Jedes Konzert ist einzigartig und nicht wiederholbar!

Von European-Cultural-News

Interview mit dem tschechischen Dirigenten Jakub Hrusa

Der Dirigent Jakub Hrusa (c) IMGArtists

Herr Hrusa, Sie sind schon das zweite Mal hier in Straßburg?

Ja, das erste Mal war ich im Oktober 2008 in Straßburg. Meine Eindrücke sind, was diese Zusammenarbeit betrifft, sehr komplex. Das Orchester hier hat mir eine wunderbare Zeit bereitet. Im Werk von Richard Strauß fühlten sie sich viel mehr zuhause als im Werk von Janáček, was ja etwas ganz anderes ist. Es hat viele Schwierigkeiten und wir haben die ganze Woche über daran gearbeitet. Überhaupt war es für das Orchester eine große Herausforderung, denn obwohl „Zarathustra“ von Strauß und das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky sehr bekannte Stücke sind, wurden sie in Straßburg lange nicht mehr gespielt. Das bedeutet, dass die Musiker für das Konzert eigentlich drei neue Stücke einüben mussten. Ich habe also ein richtiges Gefühl von Arbeit, das mich diese Woche mit dem Orchester verbunden hat. Ich bin beim Arbeiten nicht jemand, der zum Beispiel versucht, das beste Crescendo herauszuarbeiten, sondern ich lobe vielmehr die Anstrengungen, die die Musiker unternehmen – und das gibt mir dann sehr viel zurück. Im Orchester gibt es Talente und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Aber dafür braucht man Zeit, Konzentration, Vorbereitung. Wenn man das hat, kann man mehr in diese Richtung arbeiten.

Wie gestaltete sich Ihre Zusammenarbeit mit dem Pianisten Simon Trpčeski?

Wir arbeiteten sehr gut zusammen. Er hat eine unglaublich fantastische Energie, ist eine liebenswerte Persönlichkeit mit einem offenen Herzen, sehr gefühlsbetont und hat eine besondere Gabe, von Menschen gemocht zu werden.

Sie haben in kurzer Zeit eine steile Karriere hinter sich gebracht, mit vielen großen Orchestern an vielen großen Häusern dirigiert. Was sagen Sie selbst zu dieser Entwicklung?

Ich selbst habe den Eindruck, dass meine Karriere sich in eine gute Richtung bewegt. Andere mögen vielleicht noch schneller nach oben kommen, aber so wie es bei mir läuft, halte ich es für einen ganz logischen und erfolgreichen Weg. Schritt für Schritt. Keine Riesensprünge, aber ruhig und dafür kontinuierlich. Was ich mache, ist aber hoffentlich auch erfolgreich und gut für die Orchester, sie sind damit zufrieden. Ich lege Wert auf eine ganz natürliche Entwicklung und glaube daran, dass es wichtig ist, ein gutes Repertoire zu dirigieren und auszuwählen. Janáček wählte ich zum Beispiel aus, weil er im Stil doch ein wenig provokant ist. Er erfordert eigentlich ein wenig Erklärung gegenüber dem Publikum. Das muss nicht mit Informationen überschüttet werden, aber ein, zwei Erklärungen reichen schon, um die Fantasie anzuregen und um klar zu machen, worin es in dem Stück eigentlich geht. Ich stehe den Programmheften sehr kritisch gegenüber. Meistens werden darin Fakten wiedergegeben, Opuszahlen, Jahreszahlen usw., aber es fehlt der kindliche Zugang, Vorstellungen, die die Musik unterstützen. Das finde ich schade.

Haben Sie schon kommentierte Konzerte gemacht?

Ja, in Englisch und in Deutsch, man hat mich darum gebeten.

Es gibt auch Aussagen von Künstlern, die meinen, der direkte Kontakt zum Publikum, also das Ansprechen des Publikums, würde die Aura eines Künstler vernichten, die Aura ein Star zu sein.

