“Jedes Kind kann schlafen lernen.” Wie irreführend!

Von Berit Andersen

Jedes Kind kann sowieso schon schlafen.

Sonst würde es halluzinieren und wäre recht schnell unter den Fittichen von Schlafes Bruder.

Was das Buch wirklich meint: Jedes Kind kann so schlafen lernen, dass es seine Eltern nicht (mehr) in den Wahnsinn treibt.

Das ist begrenzt richtig.

Manchmal gibt es medizinische Gründe. Unser Kinderarzt bietet verzweifelte Eltern eine Schlafsprechstunde und geht dabei sehr gründlich vor.

Immer mal wieder wird leider eine wichtige Diagnose sehr spät gestellt, wenn überhaupt, zum Beispiel hier: Töchterlein von Mama arbeitet, schlief erst mit dreieinhalb Jahren durch.

Charakterfrage

An drei persönlichkeitsstarken Kindern kann ich derzeit das Schlafverhalten in Abhängigkeit vom Charakter allabendlich studieren.

Sohni beispielsweise will schlafen und meckert, wenn Mütterchen die Zeit vergisst:

“Mama, ich will, dass du mich endlich mal ins Bett bringst!!!”

Er will übrigens alleine einschlafen. Manchmal wirft er ein fast schlafendes Elternteil aus seinem Bett – denn Kuscheln will er gerne, aber nur ein bisschen! – oder weckt es, wenn er gerade im Ehebett liegt, damit Mami/Papi ihn noch zudeckt. Zudecken durch einen Profi ist unerlässlich für seinen Schönheitsschlaf. Leider. Seufz.

In Bed with Anakonda.

Maxe dagegen würde sich am liebsten an mich fesseln.

Er hat eine anakondaartige Methode entwickelt, nachts unbemerkt unter meine Bettdecke zu kriechen. Dort wärmt er gerne seine Eiszapfenfüße zwischen meinen üppigen Oberschenkeln. Der Fachbegriff dafür lautet “Toasten”.

Spätestens nach dem dritten Tritt mit krallenbewerten Füßchen wahlweise in Bauch oder Schienbein werde ich dann wach. Das Protokoll sieht vor, ihn dann in eine eigene Decke zu wickeln, aus der weder Fäuste noch Füße hervorragen können, und ihn auf die Seite des Ehemannes zu schieben. Dieser wird dann wach, und endlich hört dieses elende Schnarchen auf.

Der große Sohn.

Nur beim großen Sohn habe ich das Schlafprogramm aus dem oben benannten Buch anwenden können: Das Kind war gesund und groß genug zum Durchschlafen und die Mutter entsprechend genervt, als er mit etwa acht Monaten wieder mehrmals pro Nacht erwachte, nachdem die Nächte ansonsten beneidenswert ruhig verlaufen waren.

Und es klappte: Ich ging nicht ganz nach Plan vor, aber ich nahm ihn nicht mehr aus seinem Bett. Stattdessen streichelte ich ihn, erklärte ihm, dass es jetzt nachts sei und dass es nachts keine Milch mehr gäbe. Außerdem sei ich in seiner Nähe und alles wäre in Ordnung.

Beim ersten Mal schrie er etwa eine Stunde. 

In derselben Nacht wachte er noch ein zweites Mal auf und jammerte. Aber viel kürzer.

Der Vater übernahm in der folgenden Nacht die Rolle des Bad Dad. Kurzes Aufmucken, Hingehen, Beruhigen. Ab da schlief das Kind durch.

Mittagshorror

Als ich schwanger mit den Zwillinge war, hätte der Riesensohn seinen Mittagsschlaf am liebsten abgeschafft. Er schlief nur wenn ich ihn zwischen Armen und Beinen festklemmte, dann aber innerhalb weniger Minuten und für zwei Stunden. Es war reine Notwehr. Ich hätte den Tag sonst nicht überlebt.

Selbstredend, dass ich mich dann nicht vom Fleck bewegen durfte, aber es tat uns vieren gut.

Der nächste Höhepunkt

war erreicht, als die Zwillinge etwas mehr als ein Jahr alt waren. Wir brachten sie einfach nicht zum Schlafen. Also ging ich mit ihnen ins Bett, etwa um acht Uhr – und schlief mit ihnen ein. Am Morgen war ich so früh wach, dass ich meinen ersten Morgen-Kaffee in aller Ruhe trinken konnte. Damals war ich ja noch nicht bei Twitter.

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.

Mann und Frau schliefen mehrere Monate getrennt. Hinzu kam, dass auch der große Sohn nach Umzug und Kindergartenwechsel sehr viel Nähe brauchte. Meist schlief ich mit einem Zwerg und Riesensohn in einem Zimmer, der andere Zwerg mit Papa im anderen.

Für diese Zeit war es die beste Lösung.

Das ist jedoch kein Dauerzustand.

Der Mann und ich rotteten uns zusammen und erklärten, dass wir von nun an gemeinsam in unserem Bett schlafen wollten. Die Kinderzimmer wurden aufgehübscht und dann trugen wir die Kinder gemeinschaftlich und abwechselnd wieder in ihre Betten zurück, um sie von unseren Absichten zu überzeugen.

Sohni trug ich etwa achtmal zurück, dann war das Thema erledigt.

Maxe trug der Vater etwa zweimal zurück. Charakterlich tendiert er zum geringen Energieaufwand.

Dabei ist es nicht geblieben.

Natürlich nicht. Es gibt unruhige Nächte, in denen sich schmerzgeplagte oder angsterfüllte Kinder an mich pressen, bis ich sie unter Ehemanns Decke rolle.

Es gibt Nächte, in denen ich nicht merke, dass ich schlafe wie in einer Sardinenbüchse und mit Rückenschmerzen erwache.

Manchmal hoffe ich, dass ein Kind zu uns zieht, damit ich in einem Kinderbett weiterschlafen kann, um dem Getöse zu entgehen.

Und manchmal schlafen die Kinder und ich im großen Bett zusammen ein, wenn der Ehemann auf Reisen ist.

Es gibt viele Phasen, und nicht jede ist prickelnd.

Fazit

Jedes Kind lernt anders schlafen.

Und in jeder Phase fragt sich, in welcher Versuchsanordnung jedes Familienmitglied mindestens ausreichend, am besten aber ultimatisch verschwenderisch schlafen kann.

Meine Überzeugungen:

1. Kinder können viel mehr, wenn wir es ihnen zutrauen. Wir sagen unseren Kindern, dass wir wollen, dass sie in ihren eigenen Betten schlafen. Wir schimpfen aber nie, wenn ein Kind nachts in unser Bett schlüpft.

2. Kinder merken, wenn es uns wirklich ernst ist. s. Punkt 1

3. Kinder testen Grenzen aus. Und wir haben uns vorher überlegt, wie oft wir bereit sind, die Kinder zurückzutragen, oder wie lange wir das Gebrüll durchhalten wollten.

4. Kinder dürfen auch unsere Grenzen kennen lernen. “Kinder”, erkläre ich dann und wann, “ich kann nicht gut schlafen, wenn ihr unter meiner Decke liegt. Ich bin viel ausgeschlafener und geduldiger, wenn ich nachts meine Ruhe habe.”

Und letztendlich: Spätestens mit 18 werden die Knaben ganz sicher nicht mehr in unserem Bett liegen.