Jetzt ist überall drüben: Kapitalismusfreie Zone gesucht

Sobald man früher anfing, am westlichen System herumzumäkeln hieß es: „Dann geh noch nach drüben!“ Das war vergleichsweise harmlos, denn immerhin gab es diese Alternative, und gar nicht so wenige haben sie tatsächlich gewählt – nicht weil sie auf Stasi und Gleichschritt standen, sondern weil sie daran glaubten, dass es etwas anderes, möglicherweise besseres, geben müsse als den Kapitalismus.

Damit will ich nicht sagen, dass ausgerechnet die DDR die bessere Alternative gewesen sei – denn wer freiwillig von West nach Ost ging, wurde argwöhnisch beäugt: Es könnte ja ein Westspitzel sein. Die DDR machte es ihren Freunden nicht leicht und spielte damit ihren Feinden in die Hände. Immerhin: Die Herrschenden in der DDR haben versucht, ihren Staat arbeiterfreundlich zu gestalten – und das ist ihnen in vielen Punkten sogar gelungen. Für einen DDR-Bürger war ein sicherer Arbeitsplatz selbstverständlich und die Lebenshaltungskosten waren niedrig. Niemand musste sich tot arbeiten, um zu überleben. Kinderbetreuung, Bildung, Freizeit- und Kulturangebote – es war ein breites Angebot vorhanden und jeder konnte sich das leisten. Und auch eine Pastoren-Tochter wie Angela Merkel durfte in der atheistisch gesprägten DDR studieren und eine akademische Karriere machen – soviel zu den Schwierigkeiten, die nicht linientreue Bürger in der DDR angeblich hatten.

Aber anders als die BRD hatte die DDR keine freundliche US-Macht im Rücken, die sie mit Marshallplan und Care-Paketen wieder hochgepäppelt hat, sondern eine vom Weltkrieg ausgeblutete Sowjetunion, die Reparationen verlangte und den deutschen Genossen nicht so recht über den Weg traute. Schließlich hatte Hitler-Deutschland die Sowjetunion überfallen und dort verbrannte Erde hinterlassen – warum sollten die Sowjets nun nett zu den Deutschen sein?!

Bei den Westalliierten lag der Fall anders: Winston Churchill stellte nach dem 2. Weltkrieg fest, dass man die falsche Sau geschlachtet habe. Nämlich Hitler statt Stalin. Also wurde Westdeutschland gebraucht, um sich gegen den Ostblock in Position zu bringen und mit entsprechender Unterstützung schnell wieder aufgepäppelt. Um die noch immer vorhandenen kommunistischen Strukturen zu zerschlagen – die Kommunisten waren vor der Machtübernahme der Nazis gerade im kriegswichtigen Ruhrgebiet stark gewesen und viele ihrer Organisationen hatten im Untergrund überlebt – wurde sogar die Entnazifizierung gestoppt. Die Westbesatzer brauchten die erfahrenen Kommunistenhasser aus den Nazi-Organisationen, um linke Umtriebe im Keim zu ersticken.

Die Mauer in den Köpfen

Die Mauer in den Köpfen

Das Ergebnis dieser Politik kann man bis heute bewundern – deutsche Staatsorgane sind traditionell rechtenfreundlich, während alles Linke mit geradezu irrationalem Eifer verfolgt wird. Nur ein Beispiel: 2008 wurden drei junge Männer zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie verdächtigt wurden, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung (der inzwischen offiziell aufgelösten militanten gruppe) zu sein. Außerdem sollen sie versucht haben, drei Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden. Beides war zwar nicht zweifelsfrei zu beweisen, verurteilt wurden die Jungs trotzdem, ganz einfach weil sie als ein bisschen zu links eingestuft wurden. Ein Hoch auf den Rechtsstaat, in dem wir leben! Interessanterweise fand der Bundesgerichtshof, dass die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft in diesem Fall rechtswidrig gewesen seien. Die Revision des Urteils gegen die angeblichen Brandstifter wurde dennoch verworfen.

So geht es zu in diesem Staat: Auf der einen Seite werden Menschen wie Schwerverbrecher verurteilt, weil man sie verdächtigt, aus politischen Gründen ein paar Bundeswehrlaster angesteckt zu haben – auf der anderen Seite schafft der Verfassungsschutz es nicht, militante Serienmörder zu schnappen, die unter den Augen der eigenen Kameraden (vulgo V-Leute) reihenweise Ausländer umbringen. Statt dessen werden die Mitglieder von rechten kriminellen Vereinigungen noch großzügig mit Geld versorgt, obwohl sie mit der heiligen Demokratie und Menschenrechten nichts am Hut haben.

Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen: Seit diese Alternative nicht mehr exisiert, ist es noch viel schwieriger geworden den Kapitalismus zu kritisieren – nicht, weil es daran nichts zu kritisieren gäbe. Im Gegenteil, die Medien sind voll von Kapitalismuskritik! Aber es werden immer nur die „Auswüchse“ kritisiert, die „Entartungen“ und „Entgleisungen“, die ganzen „Übertreibungen“, die den an sich doch so schönen und guten Kapitalismus ruinieren würden.

