über eine nüchterne facebook-meldung bin ich darauf aufmerksam geworden, dass am nordflügel des stuttgarter hauptbahnhofs der abrissbagger wütet. ich konnte es kaum fassen: per livestream sah ich, wie die mauer eingerissen wurde und sich immer mehr menschen versammelten. „das darf nicht wahr sein“ dachte ich müde, mir war zum heulen zumute und mir war egal, ob das manche rührselig, naiv oder ewig gestrig nennen – ich habe mich nicht beherrscht und auch wenn ichs bislang trotz vorsatz zu keiner einzigen demo oder menschenkette geschafft habe, fuhr ich um fünf rum spontan mit der u7 los, um wenigstens den paar leuten den rücken mit zu stärken, die dem bagger genau so fassungslos vor ort zuschauten. denn am stuttgarter bahnhof geht es denk ich um viel mehr als ein paar alte steine – es geht um viel zitierte bürgernähe, direkte demokratie, es geht um wertvolle mineralquellen, um bau-sicherheit, um einen wunderschönen stadtpark und um eine hinverbrannte kosten-nutzen-rechnung, kurz: es geht um den respekt vor bürger und natur, die immer mehr durch größenwahn bedroht ist. wie sagte mir die tage die sprichwörtliche frau von der straße: „in leipzig haben sie ihren kopf-bahnhof und die gebäude drumrum wunderschön renoviert und da hält jeder zug. warum also muss ausgerechnet in stuttgart alles immer super modern sein? das ist doch unser bahnhof der gehört doch zur stadt.“
als ich über die königstraße näher kam – ich wusste ja nicht, ob die bahnen noch bis hauptbahnhof fahren aber die reißen halt echt bei vollbetrieb ab – sag ich gerade noch, wie paar leutle über ein gerüst nahe des turms aufs bahnhofs-dach kletterten und dort verschwanden. ich ließ mich einfach vom trommel- und pfeifenlärm leiten und kurze zeit später sowie eine hausecke weiter sah ich die kletterer wieder: unter tosendem beifall entrollten sie an der nordseite des bahnhofs ein gelbes transparent: „brandstifter schuster raus aus dem rathaus.“
und die neueste pressemitteilung der parkschützer:
Presseerklärung vom 25. August 2010
Aktivisten schützen verwundeten Stuttgarter Bahnhof
Zerstörer Mappus, treten Sie zurück!
Stuttgart, 25. August 2010: Die begonnene Zerstörung am Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs ruft tausende wütender Bürger auf den Plan, 12.000 alleine direkt vor dem Nordflügel. Mit lautstarken Protesten blockieren sie, wo es nur geht. Gegen 18 Uhr gelangte eine Gruppe von siebe Aktivisten auf das Dach des verwundeten Gebäudeteils. Sie fordern den Rücktritt der S21-Politiker, namentlich Ministerpräsident Stefan Mappus und Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Sie sitzen jetzt schützend auf der Abrisskante, um weitere Zerstörungen zu verhindern.
Die Besetzer fordern einen Abrissstopp und den Stopp von Stuttgart 21. Sie kommen freiwillig herunter, wenn der projektverantwortliche Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer bis spätestens Freitag den Baustopp für Stuttgart 21 verkündet.
„Herr Mappus, Ihre Fassade ist gefallen! Hier zeigt sich, mit welcher Brutalität Sie Ihre persönlichen Interessen durchzupeitschen bereit sind, ohne Rücksicht auch gegen das ‘eigene’ Volk“, sagt Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer. „Wer seine Macht derart missbraucht, so auf Kosten und zu Ungunsten des Staates und der Gesellschaft wirtschaftet, hat keinerlei demokratische Legitimation mehr!“
Soeben begrüßte Egon Hopfensitz, ehemaliger Bahnofsvorsteher die Demonstranten: Über die politischen Entscheidungsträger in Baden-Württemberg sagt er: „Wer die Macht hat, hat Zugriff auf die Steuergelder und davon wird gerade massiv Gebrauch gemacht.“ Er wirft allen Verantwortlichen und Planern Lügen und Betrug vor.
Die Zerstörungsarbeiten begannen heute gegen 13:30 Uhr am hintersten Teil des Nordflügels. Entgegen allen bisherigen Beteuerungen, wurde die Außenfassade aus wertvollem Muschelkalk mitsamt dem dahinterliegenden Gebäudeteil ohne Rücksicht auf Verluste nieder gerissen. Insbesondere wurden dadurch auch die Fassadenbausteine zerstört.