In 2016 hat Taylor Sheridan mit dem Neo-Western Hell Or High Water eine Oscar-Nominierung für sein Drehbuch erhalten. Damit hat er sich in einem Genre als ernsthafter Ideengeber etabliert, mit dem in diesen Tagen allenfalls noch Quentin Tarantino zufriedenstellend, aber niemals so ernst wie bei Sheridan, hantiert. Für Wind River hat er nun wieder den Stift gezückt, zugleich aber auch die Regie übernommen. Von der schwülen Trockenheit des westlichen Texas lässt er Jeremy Renner und Elizabeth Olsen auf die klirrende Kälte der Winterzeit Wyomings prallen, was selbst uns vor Kälte erzittern lässt.
Renner spielt Cory Lambert von der amerikanischen Artenschutzbehörde. Er entdeckt in freier Natur die gefrorene Leiche der 18 Jahre jungen Natalie Hanson. Lambert kannte das Mädchen und ist mit ihrer Familie befreundet. Niemand glaubt an einen Unfall, wo sie doch ohne Schuhe und entsprechender Winterkleidung gefunden wurde. Die FBI-Newcomerin Jane Banner (Olsen) wird herangezogen um festzustellen, ob es sich um einen Mord handeln könnte. Bei den Ermittlungen muss sie mit den wildniserfahrenden Lambert zusammenarbeiten.
Schon lange hat uns ein Film nicht mehr mit seiner unterkühlten Atmosphäre nicht nur in die Gemütslage der hier handelnden Menschen versetzt, sondern uns zugleich selbst ein wenig vor Kälte zittern lassen. In Wind River herrschen eisige Temperaturen. Es ist tiefster Winter. Es liegt Schnee. Wir schlittern übers Eis. Wir wollen uns in dicker Kleidung wärmen.
Wind River
" data-orig-size="1000,644" sizes="(max-width: 890px) 100vw, 890px" aperture="aperture" />Elizabeth Olsen (mitte) mit Jeremy Renner (rechts) und Graham Greene (links) in WIND RIVER.
Wir können uns in die Antarktis von Das Ding aus einer anderen Welt von John Carpenter zurückdenken oder Fargo der Coen Brüder heranziehen, auch wenn wir sowohl Sci-Fi als auch Comedy in Wind River nicht finden werden – daher erscheint es passender, eher in die Genre-verwandte Stimmung der Millennium-Trilogie nach Stieg Larsson einzutauchen, wo Schweden als kühler Ort des Verbrechens herhalten musste und sich Wind River am besten einordnen lässt.
Zumal die Ähnlichkeiten hier nur allzu sehr ins Auge springen. Die Kälte nicht nur als Schlecht-Wetter-Schwierigkeit, sondern auch als Spiegelbild einer Gesellschaft. Die Kälte als abgestumpftes und emotionsloses Handeln. Und wie auch in der Millennium-Trilogie geht es in Wind River um das Verbrechen an einer Frau.
Die Landschaften wurden von Kameramann Ben Richardson in Szene gesetzt, der bereits atemberaubende und traumähnliche Bilder in dem wundervollen Beasts of the Southern Wild von Benh Zeitlin abgeliefert hat. Seine Arbeit trägt hier einen großen Teil dazu bei, dass wir uns beim Verfolgen der Handlung gerne einen dicken Parka anziehen und einen Schal umbinden möchten, uns zugleich aber in der Schönheit dieser Schneelandschaft verlieren können.
Das ermittelnde Duo darf sich mit schauspielerischer Stärke zeigen. Elizabeth Olsen spielt sich recht sicher durch ihre Rolle einer unsicheren FBI-Agentin, die hier am winterlichsten Ort, der ihr je begegnet ist, gänzlich fehl am Platz wirkt. Sie muss ihre Frau stehen, sich als Anfänger-Ermittlerin, als Umgebungs-Unkundige und als Frau unter Männern beweisen, deren Vorstellungen von der Welt noch recht rückständig geprägt sind.
Aber es ist vor allem Jeremy Renner, der seine bisher wohl stärkste Darbietung abliefern darf. Damit zeigt er – wie auch im 2014er Kill the Messenger – seine Hauptdarsteller-Qualitäten und wie sehr sein Mitwirken als Hawkeye im Marvel Cinematic Universe ihn in die kleine Nebenfigur-Rolle gedrängt hat. An der Seite seiner Marvel-Kollegin Olsen kann er sich in Wind River nun aber daraus befreien und losgelöst von “größeren” Namen sein eigenes Ding durchziehen.
Wind River
" data-orig-size="1000,666" sizes="(max-width: 890px) 100vw, 890px" aperture="aperture" />Elizabeth Olsen als FBI-Rookie Jane Banner.
Sheridan weiß sehr gut um die bereits existierende Chemie zwischen Renner und Olsen, weiß aber noch viel besser, dass es schlicht abgedroschen wäre, diese beiden Menschen in eine Liebesgeschichte zu verwickeln, zumal sie sich in einem Umfeld bewegen, in der es offenbar keine große Liebe mehr zu geben scheint. Renner ist lediglich die benötigte Hilfe für Olsen. Er gibt ihr seine Weisheiten mit auf den Weg: Das hier ist das Land, in dem du gänzlich auf dich allein gestellt bist.
Das Drehbuch wirkt nicht immer wie aus dem Leben gegriffen, sondern viel mehr wie eine poetische Variation. Die Poesie kann rührend sein, kann aber auch zu irritierenden Momenten führen. Manchmal wird in Wind River zuviel geredet, dann bekommen wir einen ganzen Schwall von Emotionen und Seelenschmerz. Am allerschönsten ist es, wenn die ruhigen Momente in den Vordergrund treten und man sich stillschweigend durch Blicke verständigt. Dann wirkt der Film auf einmal äußerst immens auf unser eigenes Seelenleben ein.
Wind River wird langsam und behutsam erzählt, was sich äußerst gut mit der Atmosphäre des Films vereinbaren lässt. Wenn die Story dann schlussendlich explodiert, ist man mitgerissen und wird aufgewühlt. Wind River ist nicht so stark wie die von Taylor Sheridan geschriebenen Hell or High Water oder Denis Villeneuves Sicario, aber es ist ein verflucht spannendes Thriller-Regiedebüt.