The significance of responses of the genome to challenge Science, 226 (4676), 792-801 DOI: 10.1126/science.15739260

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