Warum sollte eine Interaktion eine Aura vernichten? Das sehe ich gar nicht so. Allerdings stimmt es, das ein kleinerer Rahmen wie zum Beispiel ein Gespräch, das vor dem Konzert abgehalten wird, oder auch nur Informationen, die man am Buffet weiter gibt, sehr gut zur Informationsverteilung geeignet sind. Wenn ich kommentiere, bevorzuge ich es, einige wenige Worte ans Publikum zu richten, einfach um die Aufmerksamkeit der Leute zu erlangen. Ich erzähle auch gerne, warum ich selbst ein bestimmtes Stück gerne mag.

Wie war ihre erste Annäherung zur Musik?

In meiner Familie ist niemand Profimusiker. Mein Vater ist Architekt. Er versuchte natürlich zu erkunden, ob ich künstlerisch begabt sei und gab mir Zeichenblätter und Stifte, aber das Resultat, das dabei herauskam, war sehr dürftig. Ich liebte es aber, der Musik zuzuhören. Meine Eltern hörten eigentlich immer Musik und sie erkannten dabei auch mein Talent. Im Kindergarten wurde immer ich genommen, wenn jemand etwas vorsingen oder einen Rhythmus klatschen musste. Damals, es war noch in den letzten Jahren des Kommunismus, gab es ein Projekt. Ein Komitee besuchte die Kindergärten und hielt Ausschau nach besonders begabten, musikalischen Kindern. Ich wurde von ihnen ausgewählt und ging danach in eine Grundschule weiter, in der in allen Fächern Musik vorkam. Egal, ob in den Fremdsprachen, oder auch in Mathematik, 10 Minuten lang wurde zumindest immer gesungen, oder Musik gemacht. Das war eines der letzten Projekte des Kommunismus und ich bin sozusagen noch ein Ergebnis davon. Ich möchte aber ausdrücklich unterstreichen, dass ich den Kommunismus nicht gutheißen will, meine frühe Schulausbildung basierte jedoch auf diesem Experiment. Aus den 30 Schülern, die damals in der Klasse waren, habe auch nur ich eine Musikerlaufbahn eingeschlagen. Wir fühlten uns in dieser Klasse jedoch richtig glücklich und privilegiert und ich erlebte eine richtig glückliche Kindheit. Später bekam ich dann Zweifel an der Musik. Ich ging in ein ganz normales Gymnasium mit einer breiten Grundausbildung. Meine Lehrer drängten mich zwar immer dazu Musiker zu werden, aber ich war mir gar nicht mehr wirklich sicher. Anfangs studierte ich Posaune und Klavier, mehr oder weniger als mein Hobby. Die Posaune setzte ich dann auch beim Jazzspielen ein. Im Klavierspielen machte ich ja bessere Fortschritte, ich übte viel und spielte auch in meiner Freizeit immer.

Wie schlugen Sie dann Ihre Laufbahn ein?

Schon als Kind hatte ich eine Neigung zum Dirigieren. Ich nahm mir ein Holzstäbchen, so wie es die Frauen benutzen, wenn sie überprüfen, ob ein Kuchen schon fertig gebacken ist. Und damit stellte ich mich vor den Plattenspieler und dirigierte den Bolero von Ravel. Das ist zum Dirigieren ein sehr einfaches Stück. Es hat keine Rhythmenwechsel und ist von Anfang bis zum Schluss im gleichen Takt zu schlagen. Es beginnt ganz leise und steigert sich zu einem Fortissimo. Damit ich aber schon am Anfang gut hören konnte, drehte ich die Lautstärke zu hoch, die dann aber bis zum Schluss unter keinen Umständen mehr korrigiert werden durfte. Meine armen Eltern – das war zum Schluss ein Höllenlärm! Ich kann nicht genau sagen, was mich an diesem Beruf so anzog, aber ich glaube ich habe auch einen Charakter, der sich dafür eignet, ich muss mich dabei ja auch zeigen. Man muss einen guten Führungsstil haben, entschlussfreudig sein, willensstark sein aber auch ein Individualist. Wenn man diese Eigenschaften hat, ist es sehr logisch, ein Dirigent werden zu wollen. Mir wurde auch klar, dass ich kein Pianist werden wollte. Als Dirigent muss man wesentlich komplexer arbeiten können, alle Einzelstimmen zu einem Großen vereinigen und das hat mich schon immer fasziniert.

