Unter dem Motto «Care-Arbeit kollektivieren – Kapitalismus entsorgen!» war anlässlich des internationalen Frauentages 2014 zu einer Kundgebung mit anschliessendem Demonstrationsumzug in Zürich aufgerufen worden. Schon bei der Versammlung am Hechtplatz war offensichtlich, dass mindestens die Hälfte der Teilnehmerinnen Migrantinnen waren. Sie trugen die traditionelle Kleidung ihrer Heimatländer und schwenkten Fahnen der dortigen Frauenvereine. Verschiedene Rednerinnen betonten, dass wir an diesem 8. März nicht nur auf die Strasse gehen, um Gleichberechtigung hierzulande einzufordern, sondern auch um uns mit all den Frauen zu solidarisieren, deren Situation viel schlechter ist als unsere: Frauen, die unter patriarchalischen Systemen leiden, Frauen, die misshandelt und vergewaltigt werden, Frauen, die im Gefängnis sitzen. Frauen, die in Kriegsgebieten leben und nicht zuletzt Frauen, die als Flüchtlinge ein Leben im Exil führen. Auch bei uns in der Schweiz. Der gemeinsame Marsch übers Limmatquai und durch die Bahnhofstrasse bis zum Helvetiaplatz vermittelte uns allen das Gefühl, dass wir alle auf eine ganz spezielle Weise miteinander verbunden sind, egal woher wir kommen und wie wir leben: als Frauen, die für ihre Rechte einstehen und sich Bevormundung, Benachteiligung und Gewalt unter keinen Umständen bieten lassen wollen. Auch wo die Sprache fehlte, verständigte man sich auf die eine oder andere Weise – mit Blicken, mit Gesten, mit dem gemeinsamen Tragen von Transparenten. Wenn eine Gruppe begann, einen Slogan zu rufen, stimmten die anderen ein, auch wenn sie ihn nicht verstanden. So breitete sich etwa das kurdische “Jin, Jiyan, Azadi” (“Frau, Leben, Freiheit”) weitherum aus und schallte von den Bankenfassaden am Paradeplatz wider. Es wurden Lieder gesungen, es wurde getanzt, es wurde applaudiert und gejubelt.
Dass die Präsenz von ausländischen Frauen so offensichtlich war – so farbenfroh, so lebenslaut, so wunderschön selbstbewusst – war vielleicht auch der Grund, warum der Demonstrationsumzug mehrfach von Einzelpersonen angegriffen wurde. “Man sollte das ganze Saupack ausschaffen” war noch eine der milderen Äusserungen. Auf Diskussionen liessen sich die meist älteren Damen und Herren nicht ein. Auf die Frage “Wen sollte man ausschaffen? Alle Frauen?” reagierte man bloss mit “Halt die Fresse und schreib mir nicht vor, was ich sagen darf”. Vielleicht war es einfach eine willkommene Gelegenheit, Aggressionen loszuwerden. Vielleicht richtete sich die Wut tatsächlich gegen das Weibliche, das sich nicht fügen will. Wahrscheinlich ging es aber wieder einmal einfach darum, dass auf den Schweizer Strassen etwas ersichtlich wurde, was nicht genuin Schweizerisch war. Wie die Abstimmungsresultate in den letzten Jahren immer wieder gezeigt haben, stören sich Herr und Frau Schweizer zunehmend daran, dass sie nicht unter sich sind. Dass unsere Mutli-Kulti-Kultur an einem Tag wie diesem sichtbar wurde, und dass die Schweizer Frauen dann auch noch gemeinsam mit den Anderen, mit den Suspekten zusammenspannten, mag für den einen oder anderen zu viel des Guten gewesen sein. Doch keiner der verbalen Attacken blieb ohne Konter – gemeinsam wusste man sich zu wehren und konnte sogar über die Nörgeler lachen.
Doch auch die Ordnungshüter war offenbar nicht ganz schlüssig, ob man diesen bunten Haufen einfach so ziehen lassen konnte. Im Abstand von 20 Metern folgten dem Umzug langsam und leise zwei Polizeiautos. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Helvetiaplatz waren in einer Nebenstrasse gar fünf weitere in Wartestellung. Zwei Dutzend Polizisten (und Polizistinnen) harrten mit bewaffneter Ausrüstung aus, um notfalls eingreifen zu können. Doch auf dem Helvetiaplatz wurde nur Musik aufgedreht, getanzt und Kuchen gegessen. Das Aufgebot war allerdings auch klein an diesem Tag, und sogar die Gessnerbrücke gegenüber der Kaserne blieb geöffnet. Auf diese Weise zollte man den Frauen immerhin einigen Respekt. Für viele Teilnehmerinnen war das Gefühl, an einer Demonstration ungestört über diese Brücke laufen zu können, ein Novum: Bei den unzähligen Demos, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Schweizer Migrations- und Asylpolitik stattgefunden haben, insbesondere nach den Abstimmungen, war nicht nur diese, sondern auch alle anderen Brücken in die Innenstadt komplett abgeriegelt worden. Bei solchen Gelegenheiten kommt die Polizei nicht mit einer Handvoll Autos – nein, da wueden schon fünf bis zehn Wasserwerfer und geschätzte hundert Polizisten mit Kopfschutz und Schutzschildern aufgeboten. Sie kommen von vorne, von hinten und auch durch die kleineren Strassen, um die Demonstranten einzukesseln. Sie machen Fotos, um zu archivieren, wer sich das Recht herausnimmt, gewaltlos und friedlich seine Meinung kundzutun. Und dann wundern sie sich, wenn viele ihre Kaputzen hochziehen und ihre Gesichter mit Schals oder Jackenkragen verbergen. Nein, eigentlich wundern sie sich nicht, sondern nehmen es als willkommenes Argument dafür, dass der Grossteil der Teilnehmer aus Anarchisten mit kriminellem Hintergrund besteht: der schwarze Block, heisst es dann, hat in den Strassen von Zürich randaliert. Die Frauendemo dagegen blieb zum Glück farbig und unvermummt – doch nicht weniger laut.
Jin, Jiyan, Azadi – Frau, Leben, Freiheit ! Das wünschen wir uns für alle Frauen auf der Welt ! Und dafür gehen wir jederzeit wieder auf die Strasse !
Nicole Maron, 9. März 2014