Ernsthafte Analysen sind nicht zu finden, nur diese verzweifelte Schönschreiberei, bei der sich Autoren fragen, wie das alles nur passieren konnte, wo doch der Markt, die „unsichtbare Hand“, eigentlich alles trefflich regeln sollte. Aber die „unsichtbare Hand“ gibt es nicht. Genau wie es keinen gütigen Gott gibt, der die Geschicke der kapitalistischen Wirtschaft leitet, wo jeder an seinen Platz gestellt ist: Der eine bescheiden am Band zum Schuften, der andere weniger bescheiden in der Villa zum Geld ausgeben. Sondern es gibt immer nur Menschen, die Geld verdienen wollen und anderen Menschen einreden, dass sie sich nur mehr anstrengen müssten, damit alles wieder gut wird. Und die meisten wollen das auch noch glauben!

Und wenn man versucht, ernsthaft gegen diesen Unsinn anzuschreiben, wird man gleich als ewiggestriger Komsomolze abgestempelt, mit dessen Argumenten man sich überhaupt nicht auseinandersetzen muss. Denn wer den Kapitalismus und damit die Segnungen der Freiheit nicht schätzt, muss automatisch ein Anhänger autoritärer Regimes sein, die darauf stehen, ihr Volk in Armut und Knechtschaft zu halten. Wer an den Segnungen der freien Wirtschaft zweifelt, ist ein Stalinist! Oder schlimmeres.

Was für ein Unsinn.

Das zeigt das intellektuelle Niveau, auf dem sich der durchschnittliche „Ist-doch-alles-geil-hier“-Systembefürworter befindet. Nordkorea oder Weißrussland sind gewiss keine Paradise kommunistischer Volksherrschaft, sondern Beispiele, wie Sozialismus nicht geht. Als ob es nur den sowjetischen Gulag geben würde, aber nicht das freiheitlich-demokratische Guantanamo. Terror, Willkür und Unrecht sind doch keine Privilegien des misslungenen Kommunismus, die gibt es überall. Und gar nicht mal so knapp im funktionierenden Kapitalismus.

Länder wie Somalia sind übrigens auch ohne angeblich kommunistische oder tatsächlich islamistische Terrorregimes am Ende – ein Land, das keinen funktionieren Staat hat, der irgendeine öffentliche Ordnung aufrecht erhält, ist für Geschäftemacher total unattraktiv. So bleiben die Leute sich selbst überlassen und leben in Angst und Elend, der Willkür der örtlichen Despoten und ihrer Anhänger ausgeliefert. Wo nichts zu verdienen ist, schwingt sich kein edler Retter mit dem Schild der Demokratie auf den Flugzeugträger. Ja, die USA haben es vor ein paar Jahren versucht. Die haben aber schnell aufgegeben, als sie gesehen haben, dass es dort so zugeht wie in ihren eigenen Slums. Es ist zu befürchten, dass es in einigen Ländern, in denen der Wind des Arabischen Frühlings geweht hat, ähnlich kommt. Auch wenn man einem Gaddafi durchaus kritisch gegenüber stehen kann, weil er nicht viel von Volksbeteiligung gehalten hat und sein grünes Buch nicht unbedingt ein philosophisches oder politisches Meisterwerk ist, so muss man doch zugestehen, dass die Libyer vor der so genannten Revolution den höchsten Lebensstandard auf dem afrikanischen Kontinent hatten. Ob das so bleiben wird, wenn die ausländischen Investoren die Statthalter ihrer Interessen erst installiert haben?

Wie viel Spaß Kapitalismus machen kann, lässt sich derzeit auch an Griechenland beobachten. Die Bevölkerung verarmt zusehends unter dem Druck der von den „Retterländern“ geforderten Sparmaßnahmen. Viele Menschen dort können sich keine Kleidung, keine Wohnung, nicht einmal mehr genug zu essen leisten. Während anlässlich des Todes von Kim Jong Il ständig Archivbilder von unterernährten nordkoreanischen Kindern gezeigt wurden, um zu zeigen, wie schlecht es den Leuten unter der „kommunistischen“ Diktatur geht, hungern die Schulkinder im kapitalistischen Griechenland genauso. Nur damit lässt sich gerade keine Propaganda veranstalten, jedenfalls keine, die unseren Cheflobbyisten da oben gefällt. Das Elend wird jetzt zwar als Strafe dafür verkauft, dass „die Griechen über ihre Verhältnisse“ gelebt hätten – tatsächlich hat aber eine lohnabhängige Bevölkerung kaum eine Chance, über ihre Verhältnisse zu leben. Da muss man sich nur mal unter den Niedriglöhnern aller Länder einmal umsehen. Die Griechen haben immerhin versucht, ihre Staatsbedienstenten ein Gehalt zu zahlen, von dem sie leben konnten. Für die Pleite gibt es ganz andere Ursachen – das Hauptproblem bleibt aber der Kapitalismus an sich: Wer kein Geld hat, und sich was leihen muss, muss immer mehr zurück geben, als er bekommen hat. Wer so viel Geld hat, dass er es weggeben kann, bekommt ohne einen Finger krumm zu machen immer mehr. Entgegen anders lautender Propaganda arbeitet Geld nicht, das tun immer Menschen – nur kriegen die nicht so viel, wie sie an Wert produzieren, sondern nur einen geringen Bruchteil davon. Den Rest stecken sich die anderen in die Tasche, die Arbeit“geber“, die Investoren, die Berater und Politiker.

Über ihre Verhältnisse können immer nur diejenigen leben, die das Geld derer einstecken, die dafür arbeiten müssen. Deshalb bin ich extrem dafür, genau denen auf die Finger zu schauen – ich bin überhaupt nicht gegen ein gutes Leben in Wohlstand und Sicherheit, um Gegenteil. Ich finde aber, dass diejenigen über den Reichtum verfügen sollen, die ihn erschaffen. Aber das ist im Kapitalismus nicht vorgesehen.



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