Was bedeutet es für Sie, ein Dirigent zu sein, welche Aufgabe hat in Ihren Augen ein Dirigent?

Das ist sehr komplex! Man muss in der Lage sein, die manuelle Technik des Dirigierens zu beherrschen und zu zeigen. Ich fühle mich sehr glücklich und privilegiert, diesen Beruf ausüben zu können. Er macht mich zutiefst glücklich und er füllt mich zur Gänze aus. Meine Hauptmotivation an allererster Stelle ist, dass ich, wenn ich mit einem Orchester arbeite, dieses verbessern kann. Das ist mein klares und ehrliches Bestreben. Wenn ich dieses Gefühl nicht mehr hätte, dann würde ich nicht weiter dirigieren wollen. Dirigieren bedeutet aber nicht allein, etwas technisch durchzuführen, sondern hat auch viel mit Menschlichkeit zu tun, mit Geist, mit Beziehungen. Eine gewisse Chemie zwischen mir und dem Orchester ist viel wichtiger als eine glänzende Erscheinung vor dem Publikum. Wenn das gut funktioniert, dann braucht ein Dirigent keine Starallüren. Dann bezaubert er, fasziniert und spricht so auf diese Art und Weise zum Publikum. Wenn ich Musik mit den Musikern mache, dann diene und leite ich zugleich. Ich bevorzuge weder einzelne Orchester, noch eine bestimmte Art von Musik. In erster Instanz steht für mich, dass ich hilfreich sein kann und in das Orchester ein besseres Leben tragen kann, egal ob es nun nur für eine Woche oder auch länger ist. Es steckt in jeder Person etwas von einem Star, aber ich war nie davon angezogen ein Star zu sein, das hat für mich keine Attraktivität. Ich spiele keine Spielchen, ich bin ja kein Schauspieler! Für mich bedeutet das Dirigieren einen sehr spirituellen und kulturellen Dienst am Komponisten und an den Musikern, nämlich ihnen zu helfen und sie zu unterstützen.

Sie spielten in Straßburg „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janáček – fühlen Sie sich als Botschafter der tschechischen Musik?

Ja, definitiv – aber nicht ausschließlich. Es ist nur ein Teil, den ich dirigieren möchte, aber einfach ideal. Der Ort des Geschehens „Vom schlauen Füchslein“ liegt nur wenige Schritte vom Haus meiner Eltern entfernt, in dem ich mit ihnen gelebt habe. Ich ging oft mit der Partitur dort in den Wald und fühlte diese Verbundenheit. Mein Land hat eine Vielzahl von Komponisten hervorgebracht, vor allem wenn man das in Relation zu seiner Größe sieht. Was das angeht, sind wir sehr privilegiert, Smetana, Dvořák, Janáček, Martinů oder Suk, um die bekanntesten aufzuzählen.

Sie leiten die Prager Philharmonie und gestalten auch das Programm.

Ja, das ist richtig. Dabei müssen wir allerdings sehr viele Parameter berücksichtigen. Prag ist eine sehr kulturvolle Stadt mit vielen Orchestern und vielen Konzerten. Wir müssen beobachten, was und wann die anderen machen, ob es Geburtstage zu berücksichtigen gibt usw. Aus diesem Grunde engen wir unser Konzept nicht ein, limitieren es nicht, das wäre sehr gefährlich. Vielmehr sind alle unsere Konzerte in einer ganz bestimmten Art und Weise einzigartig. Wir sind in Prag zwar nicht das größte Orchester, aber wir können die Besten sein! Wir haben ein wunderbares Publikum, nicht zu alt, und spielen immer vor vollem Haus. Die Philharmonie ist nicht groß, wir können kein riesiges Repertoire spielen wie z. B. Mahler, aber Dvořák und Brahms geht noch sehr gut. Wir geben auch Auftritte außerhalb von Prag.

Sie haben auch Opern dirigiert.

