Es ist wohl eine der grössten Illusionen, wenn Eltern glauben, die Kinder brauchten einen weniger, wenn sie grösser werden. Klar, nachts aufstehen muss man selten bis nie, in Körperpflege und Terminplanung werden die Knöpfe immer selbständiger, die Zeiten, zu denen keiner im Haus ist, werden länger. Wehe aber dem, der daraus schliesst, dass er sich jetzt entspannt zurücklehnen und eigenen Projekten zuwenden kann.
Das Gegenteil ist der Fall: Jetzt gilt es erst recht, bei der Sache zu sein. Konnte man beim Stillen, in den Schlaf wiegen und Windelwechsel noch eigenen Gedanken nachhängen, ist volle Aufmerksam gefragt, wenn der Teenager abends um halb elf über seine Bedenken bezüglich Übertritt an die Oberstufe reden möchte. Ein Dreijähriger gibt sich noch mit einer einfachen Antwort zufrieden, eine Zehnjährige bohrt nach, bis es richtig persönlich wird und man sich sehr gut überlegen muss, was man jetzt sagt, damit man dem Kind das weitergibt, was einem wirklich am Herzen liegt. Meinungsverschiedenheiten lassen sich nicht mehr mit einem “Davon verstehst du noch nichts” vom Tisch wischen, sie wollen ausgetragen sein.
Ganz klar, die Auseinandersetzungen werden anspruchsvoller, Mama und Papa müss(t)en sich noch mehr darüber austauschen, wie sie ihre Kinder begleiten wollen. Dennoch halte ich weiterhin nichts vom abgedroschenen Spruch von den kleinen Kindern und den kleinen Sorgen. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass jede Zeit ihre ganz eigenen Herausforderungen, aber auch ihre eigenen Glanzlichter hat. Ich ahne, dass sich die Herausforderung dann am besten meistern lassen, wenn man es immer wieder aufs Neue schafft, sich über die Glanzlichter zu freuen, ob es nun ein zahnloses Lächeln nach einer durchwachten Nacht ist oder ein wohlwollendes “Mama, du bist eigentlich ganz cool” nach einem heftigen Krach mit Türknallen und Wutgeschrei.