Der achte Zylinder des Motors.
Ich habe so das Gefühl, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass diese ungemütlich nervöse Stimme, die mich, zumeist nachts, aus den Tiefen meines Hinterkopfes lauthals anschreit, vor wenigen Monaten noch nicht einmal existiert hat. Dennoch frage ich mich immer wieder, ob es meine eigene Stimme oder die eines anderen ist.
Der ich nicht bin
Eine genaue Antwort, konnte ich mir bisher noch nicht geben, gehe aber zu 80% davon aus, dass es die eines anderen ist. Jemand, der ich nicht bin. Jemand, der ich nicht bin, schläft immer dann, wenn ich hellwach und ausgeruht sein müsste, es aber oftmals nicht bin, weil er mich nachts nur selten schlafen lässt. Tagsüber lässt er mich glücklicherweise in Ruhe, erwacht aber gegen zehn Uhr abends, was er durch heftiges Gebrüll ankündigt. Manchmal meldet er sich tagelang nicht zu Wort. An Sonn- und Feiertagen, sowie an Samstagen ist er anhaltend präsent. Jemand, der ich nicht bin, hat eine blühende Fantasie, die er mühevoll in seinem Gewächshaus der Peinlichkeiten, Euphorien und Wutausbrüchen anpflanzt, während er seine halbtauben Ohren mit verstörender Technomusik der Neunziger Jahre füttert. Er und ich haben sehr wenige gemeinsame Interessen obwohl wir uns in einer wichtigen Sache extrem ähneln. Wir haben einen fast beschämend lächerlichen Drang zu Exzessen aller Art.
Ich selbst tanze beispielsweise ungern und bevorzuge bekanntlich das Reden mit wechselnden Gesprächspartnern, was mich schließlich davon abhält, mich zu diversen Rhythmen zu bewegen. Doch ehe ich mich in einer Unterhaltung verliere, tippt mir Jemand, der ich nicht bin, völlig unerwartet auf meine Schulter und zwingt mich zu Taktbewegungen. Noch ungünstiger war die Aktion, als er mich an einem Samstagmittag, an dem ich eigentlich bei hellichtem Tage in meinem Zimmer ohne Vorhänge zu schlafen versuchen wollte, unaufhörlich zugetextet hat. In diesem Moment ist seine Stimme bislang am lautesten gewesen und seine Worte haben mit ihrer dramatisch kritischen Deutlichkeit ein bisher für mich unbekanntes Reuegefühl erfunden.
Wahrscheinlich hat dieses schon länger in mir existiert und nur Jemand, der ich nicht bin, hat es finden können. Ich fühle ich mich immer dann von ihm erniedrigt und kläglich verunsichert, wenn er einen symbolischen Spiegel der Wahrheit direkt vor mein Gesicht hebt während ich meine Augen erstmals, aus einem tiefen Schlaf erwachend, öffne. Seine dadurch entstehende Ehrlichkeit kann ich ihm dennoch nicht verübeln. Trotzdem fühle ich mich des Öfteren als eine Art Gefangener meiner Selbst. Jemand, der ich nicht bin, bleibt stets hartnäckig und kommt immer plötzlich in meine Anwesenheit hinein geplatzt, ohne dass ich überhaupt auf die Idee kommen muss, an ihn zu denken. Ich weiß wirklich nicht, wie lange er es noch mit mir aushalten will. Ich bin doch größtenteils ein schwieriger Konversationsführer für ihn. Manchmal dauert es Ewigkeiten, bis wir zu einem Punkt kommen oder uns einig werden. Wir passen als Kollegenschaft somit nicht zusammen.
Nun ist es an der Zeit, dass er verschwinden muss. Er soll hinfort reisen in die leicht zu manipulierende devote Seele eines Anderen. Vielleicht sollte er mal an Roberts Hirn klopfen und um Audienz beten.
Lale Nikki Eggers