Ja, ich dirigierte Carmen im Glyndebourne Festival, dieses Jahr den Don Giovanni, aber ich habe auch die Rusalka in Prag und Werther von Massenet in Hong Kong dirigiert. Ich liebe die Oper und werde auch gerne noch mehr auf diesem Gebiet machen. Glyndebourne inspiriert mich enorm und bietet mir die Möglichkeit einer enormen Erfahrung an. Darüber bin ich sehr glücklich. Aber richtig zuhause fühle ich mich im Moment auf alle Fälle in der Symphonie. Auch wenn ich ein Programm dirigiere, wie z. B. eine Kantate oder ein Oratorium, also einen Chor dabei habe. Das macht mich besonders glücklich. In der Oper und am Theater ist das Leben etwas anders. Es gibt viel mehr Leidenschaft, aber auch Politik und Psychologie, die eine Rolle spielen. Mit „reiner Musik“ fühle ich mich richtig wohl, das bin ganz ich. Viele Menschen brauchen den Text, brauchen Sänger. Wenn sie das nicht haben, vermissen sie es. Ich könnte aber nie Regisseur sein, denn Text und Musik bedeuten für mich nicht dasselbe. Auch mein Gedächtnis ist besser mit Musik. Ich liebe es, auswendig zu dirigieren. Das geht nicht immer, aber ich fühle mich wohl dabei eine Musik einzuprägen, aber nie einen Text. Bei der Musik fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser. Die Oper hat andere Herausforderungen. Wenn man aber eine Symphonie hört, so hat man dabei andere Gefühle, die einen sehr reich machen können. Aber auch Konzertstücke haben einen theatralischen Hintergrund. Für mich ist es auch eine philosophische Erfüllung. Brahms zum Beispiel funktioniert in der Oper nicht, aber ich liebe Brahms! Die Arbeit an einer Symphonie, die Details, das Erkennen der Strukturen basiert auf einer reinen musikalischen Entwicklung. Ich bin nicht so enthusiastich mit Donizetti oder Bellini, obwohl ich weiß, dass sie sehr gute Komponisten sind.

Warum sollen Menschen heute noch in ein Konzert gehen, wo es doch so viel Musik rundherum zu konsumieren gibt?

Ja, das stimmt. Alle haben heute kleine Handys, benutzen das Email. Man kann jederzeit mit jemandem in Kontakt sein, egal, wo auf der Welt – aber man kann denjenigen am anderen Ende der Leitung nicht direkt angreifen. Man kann Tonnen von Musik um sich haben, beim Autofahren, im Restaurant. Aber im Grunde hört man dieser Musik nicht zu, ja wird sogar ganz apathisch. Das ist so wie ein Kaugummi im Mund, bei dem man zwar den Mund bewegt, ihn aber nicht zum Essen verschluckt. Es ist aber verzwickt, denn wenn man eine gute Aufnahme hört, dann ist man nah dran, kann konzentriert zuhören und ist in einer privaten Sphäre. Im Konzertsaal aber gibt es auch eine gewisse Ablenkung. Dort findet man aber einen gewissen Geist, mit allen Schwierigkeiten, allen Problemen aber auch allen Freuden. Und vor allem – jedes Konzert ist einzigartig, nicht wiederholbar, so nur in diesen Momenten zu hören und zu fühlen. Die Musik bei einem Konzert ist kein maschinelles Produkt. Es ist ein Ereignis! Der lebendige Eindruck wird nur in einem Konzert unterstützt. Philosophisch betrachtet rufen Tonaufnahmen die Illusion hervor, dass man Momente aus der Vergangenheit wiederholen könnte. Aber das stimmt nicht, das ist nicht möglich. In einer DVD verliert sich die soziale Qualität des direkten Kontaktes, der Humantouch. Wenn man gemeinsam Musik hört, hat man Erfahrungen, die man in vielerlei Hinsicht miteinander teilt. Es hängt ganz davon ab, wer alles im Saal sitzt oder auch neben wem man sitzt. Die negative Ausstrahlung eines Einzelnen kann die andern beeinflussen, aber auch umgekehrt. Aber auch die wechselseitige Beeinflussung zwischen den Musikern auf der Bühne und dem Publikum kann in einem Studio nie aufgenommen werden. Musik muss einfach menschlich bleiben. Es ist nicht dasselbe, ob Sie Wein zuhause komplett allein, oder in einem Keller oder mit Menschen in einem schönen Restaurant trinken!

Herzlichen Dank für das Interview!